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Maskenspiele des Genies

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Es ist sehr verführerisch, Gütersloh in eine Mehrzahl von Personen, Talenten und Aktivitäten auf zuteilen, zu analysieren und in vorgegebene Kategorien einzuordnen. Zu so einer Divisionie-rung des Individuums (was eigentlich heißt der Mensch als unheilbares eigenständiges Subjekt) Güterslohs hat er selber allerdings viel beigetragen.

Als Albert Konrad Kiehtreiber am 5. Februar 1887 geboren, hat er sich in den ersten literarischen Versuchen noch in der Gymnasialzeit in Melk und Bozen als „Volkmar von der Egg“ bezeich-

net. Seinem Mentor Romual Pramberger teilte er am 28. April 1906 mit, daß sein neues Pseudonym „Paris von Gütersloh“ heiße

— nach einer von ihm selbst erzählten Legende aus der Entscheidung zwischen drei Damen aus Gütersloh entstanden.

Ein weiterer Name ist Albert Matthäus, unter dem er seinen einzigen abgeschlossenen Beruf als Schauspieler an Provinzbühnen ausübte. Prophetisch und geradezu programmatisch klingen die Worte aus einem Brief im Juli 1906 an seinen Freund Andreas Thom: „Ich glaube, daß man einst nach meinem Tode nichts von meinem Leben wissen wird. Ich habe alles schon zerstört. Man wird über mich wissen, aber nichts von mir.“

Und nochmals ein halbes Jahrhundert später, im Vorwort zu einer Ausstellung in New York, The Artist's Gallery, 1956, schrieb er: „Mein erbittertster Feind und Gegner ist der Ernst des Lebens, doch ich habe ihm schon viele Streiche gespielt. Der schönste und erfolgreichste wird mir mit meii. m Ableben gelingen, weil er die törichte Nachwelt vor die Aufgabe stellt, mein umfassendes Werk zu katalogisieren, und mich selbst zum Gegenstand von Doktorarbeiten zu machen.“

Diese Haltung habe ich einmal mit dem Bild „verbirgt sich im Scheinwerferlicht“ bezeichnet, denn auf öf fentlichkeit, auf Aktivität, auf Autorität hat Gütersloh

— eingestandener- oder uneinge-

standenermaßen — doch immer Wert gelegt.

Hinter einer vorgeschützten Unnahbarkeit blickte eine einfache, warme Menschlichkeit, die mit einer rührenden Unbeholfenheit kokettierte und dabei jede Situation souverän beherrschte und bestimmte.

Die scharfe Artikulation der Gedanken, die sich, dem jeweiligen Medium entsprechend, gleichermaßen in der überpräzisen Optik seiner Bilder und der genauen Definition seiner Überlegungen ausdrückte, war in ein beiläufig klingendes Erzählen und Schildern gehüllt. Das ganze Leben Güterslohs spiegelte sich in diesen Erscheinungen, in dem die überraschende Wendung, der scheinbar abrupte Bruch geradezu als Methode erscheint. Ausgerüstet mit dem humanistischen Bildungsgut des neunzehnten Jahrhunderts gehörte er zu den ersten Bilderstürmern des zwanzigsten.

Als noch nicht Zwanzigjähriger verwarf er den sicher scheinenden

vorbestimmten bürgerlichen Weg und begab sich in das Gestrüpp der Provinztheater, aus dem er meteorhaft zu Max Reinhardt nach Berlin und später noch einmal zu Hermine Körner nach München wandelte. Abrupt unterbrochen wurde diese Karriere durch eine literarische Arbeit, die als eine der wenigen „Inkunabeln des expressionistischen Stils“ auf Anhieb ein neues Licht in der deutschsprachigen Literatur zeigte: der in wenigen Wochen im Spätsommer 1910 entstandene und 1911 und 1913 gedruckte Roman „Die tanzende Törin“.

Ebenso überraschte Güterslohs Auftreten als Maler: gleichsam aus dem Nichts wurde er sofort mit dem Reininghaus-Preis bedacht und durch die Aufnahme als Sozietär in den Pariser „Salon d'automne“ ausgezeichnet. Doch Theater und Malerei mußten abermals dem Schriftsteller weichen, der 1922/23 vier Bücher herausbrachte und den Theodor-Fontane-Preis erhielt.

Einen vorläufigen Abschluß der literarischen Tätigkeit bildete die 1926 gedruckte „Große und kleine Geschichte“, eine Lebensbeschreibung „quasi un'allegoria“. Die späteren zwanziger Jahre gehörten wieder ganz dem Maler, zunächst in Cagnes-sur-mer, dann in Wien, als Lehrer an der Kunstgewerbeschule. Der scharfe Geist und die spitze Zunge Güterslohs, gewetzt an den „Marginalien zur Weltgeschichte“ in der „Wiener Zeitung“, mußten jedoch von einem Tag zum anderen verstummen.

Vollends ausgelöscht schien der schöpferische Mensch in den sieben Jahren von den tausend, die Europa verändern sollten. Die Begründung des verhängten Berufsverbotes — durch Förderung und Erzeugung „entarteter Kunst“ seine pädagogische Unfähigkeit bewiesen zu haben—lastete auch 1945 noch lange auf Gütersloh, aus dessen Schule an der Akademie der bildenden Künste in Wien eine überaus große Zahl heute anerkannter Künstler der gegenwärtigen mittleren Generationen hervorging.

Wieder schien der Schriftsteller über den Maler zu triumphieren. Acht Bücher und unzählige Beiträge erschienen in den letzten Jahren—aber in der nunmehr völlig privaten Werkstatt dominierten Pinsel und Farben.

Viel Anerkennung und Würdigung hat Gütersloh erfahren: außer den bereits genannten noch vier Staatspreise, zwei Auszeichnungen mit dem „Grand prix“, Würdigungspreis und Ehrenring der Stadt Wien, außerdem sind Werke seiner Hand und seines Geistes in Kirchen, repräsentativen Räumen, Museen und Bi-' bliotheken und Buchhandlungen dauernd gegenwärtig. Trotz all dieser Auszeichnungen blieb er sich selber treu: seine hohen Ansprüche an sein Publikum haben ihn nie populär im flachen Sinne werden lassen.

Die von ihm Angesprochenen verfolgten stets fasziniert die Hakenschläge, die er auf der Flucht vor seinen Talenten geschlagen hat, um sich zu finden. Uber sein Leben hinaus wirkt dieser wache Geist weiter.

Der Autor ist Direktor der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste und Verantwortlicher der gegenwärtigen Gütersloh-Ausstellung in der Wiener Sezession.

Zum 100. Geburtstag von Georg Trakl am 3. Februar 1987. Trakl war einer der bedeutendsten Frühexpressionisten der deutschen Sprache. In seiner von Baudelaire und Rimbaud beeinflußten phantastisch-metaphorischen Dichtung dominierten Trauer und Schwermut.

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