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Max Pokorny oder die Pflichterfüllung

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Pokorny, Max, geboren 1877 in Scheibbs, Niederösterreich, hingerichtet 1944 in Wien, entstammte einer Familie, deren männliche Mitglieder seit Menschengedenken in Schreibstuben hockten. Genealogische Forschungen ergaben, daß ein Pokorny freilich als subalterner Beamter, am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag gedient hatte und daß der Großvater dieses Hofbeamten dem Abt von Fulda ebenfalls als Schreiber zu Diensten gestanden war. Ausnahmen gab es zwar, doch blieben sie unerheblich, da die Söhne und Enkel söhne jener seltenen Pokornys, die als wandernde Kürschner, im Weinhandel oder als Schafzüchter tätig waren, in die Schreibstuben zurückkehrten. Nach und nach hatten sie sich offenbar ihrer Umgebungangepaßt: sie waren großgewachsene sehnige Menschen, die im vorgerückten Alter an Magengeschwüren und Hämorrhoiden litten, laute Gesellschaften mieden und ihre Arbeit mit der größten Genauigkeit verrichteten. Alles, was außerhalb ihrer amtlichen oder familiären Pflichterfüllung lag, blieb ihnen fremd - außer der Natur, die sie gerne aufsuchten, um sich an der Ordnung der göttlich geregelten Abläufe von Tod und Wiedergeburt zu ergötzen und daran, daß auf einem reifen Weizenfeld Hunderttausende von gleichen Ähren zu betrachten oder auf dem Boden eines Nadelwaldes Zehntausende von gleichförmigen Tannenzapfen zu sehen waren.

Dieser Ordnungsliebe entsprach auch die oft belächelte, manchmal allerdings trotzdem bewunderte Po-kornysche Moral, die hieß: gewissenhafte Arbeit zu leisten ohne Rücksicht auf den Inhalt des Schriftstük-kes, das gerade zu erledigen, abzulegen oder auszuheben war.

Max Pokornys Vater war bei der k. k. Wasserbehörde in Scheibbs beschäftigt. Er ehelichte im Jahr 1872, an seinem dreißigsten Geburtstag - da auf diese Weise beide Feste kostengünstig auf einen einzigen Tag fielen - die bereits etwas verblühte (oder verhärmte?), ihm aber seit genau zehn Jahren wohlbekannte Tochter Rosa seines älteren, allseits bekannten Amtskollegen Josef Dostal. Fünf Jahre später brachte Rosa einen Sohn zur Welt, der zu Ehren des Bruders des Kaisers den Namen Maximilian erhielt, später aber in der Familie nur Max genannt wurde.

Max besuchte die Volksschule und anschließend das Gymnasium in Scheibbs; danach hätte er nach dem Willen seines Vaters an der Universität Wien Jus studieren sollen, um - eine bis dahin ungeträumt gebliebene Pokornysche Wunschvorstellung - die Laufbahn eines höheren Beamten ergreifen zu können. Doch Max Pokorny war schon als Kind tief religiös. Sein Entschluß, Priester zu werden, stand bereits im dreizehnten Lebensjahr fest. Die Pokornysche Gewissenhaftigkeit hatte noch früher bewirkt, daß er zu den verläßlichsten Ministranten gehörte und vom Pfarrer bald mit ernsteren Aufträgen bedacht werden konnte. Rosa Dostal war von der Vorstellung, ihrem Sohn eines Tages im Habit eines Priesters zu begegnen, begeistert, und ihr Mann fand nach längerer und gründlicher Überlegung der Angelegenheit keine Ursache, die Pläne des Sohnes zu vereiteln. Ein Stipendium löste die finanziellen Probleme. Max studierte also, nachdem er die Matura wenngleich nicht ausgezeichnet, so doch mit gutem Erfolg bestanden hatte, in Wien Theologie und wirkte zugleich als Hauslehrer verschiedener junger Schüler, zu denen auch Andräs Wirth gehörte.

Nachdem er sich mit der Theologie in zwei Semestern vertraut gemacht hatte, zog er ins Priesterseminar. Seine Weihe erfolgte im Jahr 190t. Nach weiteren Studien in Rom und in Köln wurde er Religionslehrer an einem Gymnasium, zuerst in St. Pölten und dann in Wien, wirkte während der Kriegsjahre 1914-18 als Feldgeistlicher bei den Truppen in Serbien und Rußland und kehrte 1919 an das Gymnasium in Wien zurück.

Als Religionslehrer, Pfadfinderführer und Helfer der Actio Catholica fühlte sich Max Pokorny nicht ausreichend gefordert. Aus seinen Schülern, manchen aufgeweckten jungen Leuten der Pfadfindergruppe und manchen dichterisch veranlagten Mitgliedern der Actio Catholica bildete er bald einen Gesprächskreis, der - eine Seltenheit in den zwanziger Jahren - Mädchen und Frauen miteinbeschloß. Es ging ihm allein um die Verinnerli-chung des Glaubens, aber es konnte nicht ausbleiben, daß man sich auch mit Politischem befaßte. Zuerst wurde über den Bolschewismus und seinen Anspruch, ein pseudoreligiöses System zu errichten, diskutiert, dann über das schillernde Bild der Sozialdemokratie; bald wandte sich allerdings das alarmierte Interesse dem Phänomen des Nationalsozialismus zu, der auch in kirchlichen Kreisen offenbar manche Anhänger gefunden hatte. Max Pokorny sah im Nationalsozialismus den Aufstand der wohl getauften, aber zum Christentum nicht wirklich bekehrten Barbaren gegen das eigentliche Wesen der Kirche. So wurde der Gesprächskreis, dessen Mitglieder freilich wechselten, mit der Zeit zu einem Kristallisations- und Treffpunkt von jungen Menschen, die - ratlos und aufgewühlt - in ihrer Umgebung auf beunruhigende Fragen keine Antwort finden konnten.

Max Pokorny ließ in den vielen Gesprächen, die in seiner Wohnung geführt wurden - es gab Wein und belegte Brötchen - erkennen, daß er deutschen Ursprungs, aber Böhme war, und erzählte mit der Pokorny-schen Gründlichkeit über seine Vorfahren.

Als die Truppen des Dritten Reiches im Jahr 1938 Österreich besetzten, versuchte Max Pokorny, den Gesprächskreis zusammenzuhalten und darüber hinaus manches zu bewirken. Er vermerkte mit einiger Genugtuung, deren wohlige Selbstzufriedenheit zur Lage freilich nicht paßte, daß sich Mitglieder der Runde veranlaßt sahen, verfolgten Menschen zu helfen, und daß er im einundsechzigsten Lebensjahr Kraft genug besaß, den Gesprächskreis in eine kleine lächelnde Verschwörung zu verwandeln.

Die Beamten der Gestapo verhafteten Max Pokorny i m März 1943. Sein Prozeß war kurz. Er wurde, wie Pater Scholz, den er nur vom Hörensagen kannte, im zu diesem Zweck eingerichteten, mit einem Vorhang versehenen Raum des Wiener Land(es)gerichtes geköpft. Der Henker, der 1944 eigens aus Berlin angereist war, um das Fallbeil sachgemäß zu bedienen, stellte ein entsprechendes Honorar plus Tagesspesen in Rechnung. Ein anderer Pokorny namens Wilhelm hat die entsprechenden Unterlagen in Berlin-West gewissenhaft archiviert.

Auszug aus dem Romanfragment: WIRTH -LEXIKON EINES LEBENS. Aus dem Nachlaß durchgesehen und gekürzt von Helga Bla-schek-Hahn.

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