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Maßnahme-Gesetz?

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Die ursprüngliche Intention der SPÖ, das Rundfunkgesetz, welches im wesentlichen ein Produkt des Rundfunkvolksbegehrens war, mit dem sich die österreichische Sozialdemokratie nie ganz abgefunden, geschweige denn identifiziert hat, durch eine „Reform“ zu zertrümmern, ist durchgeführt. Rückblik-kend betrachtet, stellt das neue Gesetz einen teilweisen Rückschritt in die Zeit vor dem Rundfunkvolksbegehren dar. Österreich hat wieder einen regierungsnäheren Rundfunk, nur mit dem kleinen Unterschied, daß in Koalitionszeiten die Brisanz dieses Instruments durch gegenseitiges Mißtrauen und Überwachung entschärft wurde, der ORF in der gegenwärtigen Form jedoch ein Element des Wohlwollens für die jeweilige Regierungspartei sein könnte. Die SPÖ sollte freilich im Überschwang momentaner ORF-Euphorie nicht vergessen, daß sich der von ihr geschaffene Rundfunk in Zukunft auch allzuleicht als ein gegen sie gerichtetes Instrument darstellen könnte.

Österreich hat keinen völlig unabhängigen Rundfunk mehr; das zeigt besonders deutlich die Zusammensetzung des Kuratoriums (welches den früheren Auifsichtsrat ersetzen soll): 9 Bundesländervertre'ter, 4 Re-gierungs- sowie 6 Parteienvertreter; dazu kommen noch 5 Betriebsräte

Das neue Staatsoberhaupt dieses Landes hat am Tage seiner Angelobung in mehrfacher Beziehung einen positiven, erfreulichen, sympathisch berührenden Auftakt gesetzt.

Daß Kirchschläger seinem Eid das von der Verfassung ausdrücklich gestattete religiöse Bekenntnis („So wahr mir Gott helfe!“) anfügte, mag nach einem Wahlkampf, in dem er sich deutlich und bewußt als Katholik profilierte, als Selbstverständlichkeit empfunden werden. Daß er, wie wenige Wochen zuvor Präsident Gis-card d'Estaing. nach Angelobung und Parade den Staatswagen verschmähte und zu Fuß, mitten durchs Volk sozusagen, in die Hofburg ging, mögen die einen als Symbol mit tieferer Bedeutung, die anderen als Äußerlichkeit werten. Schwerer wiegt die Tatsache, daß sich Kirchschläger in der ersten Stunde seiner Präsidentschaft dazu bekannte, seinen eigenen Weg zu gehen, seine Meinung, wo immer und wann immer es ihm richtig erscheinen werde, zu sagen und kein bequemer Bundespräsident sein zu wollen. Doch im vollen Maß für sich eingenommen hat Kirchschläger auch Skeptiker damit, daß er in seiner Antrittsrede auf Menschen zu sprechen kam, die bei einem solchen Anlaß noch nie erwähnt wurden: die politischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten in diesem Land. Er schloß sie in sein Bekenntnis zur Toleranz ausdrücklich ein, womit er, nach einem Wahlkampf unter (für manche Österreicher allzu stark herausgestellten) christlichen Vorzeichen eine christliche Handlung setzte.

Zu hoffen steht, daß die schon am Anfang dieser Präsidentschaft angedeutete „Entkaiserlichung“ des Präsidentenamtes im vollen Ausmaß Wirklichkeit wird. Österreichs neue, sympathische, elegante First Lady mag ihrem Mann gerade dabei eine wertvolle Stütze sein.

sowie 6 Vertreter des neu.zu schaffenden „Hörer- und Seherbeirates“.

Kein Zweifel, die Regierungspartei hat sich hier eine schöne Mehrheit verschafft, denn das Kuratorium wählt nicht nur den Generalintendanten, sondern legt auch die allgemeinen Richtlinien fest; dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß der Generalintendant die letzte Programmverantwortung verliert.

Zur Wahl des Generalintendanten ist zwar eine Zweidrittelmehrheit notwendig, doch kann auch bei NichtZustandekommen einer solchen ein Generalintendant mit einfacher Mehrheit „provisorisch“ eingesetzt oder nach weiteren drei Monaten „Bewährungsfrist“ endgültig bestellt werden. Künftigen Anwärtern für dieses verantwortungsvolle Amt darf schon jetzt ans Herz gelegt werden, es sich mit der jeweiligen Regierungspartei in diesen drei Monaten nicht zu verscherzen.

Damit jedoch die viel zitierte Meinungsvielfalt nicht zu kurz kommt, gibt es nunmehr zwei Fernsehintendanten. Abgesehen von den politischen Implikationen (gemäß österreichischem Polit-Brauch ist demnach mit je einem roten sowie einem schwarzen Intendanten zu rechnen) wird sich diese Neuerung auch zweifellos ungünstig auf den Betrieb auswirken, da zwei konkurrierende Fernsehprogramme nicht nur erhebliche Mehrkosten, sondern auch eher ein Durcheinander als ein Miteinander verursachen werden.

Als juristische Konstruktion wurde aller legistischen Vernunft zum Trotz die Anstalt Öffentlichen Rechts gewählt, eine Rechtsform, die, wie schon mehrmals erwähnt (FURCHE 11 und 17/1974), nicht nur eine österreichische Neuschöpfung darstellt, sondern auch in zahlreichen Teilaspekten dem Geist des Volksbegehrens nach einem unabhängigen Rundfunk widerspricht. Immerhin stellte auch noch die Rundfunkreformkommission 1973 fest, daß einer Anstalt „praktischpolitische“ Einwände entgegenstehen: so zum Beispiel die Rechtsaufsicht der Bundesregierung, die Finanzierung (die in Form von Bundeszuschüssen zu regeln wäre), das Dienstrecht der ORF-Angestellten usw.; kurz gesagt: der ORF würde quasi ein Teil der staatlichen Vollziehung, genauer gesagt: der Bundesverwaltung, werden.

Das bringt vom Grundsatz her eine noch stärkere Akzentuierung des Staatsrundfunks, der — leidenschaftslos betrachtet — durchaus auch seine Vorteile gegenüber kommerziellen Rundfunkstationen hat, solange er nicht zu einem Regie-rungs-, Parteien-, Proporz- oder Sozialpartnerrundfunk degradiert wird.

Betrachtet man diese politischen Auspizien, muß man sich ernsthaft fragen, welche Funktion der neu zu schaffende Hörer- und Seherbeirat und die Beschwerdekommission haben sollen. Die Tatsache, daß das bereits vorhandene und gut funktionierende Redakteursstatut, welches zwischen ORF-Geschäftsführung, Redakteuren und Gewerkschaft abgeschlossen wurde, durch ein neues ersetzt werden soll, läßt sich ebenfalls schwer durch notwendige Motive belegen. Und eines sollte man letztlich auch nicht vergessen: dieses neue Gesetz, das letztlich unter der nicht wenig zugkräftigen Parole „Weg mit Bacher!“ zustande kam, ist ein „Maßnahmegesetz“, mit all seinen immanenten Mängeln und Bedenklichkeiten der raschen Verabschiedung.

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