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Maskenspiel der Autoren

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Als der Maler, gelernte Archi -, tekt und spätere Schriftstel­ler Fritz von Herzmanovsky-Or­lando (1877-1954) starb, war er beim Publikum so gut wie unbe­kannt, aber für Verleger, Redak­teure und Theaterleiter ein notori­scher Einsender unbrauchbarer Manuskripte. Es war ihm 1928 ge­lungen, den rasch geschriebenen Roman „Der Gaulschreck im Ro­sennetz" zu veröffentlichen, der von der Kritik freundlich aufgenom­men wurde, ohne den Verfasser bekannt zu machen: Es wurden nur an die dreihundert Exemplare ver­kauft.

Herzmanovsky-Orlando schrieb fleißig weiter. Einem kleinen Freundeskreis wurde er als witzi­ger Sonderling bekannt; man be­mühte sich um ihn, redlich, aber vergebens. Klar, daß die Wissen­schaft überhaupt nichts von seiner Existenz wußte. Dann begab sich posthum ein Wunder: plötzlich wur­de sein Name zum Markenzeichen.

Schon 1935 hatte der Publizist Fritz Thorn seinen Freund Fried­rich Torberg auf den Erfolglosen aufmerksam gemacht, den keine Bühne spielen und kein Verleger drucken wollte, und Torberg hatte sofort an dem närrischen Fabulie­rer einen Narren gefressen. Er las ihn an der Prager Urania (im Fe­bruar 1938), vergaß den Vergesse­nen auch in Amerika nicht, veran­staltete sehr bald nach der Rück­kehr beim Sender Rot-Weiß-Rot eineHerzmanovsky-Sendung (noch dazu in glänzender Besetzung), die so erfolgreich war, daß sie bei Ver­legern Aufmerksamkeit erregte. Der Dichter starb, Torberg machte weiter. In den Jahren 1957 bis 1963 erschienen in seiner Bearbeitung vier Bände „Gesammelte Werke" und erweckten allgemeines Inter­esse für den Verstorbenen - sogar bei Germanisten.

Als Band zwei kam der bis dahin unbekannte Roman „Maskenspiel der Genien" heraus (den vorher keiner wollte), besiegelte den Ruf des Verewigten und „rief in der Folge die Forschung auf die Barri­kaden". (So Susanne Goldberg, nun Herausgeber in des Romans als Band III der Ausgabe „Werke in zehn Bänden".) Es war wie bei Johann Nestroy und Karl Kraus, dem manche Literarhistoriker bis heute nicht verzeihen können, daß sie den Bühnensatiriker für einen Possen­reißer gehalten hatten, bis ihnen der Kraus-Vortrag „Nestroy und die Nachwelt" (1912) die Augen öffnete. Der Bearbeiter Torberg gestand im Vorwort, „daß das un-gesichtete Material mehr als den doppelten Umfang der hier vorlie­genden Druckfassung aufwies", daß er (wie bei den Dramen) aus „einem wahren Dschungel von üppig wu­cherndem Literaturprodukt" einen lesbaren Roman gemacht habe, „um der verlegerischen Möglichkeit willen, um des Publikums willen, um des Autors willen", und als „Nachwort" druckte er den Dank­brief der Witwe, die erklärte, „daß jetzt die bestmögliche Druckfas­sung des allzu umfangreichen Ori­ginals vorliegt".

Nur die zweitbeste kann somit das jetzt veröffentlichte Original sein, ein freilich faszinierendes Ver­gleichsobjekt für Liebhaber Herz-manovsky-Orlandos, wenn sie zugleich Torberg-Liebhaber sind. Die Lektüre beweist ausgiebig, daß der Autor köstliche Stellen mit langwierigem Gerede verquickt und so vertan hat, Torberg hinge­gen nicht bloß verkürzte und den ungefügen Text präzis komponier­te, sondern auch Stilfehler sorgfäl­tig korrigierte. Sagte ihm die Fa­kultät 1965 nach, einen „Herzma-novsky für Touristen" herausgege­ben zu haben, so konzediert die Herausgeberin der historisch-kritischen Ausgabe vernünftig, es habe dem Dichter „der Atem für einen längeren Prosatext gefehlt", sie konstatiert auch objektiv „die in­haltlichen Brüche sowie die sprach­lichen Ungereimtheiten" der Origi­nalfassung, die den „Wurf" des „Gaulschreck" eben „nicht wieder­holen" konnte.

Torbergs Bearbeitung beginnt schon beim ersten Satz; er variiert eine Formulierung, die im Original auf der vierten Seite zu finden ist. Und so geht das weiter bis zum Schlußsatz Herzmanovskys, „tru­gen schon wieder vereinzelte Herrn der Gentry diese Art von Hüten". Aber „schon wieder vereinzelte" be­deutet (falsche Satzstellung!), daß auch früher „diese Art von Hüten" nicht allgemein getragen worden wären. Daher schreibt Torberg, „trugen manche Herren der Gentry schon wieder diese Art von Hüten". Denn nicht „früher", sondern erst später trugen ihn nur manche Her­ren. Kurz: Das spannende Kollatio­nieren ergibt den Roman eines Ro­mans: wie da aus dem Chaos der Urfassung ein epischer Kosmos ge­schaffen wurde.

DASMASKENSPIELDERGENIEN. Von Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Residenz Verlag, Salzburg, Wien 1989.650 Seiten, öS 520,-.

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