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Digital In Arbeit

„Marxismus“ als Punze ?

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Der Mensch ist gerade dabei, in der Arbeitswelt auf der Strecke zu bleiben. Auf der Wegstrecke zur Europareife. Da ändert auch ein Blumenstock am Schreibtisch nichts.

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Der Mensch ist gerade dabei, in der Arbeitswelt auf der Strecke zu bleiben. Auf der Wegstrecke zur Europareife. Da ändert auch ein Blumenstock am Schreibtisch nichts.

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Der Grundtext zum geplanten Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe (FURCHE 37/ 1988) steht zur Diskussion. Er ist provokant formuliert und soll zum Widerspruch, aber vor allem zum Nachdenken über die eigene Position zum Begriff „Arbeit“ anregen.

Diesem Anspruch wird der Grundtext auch gerecht, weil schon viele versuchen, mit typischen „Killerphrasen“ diesen lästigen Text abzuqualifizieren, ähnlich wie das auch nach dem Erscheinen von „Laborem Exer-cens“ der Fall war. Damals sagte man, die Sozialenzyklika Johannes Pauls II. sei ein Rundschreiben für die Polen, keinesfalls aber für alle Katholiken. Heute versuchen eben diese Leute, auch den

Grundtext als „marxistisch“ zu verteufeln, wissend, daß im traditionell katholischen Lager das Wort „Marxismus“ noch immer Angst und Schrecken auslöst.

Aber es ist klar. Immer, wenn es ans „Eingemachte“ geht, immer also, wenn es heißt, im täglichen Leben sein Christsein in die konkrete Tat umzusetzen, scheiden sich die Geister. Da kommt an den Tag, was sonst überlagert und überdeckt ist.

Ich möchte drei Teilaspekte zum Thema Arbeit zur Diskussion stellen, damit sie nicht zu kurz kommen.

• Bleibt der Mensch in der Erwerbsarbeit auf der Strecke? fragt der Grundtext. Antwort: Ja, der Mensch ist gerade dabei, in der Arbeitswelt „auf der Strecke zu bleiben“. Mit dem Schlagwort „Flexibilisierung“ wird alles entschuldigt, was an menschenverachtender Methodik derzeit in der Wirtschaft angewendet wird.

Demnach sollten wir Arbeitnehmer „örtlich“, zeitlich und beruflich flexibel sein. Weil sonst — so lautet die aktuelle Begründung für alles und jedes - wären wir nicht europareif.

Für die sogenannte Europareife müssen wir uns entwurzeln lassen, unsere Freunde, unsere Familien und unsere örtlich gewachsene Subkultur aufgeben, Schichtarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle in Kauf nehmen, unserem Arbeitsplatz oft stundenlang nachreisen und jederzeit zur Verfügung stehen, wenn wir gerufen werden. Wir müssen uns „freisetzen“ lassen, um neue Berufe kennenzulernen und um uns in verschiedenen Betrieben flexibel und kapazitätsorientiert bewähren zu können. Es wird nicht mehr akzeptiert, daß ein Betrieb“ auch soziale Gemeinschaft der Arbeitenden ist und nicht nur Produktions- oder Dienstleistungsstätte.

Wir Arbeitnehmer werden auch in der Technokratensprache nur mehr als „Humankapital“ bezeichnet. Als Bilanzposten, als Betriebsmittel, das noch dazu Kosten verursacht. Wir brauchen eine neue Ethik im Wirtschaftsleben. Eine Abkehr vom derzeit herrschenden Ökonomismus, der in der Ausschöpfung vorhandener Ressourcen keinen Unterschied macht zwischen Menschen und Sachwerten. • Ist Arbeit Ausdruck der Würde des Menschen? Antwort: Na ja! Es gibt gut organisierte, mit- und selbstgestaltete Arbeit, in der sich der Mensch entfalten kann und in der er Erfüllung findet. Es gibt aber viel öfter die krankmachende, kränkende, eintönige Arbeit, die ungesunden Streß erzeugt und Menschen fertig macht. Arbeit in ungutem Betriebsklima und Ar-. beit unter erschöpfenden Bedingungen.

Ganze Branchen haben sich darauf spezialisiert, die menschliche Arbeit zu „organisieren“ und sie effektiv zu gestalten. Erfolg solcher Bemühungen war bisher immer eine weitere Anpassung der Menschen an die Maschine und mehr Arbeitsdruck.

Wir Christen müßten einfordern, daß der Mensch wieder Subjekt des Wirtschaftsgeschehens wird (Laborem Exercens) und die Verantwortung und Macht, die die Unternehmensleiter haben, als Dienst an den Menschen, an den Arbeitnehmern, gesehen wird. Eine neue Ethik in der Arbeitswelt muß in Frage stellen, ob das an sich nötige Streben nach Gewinnoptimierung auf Kosten der Arbeitnehmer gehen kann. Es ist zu fordern, daß nicht nur bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes die Arbeitnehmer mitgestalten müssen, sondern vor allem bei der Organisation der Arbeit. Da sind die Arbeitnehmer kompetent.

Mitgestaltete Arbeit, gut organisierte, schädigungsfreie Arbeit ist menschenwürdige Arbeit, auch und besonders, wenn diese Arbeit dem Broterwerb dient. Es reicht nicht aus, wenn die Mitbestimmung im Sinne der „human relations-Bewegung“ sich darauf beschränkt, den entsprechenden Blumentopf am Schreibtisch aussuchen zu dürfen. Es ist zu fordern, daß Betriebsorganisatoren, Unternehmensberater und Psychologen sich ihrer Verantwortung bewußt sein sollten, die sie für Menschen tragen, über deren Schicksal sie entscheiden. Es ist zu hinterfragen, mit welchem ethischen Hintergrund manche Psychologen an die Arbeit mit Menschen herangehen, und ob es gerechtfertigt ist, ethisch fragwürdige Techniken, Methoden und Tests einzusetzen. Ist der Mensch wirklich austestbar? Wo bleibt hier die Würde des Menschen in der Arbeit?

Kein Wort zum ÖGB

• Egoismus contra Solidarität!

Löst der „Neue Individualismus“ die Solidarität ab? Antwort: Nein! Nicht Individualismus und Solidarität sind Gegensätze, sondern Egoismus und Solidarität stehen einander im Wege.

Wir Christen sind überzeugt von der Einmaligkeit der Person jedes einzelnen, der als Kind Gottes Selbstzweck und nie Mittel zum Zweck ist, der aber nur in

Kooperation mit anderen Menschen menschenwürdig leben kann. Wir sind als Individuen aufeinander hingeordnet. Wir brauchen einander. Solidarität heißt also, miteinander und füreinander leben, arbeiten, feiern, sich freuen, sich eingebettet fühlen in eine Gemeinschaft. Solidarität heißt aber auch, für andere Verantwortung tragen und gemeinsame Interessen auch gemeinsam vertreten.

Mir fehlt im Grundtext die Anregung zur Diskussion über Gewerkschaften und Interessens-vertretungen der Arbeitnehmer. Wie ist das mit dem Ernstnehmen des Solidaritätsprinzips? Sind die Gewerkschaften noch der Zusammenschluß gleichgesinnter betroffener Arbeitnehmer oder sind sie, wie manche behaupten, anonyme Großorganisationen geworden, deren Kraft man zwar schätzt, die aber Angst machen? Warum ändern wir das nicht?

Ich wünsche mir hier eine Aussage im Hirtenbrief. Wie stehen wir Christen also zu dieser Einheitsgewerkschaft, zu diesem ÖGB? Gestalten wir ihn, so wie wir wollen? Schade wäre es, so meine ich, würden wir im Sozialhirtenbrief keine Aussage zu den Gewerkschaften machen, würden vor allem die Bischöfe sich um eine konkrete Stellungsnahme zum Wert und der Wertigkeit von Gewerkschaften drücken.

Der Autor ist Zentralsekretär der Gewerkschaft der PrivatangesteUten.

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