7212741-1992_37_11.jpg
Digital In Arbeit

MAUERBLÜMCHEN AUTONOME KULTURSZENE

Werbung
Werbung
Werbung

Sie sind die Mauerblümchen der österreichischen Kulturlandschaft: selbständige Kulturinitiativen und -vereine, die ihren eigenen Weg gehen, abseits der komfortablen Straßen traditionsreicher Festivals, und medienwirksamer Großveranstaltungen. In etwa 400 Kulturbetrieben der autonomen Kulturszene arbeiten zirka 2.000 Angestellte, dazu kommen noch weitere 5.000 Mitarbeiter, die sie unterstützen.

Nicht selten erfolgt diese Unterstützung in Form einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Müßte diese Arbeit bezahlt werden, so käme das ganze auf (geschätzte) 300 Millionen Schilling (nur für den Stundenlohn) beziehungsweise auf 700 Millionen Schilling (Sozialversicherung eingeschlossen). Gemeinsam stellen die Ehrenamtlichen und die Angestellten jährlich etwa 30.000 Veranstaltungen auf die Beine.

Über ganz Österreich verstreut leisten diese autonomen Kulturbetriebe damit einen unverzichtbaren Dienst für die Bevölkerung: sie bringen kulturelle Vielfalt in die entlegensten Regionen, dorthin, wohin sich kein anderer Veranstalter je wagen würde. Weil es sich nicht rechnet. Reichtum und Karriere sind mit dieser Art Kul-

turarbeit nicht zu machen, das wissen auch die, die in der autonomen Szene tätig sind.

Es gehört wohl eine ordentliche Portion Idealismus dazu, trotzdem weiterzuarbeiten, und das zu oft schauerlichen Bedingungen. „Man wartet heute auf große Ereignisse, da geht jeder hin, aber für die alltägliche Kleinarbeit interessiert sich keiner", beschreibt Gerald Gröchenig die Lage. Gröchenig ist Generalsekretär der Interessengemeinschaft (IG) Kultur, eines Dachverbandes, der über hundert Mitglieder aus der alternativen Kulturszene zählt. Als Ziele haben sie eines gemeinsam: die Lage der alternativen Kulturarbeit in Österreich (und derer, die sich dafür engagieren) zu verbessern.

Erfahrungsaustausch

Die Gratwanderung ist ohnedies schon schwierig genug: für niedrige Honorare (wenn überhaupt) müssen die Verantwortlichen mit mehr als beschränkten Mitteln professionelle Arbeit leisten. Organisation undkünst-lerische Qualität müssen ebenso stimmen wie Öffentlichkeitsarbeit und rechtliche Angelegenheiten. Nicht selten zwingt der fehlende Kontakt untereinander die einzelnen Initiativen

dazu, immer wieder bei Null anzufangen.

Damit das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muß, ist es ein Ziel der IG Kultur, den gegenseitigen In-formations- und Erfahrungsaustausch zu fördern. Vernetzung lautet das Zauberwort, sowohl österreichweit als auch auf internationaler Ebene. Zu diesem Zweck wurde unter anderem die Zeitschrift „Kultur bewegt" gegründet.

Weitere Schwerpunkte der IG liegen auf dem Gebiet der Weiterbildung (1992 werden vier Seminare zu unterschiedlichen Themen angeboten) sowie der aktiven Mitarbeit an der Kulturpolitik. So wurde zum Beispiel 1991 auf Forderung der IG-Kultur im Unterrichtsministerium die Abteilung Kulturentwicklung eingerichtet. Die Zusammenarbeit zwischen dieser Abteilung und der IG Kultur ist eng, aber nicht immer ohne Spannungen.

Ein Punkt der Kritik an der Abteilung für Kulturentwicklung ist, daß sie das künstlerische Element zu stark betont. „Die Grundintention läuft in die falsche Richtung", meint Franz Primetzhofer, Vorsitzender der IG Kultur. „Damit möchte ich aber nicht sagen, daß nicht auch bestimmte Er-

folge erzielt worden sind." Kultur umfaßt für ihn (und für viele andere aus der autonomen Szene) nämlich einen weiteren Bereich als den des künstlerischen Schaffens. Kultur ist in diesem Sinn alles, was vom Menschen gestaltet ist. Deshalb sind Frauenzentren oder Jugendtreffs genauso Bestandteil einer alternativen Kulturszene wie Galerien oder Programmkinos.

Miteinander Leben = Kultur

Dieser umfassende Kulturbegriff, der das künstlerische Schaffen zwar miteinschließt aber weit darüber hinausgeht, hat auch eine eigene Bezeichnung: Insider sprechen von „So-ziokultur". Frei nach dem Motto: „Miteinander Leben ist genauso Kultur wie das Kunstwerk in einem Museum."

So umstritten dieser Ansatz in einer breiteren Öffentlichkeit auch sein mag, er ist tragendes Element der autonomen Kulturarbeit, und als solches zu respektieren. Es geht hier nicht um allgemeingültige Definitionen, sondern um eine möglichst große Bandbreite dessen, was alles als Kultur betrachtet werden kann. Die autonomen Kulturmacher jedenfalls pochen auf Vielfalt, auch in ihren

eigenen Reihen.

Unterschiedlich sind aber nicht nur die Vorstellungen von Kultur, sondern auch die Bedingungen, unter denen diese dann verwirklicht werden. Da die Förderung autonomer Kulturprojekte im großen und ganzen Landessache ist, sieht es hier von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden aus. Während die Lage beispielsweise in Salzburg oder in Oberösterreich nicht so schlecht ist, sind Kärnten und vor allem das Burgenland so etwas wie Entwicklungsländer in Sachen Al-temativkultur. Im Burgenland gibt es ganze drei Projekte, die zur IG Kultur gehören.

Wer für diesen Mißstand verantwortlich ist? Sicher liegt es zunächst einmal am fehlenden Interesse und Engagement von Kulturpolitikern und Kulturbeamten. „Wir werden von einem Sekretär zum anderen verschoben", erklärt Reinhard Handl. Aber auch an seinen etablierten Kollegen übt er Kritik: „Es gibt beispielsweise viele Künstler, die im Burgenland ihren Alterssitz haben oder ihr tolles Atelier. Aber was da sonst kulturell vor sich geht, darum kümmern sie sich überhaupt nicht." Hier täte noch viel Solidarität not - und eine andere Kultur im Umgang miteinander.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung