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Digital In Arbeit

Maschine ohne Seele

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Während der halben Sekunde, die ein ausgeschütteter Kaffee braucht, um den Boden zu erreichen, kann ein mittelgroßer Computer 2000 Schecks auf 300 Konten verbuchen, 100 Elektrokardiogramme auswerten, 150.000 Antworten auf Prüfungsfragen bewerten und die Lohnauszahlung für eine Firma mit 1000 Dienstnehmern besorgen. Wird der Computer, der millionenmäl schneller rechnet als der Mensch und, weil auch Buchstaben in Ziffern ausdrückbar sind, jede Art von logischer Denkoperation übernehmen kann, eines Tages den Menschen ersetzen? Der Supermensch auf dem Silizium-Plättchen?

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Während der halben Sekunde, die ein ausgeschütteter Kaffee braucht, um den Boden zu erreichen, kann ein mittelgroßer Computer 2000 Schecks auf 300 Konten verbuchen, 100 Elektrokardiogramme auswerten, 150.000 Antworten auf Prüfungsfragen bewerten und die Lohnauszahlung für eine Firma mit 1000 Dienstnehmern besorgen. Wird der Computer, der millionenmäl schneller rechnet als der Mensch und, weil auch Buchstaben in Ziffern ausdrückbar sind, jede Art von logischer Denkoperation übernehmen kann, eines Tages den Menschen ersetzen? Der Supermensch auf dem Silizium-Plättchen?

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Ein schreckhafter Gedanke. Wenn man überlegt, an welchen Experimenten heute schon gearbeitet wird, wird die Vorstellung noch viel schreckhafter. Zum Beispiel an der Entschlüsselung von Gehirnströmen von Schimpansen - als Vorstufe für die Entschlüsselung menschlicher Gedanken.

Denn beim Denken senäet das Gehirn vermutlich Ultra-Ultra-Hochfrequenzwellen aus, die man mit Computerhilfe entschlüsseln kann -so wie die künstlichen Sinnesorgane (Sensoren) von Nachrichtensateliten schon heute aus 32.000 km Entfernung von der Erde einen Fußball als Fußball ausmachen können!

Werden eines Tages jene Wissenschafter recht behalten, die wie der amerikanische Computerforscher John McCarthy an der Stanford Uni-versity behaupten, daß auch Liebe und Haß, Lohn und Strafe aus einem Computer kommen können? Oder der Zukunftsforscher Richard Buckminster Füller, der davon träumt, daß alle Computer eines Tages zu einem „Weltgehirn“ zusammengebaut werden könnten, das dann als großer „Weltgeist“ die Menschheit regiert?

Dazu ist eine nüchterne Anmerkung am Platz: Alles, was sich auf Mathematik, auf Logik, auf Formeln reduzieren läßt, kann der Computer millionenfach besser als der Mensch. Aber läßt sich die ganze Wirklichkeit der Welt auf mathematische Formeln reduzieren?

Vor über 2000 Jahren schrieb der chinesische Taoist Tschuang Dschu: „Wenn ich ein Rad schnitze und das Messer zu langsam führe, geht es tief, aber unstet. Führe ich es zu rasch, geht es stetig, aber nicht tief. Die richtige Messerführung, nicht zu schnell und nicht zu langsam, kommt aus dem Herzen. Ich kann es nicht in Worte fassen...“

Mit dem Computer machen wir diese Erfahrung heute noch deutlicher. Man kann einen Computer selbstverständlich darauf programmieren, ein Gemälde von Rembrandt von einem von Picasso zu unterscheiden, indem man dem Computer die Kompositionsregeln beider Maler „eingibt“. Aber hier zeigt sich auf einmal, daß der Mensch dem Computer überlegen ist.

Der Mensch betritt einen Raum, in dem zwei solcher Gemälde hängen, und weiß im Bruchteil einer Sekunde, welches von wem stammt - er erfaßt die Struktur der beiden Bilder als ganzes. Der Computer vergleicht erst mit einiger Mühe die Regeln, ehe er antwortet: Der „Mann mit dem Goldhelm“ ist der Rembrandt, die „Frau im Lehnstuhl“ der Picasso.

Wieso schafft der Mensch rascher die Zusammenschau, obwohl der Computer um so viel schneller rechnen, ordnen, vergleichen kann?

Da scheint nun wieder die moderne Wissenschaft vom menschlichen Gehirn weiterzuhelfen, die seit den späten sechziger Jahren ein gutes Stück vorangekommen ist: Damals wurden der Neurochirurg Joseph Bogen und der Psychologe Roger Sperry in den

USA auf die erstaunliche Funktion aufmerksam, die der sogenannte Balken, also die Verbindung der beiden menschlichen Gehirnhälften, erfüllt.

Ein Patient etwa, bei dem dieser Balken (corpus callosum) nicht funktionierte, konnte mit verbundenen Augen einen Löffel mit der Hand umschließen, aber den Namen für den Gegenstand nicht nennen. Er konnte einen Löffel, der ihm vorher gezeigt worden war, aus einer Fülle von Gegenständen auswählen, ihn aber nicht bezeichnen.

Da erinnerte man sich der alten Taoistischen Weisheit: „Die Hälfte, die spricht, weiß nicht; die Hälfte, die weiß, spricht nicht.“ Bei näherer Erforschung der beiden Gehirnhälften (die noch längst nicht abgerundet ist), stellte sich eine interessante Erfahrung heraus:

Die eine Gehirnhälfte ist für Lesen, Schreiben und Rechnen, für logisches Denken und scharfes Analysieren zuständig; die andere ermöglicht es uns, dreidimensional zu sehen, Strukturen zu erkennen, Musik, Dichtung und jede andere Form von Kunst zu schaffen und zu genießen,

Gesten zu deuten, Gedankenverbindungen zwischen Sinneswahrnehmungen und Erinnerungen herzustellen und ähnliches mehr.

Die rationale, intellektuelle, analytische Hälfte ist beim Rechtshänder die linke und die kreative, intuitive die rechte Gehirnhälfte. (Beim Linkshänder ist es umgekehrt.)

An unseren Entscheidungen und Verhaltensweisen aber sind immer beide Gehirnhälften in angemessenem Verhältnis beteiligt: Wissen und

Phantasie, Logik und Intuition, Disziplin und Freiheit.

Und jetzt kommt's: Der Computer kann, so hat es zumindest deutlich den Anschein, nur das, was die linke Gehirnhälfte kann. Die linke, die rationale Hälfte verarbeitet Informationen nacheinander, in einer bestimmten Reihenfolge - so wie der Computer auch. (Nur tut's der eben ungleich schneller.)

Dagegen erfolgt die Informationsverarbeitung in der rechten Gehirnhälfte gleichgeschaltet, gleichzeitig, parallel. Beim logischen Denken, beim Rechnen muß man sich konzentrieren, einen Schritt nach dem anderen setzen, darf den „Faden nicht verlieren“. In der Phantasie sind weite Sprünge erlaubt. Da „fallen“ uns Gedanken „ein“, da „schießen“ uns Ideen durch den Kopf -ohne Spur von Ordnung, Logik, System.

Nach Erscheinen meines Buches „Der Computer macht's möglich“ im Styriaverlag, indem auch diese Phänomene beschrieben sind, lieferte die amerikanische Futurologenzeitschrift „Omni“ in einem Beitrag von Thomas Hoover eine Illustration zu der uns allen bekannten Tatsache, daß man bisweilen lange mit einem komplizierten Problem schwanger gegangen ist, nicht und nicht auf die Lösung kam, und eines Tages plötzlich aufwachte und blitzartig wußte: Jetzt hab' ich's! Das ist die Antwort!

So kam der deutsche Chemiker Aug Kekulö 1865 dem Geheimnis der Struktur des Benzolmolküls in einem Traum auf die Spur. Der Nobelpreis-Gewinner Donald Glaser entdeckte die Blasenkammer, ein elementarer Wissenssprung in der Kerntheorie, bei Betrachtung der Kohlensäurebläschen in einem Bierglas! Erklärung: Die rechte Gehirnhälfte arbeitet auch ohne Konzentration, selbst im Schlaf!

Das kann der perfekteste Computer nicht. Rascher rechnen, vielleicht logischer denken, tote Formelsprachen blitzartig übersetzen - dabei kann er uns wertvolle Dienste leisten. Gedichte oder Sinfonien schaffen und genießen, Gesichter identifizieren, sportliche Leistungen erbringen, Gesten deuten kann die Maschine ohne Seele nicht. Auch nicht lachen. Und weinen. Und damit erst Mensch sein.

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