6906856-1980_47_03.jpg
Digital In Arbeit

Massenmedien im Werterleben des Kindes

19451960198020002020

Eine Generation ist nun in Österreich mit dem Fernsehen aufgewachsen, das Thema „Kinder und Massenmedien" ist aber noch keineswegs bewältigt. Ein Beitrag von Univ.-Doz. Dr. Alois Huter, Leiter der Abteilung Massenmedien am Institut fiir Moraltheologie der Universität Salzburg, und einige neuere Daten sollen Denkanstöße zu einer sorgfältigeren Medienerziehung sein.

19451960198020002020

Eine Generation ist nun in Österreich mit dem Fernsehen aufgewachsen, das Thema „Kinder und Massenmedien" ist aber noch keineswegs bewältigt. Ein Beitrag von Univ.-Doz. Dr. Alois Huter, Leiter der Abteilung Massenmedien am Institut fiir Moraltheologie der Universität Salzburg, und einige neuere Daten sollen Denkanstöße zu einer sorgfältigeren Medienerziehung sein.

Werbung
Werbung
Werbung

Medienpädagogik beschränkt sich bislang in den weitaus häufigsten Fällen darauf, dem Fernsehen (oder den Massenmedien allgemein) eine Liste all jener Entwicklungen bzw. Fehlentwicklungen vorzuhalten, welche durch sie verursacht und verschuldet seien; und wäre es bloß der Vorwurf, daß Kinder ganz einfach zuviel fernsehen!

Der Fehler dieser Argumentation liegt zunächst einmal in der monokausalen Betrachtungsweise beobachtbarer Veränderungen im Verhalten der Jugendlichen. Schwerer noch wiegt die Tatsache, daß die Pädagogen dabei gerne von Idealfaktoren ausgehen und daher von sich aus darüber befinden wollen, wie oft, wieviel, wann und vor allem: was die Jugendlichen sehen dürften.

Sicherlich spricht niemand dem Pädagogen das Recht ab, sich darum zu kümmern und auch Anregungen zu geben, wie oft, wieviel, wann und was der Jugendliche sehen soll. Aber er darf dies, wie mir scheint, nur unter einer Voraussetzung tun: nämlich erst, wenn er sich gründlich bemüht hat zu verstehen, warum sich ein Mensch überhaupt den Massenmedien zuwendet.

Für den Pädagogen heißt dies, daß7 eine Medienpädagogik am ehesten dann möglich wird, wenn man das Medium, in unserem Falle also das Fernsehen, aus der Position des jugendlichen Rezipienten zu verstehen trachtet. Um es auf die kürzeste Formel zu bringen: Medienpädagogik beginnt beim Kind, nicht beim Medium.

Alles in der uns umgebenden Welt wird für jeden von uns erst wirklich in der Bedeutung, welche wir den Dingen - auch den Massenmedien - geben. Nun liegt das Problem der Medienpädagogik aber vielleicht gerade darin, daß der Pädagoge dem Phänomen Fernsehen sehr häufig einen ganz anderen „subjektiven Sinn" und eine andere „Bedeutung" zumißt als der Jugendliche, den es - auch in bezug auf Fernsehen - zu pädagogisieren gilt.

Damit kommt es zu Konflikten und Differenzen im Deuten, Auslegen und Werten der Massenmedien. Daher ist die pädagogische Ausgangsfrage nicht jene, welchen Stellenwert der Pädagoge den Massenmedien einräumt, sondern jene nach der Bedeutung, welche Massenmedien für den jeweiligen Menschen haben, welchen Wert sie für ihn darstellen, welchen Platz der einzelne selbst ihnen in seiner subjektiven Wertrangordnung anweist.

Die Wertfrage im Zusammenhang mit Fernsehen lautet nicht so sehr: Welche - vielleicht wertvolleren - Dinge opfert der Mensch dem Fernsehen, sondern umgekehrt: welche - für ihn subjektiv wertvolleren - Dinge oder Beschäftigung sind dem Menschen in seiner jeweiligen Umwelt vorenthalten, was vermißt er, daß ihm Fernsehen als das relativ Sinn- und Wertvollere verbleibt?

Der Pädagoge, der die Frage nach „Umwelt" nicht stellt oder nur von den Massenmedien her beantworten wollte, weil er eben unsere Zeit ausschließlich als „Zeitalter der Massenmedien" zu sehen bereit ist, irrt im Grundsatz, weil er sich einer Analyse und Diagnose unserer Zeit verschließt.

Läßt sich denn über unser Zeitalter nicht auch anderes aussagen? Ist unsere Zeit nicht auch eine Zeit der zunehmenden Durchrationalisierung und Verpla-nung der Welt, wodurch der existentielle Freiraum des einzelnen, der Raum des Irrationalen und Spontanen, des Schöpferischen, der Phantasie, wie der „Spiel"-Raum (im wörtlichen Sinn) zunehmend eingeengt und beschränkt wird?

