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Masken, Mythen und Massaker

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„Mudra”: das heißt in Sanskrit, der Bildungssprache Indiens, nichts anderes als „Geste”. Oder genauer: Es bezeichnet das Elementare der Geste, es ist ein gestischer Grundbegriff, das aufbauende Prinzip. Ausgehend von den Fingerspitzen setzt sich die Bewegung fort im Spiel der Hände, in der Sprache der Augen, der Augenbrauen (für die es 170 abgestufte Ausdrucksmöglichkeiten gibt), auf der Stirn. „Krishnattam”, (entstanden um 1650 unserer Zeitrechnung) eine Tanz-Pantomime mit Episoden aus dem Leben Krishnas, war einer der Höhepunkte des „Festivals Traditioneller Musik 80” mit dem Thema „Maskentänze”, veranstaltet vom Internationalen Institut für vergleichende Musikstudien Berlin und von hier auf die Reise geschickt, quer durch die Bundesrepublik und in Kooperation mit Veranstaltern in anderen Ländern Europas.

Ein zweiter Höhepunkt war höchst gegensätzlich. Der kleine, in unseren Breiten kaum gekannte Himalaja-Staat Bhutan sorgte mit seinem „Königlichen Tänzer- und Musiker-Ensemble” für ein pures Theaterwunder, in dem Ernst mit Parodie, Schönheit mit Sinnlichkeit, Sprungkraft mit Grazie, Reichtum der Mittel mit lapidarer Einfachheit gepaart waren. Die Tanzspiele und Tänze dieses lamaistischen Bergvolkes haben ihre Wurzeln in den Klöstern, denen auch die Instrumente gehören, also in der Lehre des Buddhismus; ausgeführt aber wurden sie von Laien.

In dem gemischt religiösen und folkloristischen Programm traten himmlische Wesen auf, die mit ihren Sprüngen „gen Himmel” flogen, Verbindung zum Jenseits suchten, Vertreiber böser Geister und Meeresungeheuer, die von den „Himmlischen” natürlich besiegt wurden. Zum Personal der Spiele gehörten vornehme Damen und adlige Herren, alte Diener und junge Arlecchinos, der habgierige Arzt, der Jäger und der Yogi, „menschliche” Hunde und ein heiliger Hirsch. Wie kommt die Commedia an den Himalaja, wie Goz-zis Hirsch zum Lama?

Das Festival war wohl der erste Versuch, in einem interkulturellen Querschnitt das Phänomen der „Maskentänze” darzustellen. Unvermeidlich, daß der Auswahl auch Zufälliges anhaftete: Vier Ensembles aus Asien, zwei aus Afrika, nur eines aus Südamerika traten auf; es fehlte beispielsweise der Einblick in die reiche Maskentradition Brasiliens.

Uber den Ursprung des Maskenwesens kursiert unter Ethnologen eine Fülle einander widersprechender, letztlich unbeweisbarer Theorien. Gewiß ist nur, daß Maske und Rhythmus dazu dienten, Weltschöpfung zu „verstehen”, nicht rational, sondern durch Nachvollzug der Legenden. Dabei figurierte der Mensch nicht als „Krone der Schöpfung”, sondern als eine Wesensform unter anderen.

Neben den Maskentänzen, die mit dem religiösen Leben mehr oder minder eng verbunden sind, gibt es den weiten Bereich der profanen Larven: Tarnmasken für die Jagd, Theatermasken, Scherzlarven zu „Unterhaltungszwek-ken” (was nicht abwertend gemeint ist). Aus nahezu allen Präsentationen ist mir die gegenseitige Durchdringung von Komisch-Bizarrem (in unserem Verständnis) und Feierlich-Zeremoniellem, von Lustvollem und Esoterischem als besonders eindrucksvoll in Erinnerung. Das scheinbar Erschrek-kende, Angst Bereitende war das Bannende, das Segenspendende auch.

Bei den überseeischen Völkern hat die Maske eine noch weiterreichende Bedeutung. Sie ist ein Sinnbild von Kraft und Macht, dient zur Steigerung von beidem. In den mythischen Lehren von der Entstehung der Welt ist die Verwandtschaft von Tier und Mensch ein prägender Begriff. Der sogenannte Totemismus ist Ausdruck dieser Doppelnatur des Menschen; zugrunde liegt dabei die Vorstellung, daß Tier - und auch Pflanze - Ahnen des Menschen sind. Daraus wiederum ergaben sich psychoanalytische Modelle und Erklärungsmuster, die von Sigmund Freud und C. G. Jung ausgearbeitet wurden.

Diese Theorien haben möglicherweise dazu beigetragen, den nüchternen Blick auf das heutige tatsächliche Geschehen zu verstellen. Der Maskenträger verschmilzt, wird von Völkerkundlern immer wieder behauptet, mit dem Wesen, dessen Larve er verkörpert; er verliert, heißt es, sein Ich-Bewußtsein und wird zur Behausung jenes Wesens -eines Tieres, eines Dämons. Was indes für die Ursprünge zutreffend ist, gilt heute nur noch bedingt.

Keine Frage, daß die Sinnentleerung, vor allem in Afrika, sehr weit gediehen ist. Die Maskenpraxis gehört in erheblichem Umfang zum abgesunkenen Kulturgut. Lebendig ist sie als Spielhandlung (dies auch in indischen, japanischen und tibetanisch-buddhistischen Tempelbezirken); ihre Funktion hat sie im gesellschaftlichen Leben ethnischer Gruppen in Afrika. Die Tänze dort sind keine magischen Handlungen mehr, sondern historischer Bestandteil der Initiations- oder Beschneidungs-schulen.

In diesen Schulen erhalten die sechs-bis zehnjährigen, in anderen Gegenden zehn- bis vierzehnjährigen Jungen eine Vielzahl künstlerischer und handwerklicher Unterweisungen, mit denen sie auf das Leben in der sozialen Gemeinschaft vorbereitet werden. Es gibt übrigens auch Mädchenschulen dieser Art, die indes - anders als bei den Jungen -an die Pubertät gebunden sind; die Frauen haben ebenfalls Maskenbünde, über die bis vor kurzem wenig bekannt war, weil die meisten Ethnologen -Männer sind. Begriffe wie „Kult”, „Magie” und „Besessenheit” finden in der heutigen afrikanischen Wirklichkeit keine Stütze.

Auffällig an der Gruppe aus Tansania war dreierlei: die geradezu beschwingte Gelöstheit bis hin zur Komik der puppengesichtigen Stelzentänzer, dann die Mischung von Kargheit und Bildhaftigkeit, schließlich die Intensität der Trommelmusik. Signaltrommeln leiten den jeweiligen Tänzer in seinen Bewegungsverläufen, im Wechsel von Ruhe und Ausbrechen. Afrikanische Musik ist sprachähnlich, der Tänzer „versteht” die getrommelten Zeichen auch im Sinne von Sprachformeln.

Einige Ensembles traten zum ersten Mal in Europa auf: Die bolivianischen Teufelstänzer, „La Diablada”, die Dursteller und Musiker des indischen Schauspiels „Krishnattam”, das „Ka-gura”Ensemble aus einer dörflichen und kleinstädtischen Gegend Südwest-japanS sowie die Tänzer, Possenspieler und Instrumentalisten aus Bhutan.

Die Teufel und Teufelinnen aus dem südamerikanischen Anden-Staat wurden vom Erzengel Michael angeführt, deT mit einer Trillerpfeife im Mund zugleich als eine Art Tanzmeister fungierte. Den musikalischen Teil bestritt eine Banda in Militärmusik-Besetzung. Auf Straßen und Plätzen Berlins wurde nur ein kleiner Ausschnitt aus dem vierzehn Tage dauernden Karnevalsfest zu Ehren der Heiligen Jungfrau der Bergwerke gezeigt.

In der mythischen Spielform „Ka-gura”, den Ritualen des Schintoismus, der japanischen Nationalreligion, verpflichtet, wird eine dramatisierte Legende dargestellt. Die durch Ausschweifungen der Dämonen beleidigte Lichtgöttin hat sich in einer Höhle verkrochen, so daß es finster wurde auf der Welt - und es bedarf einiger Listen der Mitgötter und Menschen, um sie aus ihrem Versteck wieder hervorzulocken. Im Original hat das Spiel vierzig Szenen; es beginnt am Abend und endet am Mittag des anderen Tages.

Ausgesprochen bühnenwirksam ist das „Pongsan”-Maskentanz-Drama, in Nordwestkorea entstanden. Hier sind die Rituale vollends in farbiges Volkstheater umgeschmolzen, mit umfangreichen Dialogen, Tänzen, Liedern und Pantomimen. Der stumm, aber engagiert vorgetragene Protest junger Koreaner vor Beginn der Aufführung richtete sich gegen gewalttätige Praktiken von Polizei und Militär im heutigen Südkorea, aus dem das Ensemble kam. Die, erschütternde Schilderung des Massakers von Kwangju demaskierte die Gegenwart.

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