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Materialschlacht um die Macht

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Die Hektik und Nervosität der Wahlkämpfer und das technische Raffinement der politischen Werbemanager stoßen beim umworbenen Publikum auf wenig Gegenliebe. Mehr als 70 Prozent der österreichischen Wähler reagieren bereits bei der Nennung des Begriffs „Wahlkampf“ negativ bis feindselig.

Was in der Theorie der edle Wettstreit zwischen konkurrierenden Ideen, Programmen und Persönlichkeiten sein soll, wird von der Bevölkerung als vorder-

gründiges Streiten und plumper Wählerfang wahrgenommen. Technisch perfekte und nach subtilen Kriterien konzipierte Werbemittel und Werbebotschaften werden von der Mehrheit der Umworbenen als triviale Wort- und Bildhülsen aufgenommen. Wahlkampf bedeutet aus der Sicht der Wähler vergeudete Werbemillionen und derbe Entgleisungen der kämpfenden Akteure.

Warum - eine berechtigte Frage — stürzen sich die Parteizentralen immer wieder in solch aufwendige Kampfspiele und Materialschlachten, wenn die Wähler ohnehin vom Wahlkampf nichts halten und nur darauf warten, daß er wieder vom politischen Spielplan abgesetzt wird?

Welche Wirkung haben Wahlkämpfe, und wer läßt sich vom Artilleriedonner der 24-Bogen-Pla- kate und der flimmernden Scheinwirklichkeit der f ünf minü- tigen TV-Belangsendungen in seinem persönlichen Wahlverhalten beeinflussen?

1. Die zentrale Funktion des Wahlkampfes ist die Aktivierung der Parteibasis und der Stammwählerschichten. Funktionäre und Parteimitarbeiter benötigen den symbolischen „Feuerschutz“ der überdimensionierten Großplakate, die verknappten Botschaften der Wahlkampf slogans und die martialische Entschlos senheit der politischen Hauptakteure, um ihrerseits motiviert zu werden, politische Gespräche zu führen, den Standpunkt der eigenen Partei in zahllosen Gesprächen im Bekannten- und Kollegenkreis zu vertreten.

So bewirkt der auf den Plakatwänden sichtbare Wahlkampf zahllose unsichtbare Wahlgefechte, die von deftigen Uberredungs- versuchen bis zum subtilen Austausch von Argumenten reichen und im günstigsten Fall ein breitflächiges Meinungsklima zugunsten einer bestimmten Partei erzeugen können.

2. Die zweite — und nicht minder wichtige — Aufgabe eines Wahlkampfes ist die Verstärkung beziehungsweise Rückgewinnung der Parteiloyalität beziehungsweise Parteisympathie von schwankenden und kritisch eingestellten Randwählerschichten. Im Wahlkampf versuchen die Parteien ihr Wählerpotential möglichst voll auszuschöpfen und an alle jene einen Loyalitätsappell zu richten, die dieser Partei nahestehen beziehungsweise die diese Partei schon beim letzten Mal gewählt haben.

Da nur jeder dritte Wähler einer der beiden Großparteien in den zentralen Mitgliederevidenzen erfaßt ist, versuchen die Parteien im Wahlkampf ihr nichtorganisiertes Wählerpotential zu mobilisieren und durch Loyalitätsund Sympathieappelle bei der Stange zu halten.

3. Die dritte Funktion von Wahlkämpfen ist die offensivste: mit subtilen Botschaften und wirksamen Argumenten sollen ehemalige Wähler der Partei A dazu gebracht werden, diesmal die Partei B zu wählen.

Es ist das das Terrain der Wechselwähler- und Zielgruppenstrategen, der Hexenmeister raffinierter Umfragemethoden, der Spezialisten für Zielgruppensegmentationen und Direct-Mail- Appelle, der Zauberkünstler raffinierter Bild- und Textsymbole und der Regisseure des täglichen Medienereignisses und der Kunst,

sich vor laufenden Fernsehkameras medien- und zielgruppengerecht zu präsentieren und darzustellen.

Es ist dies ein mühseliges und diffiziles Unterfangen, bedenkt man, daß die Gruppe „potentieller Wechselwähler“ nur aus rund

500.000 Wählern besteht. Aber diese halbe Million Wähler entscheidet letztlich den Wahlausgang und hält ihn buchstäblich bis zur letzten Woche „offen“.

Jeder dritte Wähler, der 1979 eine andere Partei als 1975 wählte, hat seine persönliche „Wechselentscheidung“ erst in den letzten 60 Tagen des Wahlkampfes getroffen.

Preis für Demokratie

Am Höhepunkt des Intensivwahlkampfes, d. h. in den letzten zehn Tagen der Kampagne, haben sich 1979 nach eigenen Angaben noch vier Prozent der Wähler entschieden, welcher Partei sie am Wahltag ihre Stimme geben wollten: Vier Prozent, die den tatsächlichen Wahlausgang maßgeblich beeinflußt haben, vier Prozent, die als sogenannte „late deciders“ im Kalkül der Wahlstrategen einen besonderen Platz einnehmen.

Solange daher konkurrierende Parteien um den Wahlsieg kämpfen, wird der Bevölkerung der ungeliebte Wahlkampf nicht erspart bleiben.

Der Wahlkampf ist ein Preis für das Leben in einer Demokratie, wenn auch das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen kritisch zu diskutieren ist. Im Vergleich zur „Friedhofsruhe“ in totalitären Staaten ist das gelegentliche Ärgernis über das Medienspektakel Wahlkampf noch immer vorzuziehen.

Und im übrigen sei allen Wahlkampfkritikern mitgeteilt: in drei Wochen ist auch dieser Wahlkampf ausgestanden. Bis zum nächsten Mal.

Der Autor ist Sozialforscher und Leiter der Grundlagenforschung in der Bundesparteileitung der OVP.

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