Für unsere Kinder werden in zunehmendem Maße Verbotstafeln zum entscheidenden Erlebnis: Eingang verbo-

„ Unsere kulturelle Situation darf mehr und mehr als das Zeitalter der Langeweile bezeichnet werden." '

ten, Durchgang verboten, Zutritt verboten! Betreten des Rasens verboten, Ballspielen verboten, Rodeln verboten! Im Grunde ist schon so ziemlich alles verboten, was Kindern früherer Generationen noch Herausforderung und Bewährung bot. Was bleibt dem Kind der Gegenwart - und insbesondere dem Kind der Großstadt - angesichts dieser Entwicklung eigentlich noch, als sich in jenen Freiraum der Phantasie zu flüchten, den ihm das Fernsehen noch offenhält?

Wohin kann heute eine Mutter mit ruhigem Gewissen noch ihre Kinder zum Spielen schicken, wenn sie von ihrem Recht, auch einmal alleinsein zu dürfen, Gebrauch machen will? In zunehmendem Maß ist das Kind der Gegenwart außer Haus gefährdet - und nicht nur allein durch den Straßenverkehr. Und es gefährdet selbst.

Ist nicht ferner unsere Welt eine Welt der schwindenden personalen und dialogischen Bezüge, ein Zeitalter der „abstrakten Gesellschaft", welche vom einzelnen schon im Prinzip nicht mehr verstehbar ist? Ob die Massenmedien den Abbau des personalen, unmittelbaren Dialogs bedingen oder ob es nicht eher umgekehrt ist, daß Massenmedien ersetzen sollen, wozu man nicht mehr fähig ist, das ist die Frage, die wohl nicht so ohne weiteres zu beantworten sein wird. Von der Auseinandersetzung mit ihr aber könnte die Medienpädagogik sicherlich profitieren.

Wenn unsere Gesellschaft - vielleicht zurecht - eine Konsumgesellschaft genannt wird (in welcher ab und zu versucht wird, selbst den menschlichen Höchstwert „Liebe" auf hedonistischen Sexualkonsum zu reduzieren), kann man innerhalb einer derartigen durchgehenden Einstellung Enthaltsamkeit und Verzichtbereitschaft ausgerechnet in Sachen Massenmedien glaubwürdig vertreten und begründen wollen?

Unser Zeitalter ist schließlich auch ein Zeitalter der zunehmenden Freizeit bei abnehmendem Freiraum, sodaß unsere kulturelle Situation mehr und mehr als das Zeitalter der Langeweile bezeichnet werden darf. Daß das Fernsehen eine willkommene Gelegenheit ist, mit der Freizeit in einer steril und abstrakt gewordenen Welt fertig zu werden, scheint mir eine sehr einleuchtende Erklärung zu sein.

Ebenso steht aber für mich außer Frage, daß Massenmedien in einem allfälligen existentiellen Vakuum „sinnstiftend" wirken. Der Mensch würde sich ihnen nicht so stark aussetzen, wenn ihm in dieser Beschäftigung nicht etwas ganz bestimmtes wichtig und sinnvoll schiene, wenn es sich für ihn nicht in irgendeiner Weise lohnen würde. In welcher Weise allerdings Fernsehen sinnstiftend für den einzelnen wird, das ist die Frage, die wir immer zu stellen haben, wenngleich sie kaum je erschöpfend und exakt beantwortbar sein wird.

Angesichts der Tatsache, daß sich in der Zuwendung zum Fernsehen eine eindeutige Wertung des Fernsehens manifestiert, daß Massenmedien also im Werterleben und Wertbewußtsein eines jeden Menschen eine ganz spezifische Rolle spielen, stellt sich nach meiner Uberzeugung das Problem der Medienpädagogik neu:

Massenmedien sind als Teil unserer kulturellen und gesellschaftlichen Welt auch ein Teil jener Wirklichkeit, zu welchem - wie zu jedem ihrer anderen Teile - der Mensch ein vernünftiges Verhältnis finden muß und die er zu beurteilen lernen muß. Erziehung zo Massenmedien, so gesehen, ist im ureigentlichsten Sinn nur im Gesamtkontext einer Erziehung zu Wertbewußtsein und zu autonomer Werturteilsfähigkeit zu sehen und zu verstehen.

Ich fürchte nur, daß diesbezüglich die Kompetenzen einer reinen Medien-

Pädagogik nicht allzuweit reichen werden. Eher dürfte diese Aufgabe doch, wohl zentrales Anliegen der allgemeinen Pädagogik sein und bleiben.

Was wir heute nahezu durchgehend feststellen können, ist die zunehmende Unfähigkeit des Menschen zu autonomer Sinnfindung. Wie weit diese Unfähigkeit durch Fernsehkonsum bedingt ist oder wie weit sie dadurch vielleicht nur kaschiert wird, ist im Augenblick belanglos. Denn auf jeden Fall sollte pädagogisches Bemühen - in der gegenwärtigen Welt vielleicht mehr denn je-auf die Bewahrung jener personalen Autonomie des Werturteils gerichtet sein.

Es hat sich eigentlich im Laufe der Zeiten nicht sehr viel geändert, trotz unterschiedlicher äußerer Umstände und Gegebenheiten. Wie immer, so besteht auch heute Erziehen in dem permanenten Bemühen, dem Menschen zu autonomer Sinn- und Wertfindung zu verhelfen und ihn nicht zu einem „Außengeleiteten" werden zu lassen, der angewiesen ist auf heteronome Sinnstiftung - und sei es durch das Fernsehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung