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Max Reinhardt und der Film

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Max Reinhardt, geboren am 9. September 1873 in Baden bei Wien, gestorben am 30. Oktober 1943 in New York, ist unbestritten die bedeutendste Persönlichkeit des deutschsprachigen Theaters im ersten Drittel unseres Jahrhunderts. So abgerundet und eindeutig seine Gestalt als Reformer, Revolutionär und Regisseur (nicht weniger als Prinzipal) der Bühne dasteht, so wenig ist Reinhardts Verhältnis zu einer anderen Kunstform bekannt und geklärt, deren Entwicklung sich zur gleichen Zeit vollzog und die in der gleichen Zeitspanne, aber mit noch gewaltigeren Schritten mitwuchs: dem Film. Doch muß wohl als ganz logisch und folgerichtig erscheinen, daß die immer wachsende Bedeutung des neuen Phänomens der Kinematographie, die ja besonders in ihren Anfangsj ahren zahlreiche Schnitt- und Berührungspunkte zum Theater aufwies, ein so lebhaftes und dynamisches Temperament wie Reinhardt zumindest theoretisch beschäftigte und interessierte. So konnte es auch nicht ausbleiben, daß sich endlich der Meister selbst in der Filmregie versuchte — einmal, in der Frühzeit des stummen Films, und schließlich in der Hochblüte der dreißiger Jahre. Darüber hinaus hatte Reinhardt jedoch auch bedeutenden indirekten Anteil an der Weiterentwicklung der Kunstform Kino: sein Bühneninszenierungsstil gab dem deutschen Stummfilm jene Anregungen, die ihn richtungweisend für eine ganze Epoche machten.

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Max Reinhardt, geboren am 9. September 1873 in Baden bei Wien, gestorben am 30. Oktober 1943 in New York, ist unbestritten die bedeutendste Persönlichkeit des deutschsprachigen Theaters im ersten Drittel unseres Jahrhunderts. So abgerundet und eindeutig seine Gestalt als Reformer, Revolutionär und Regisseur (nicht weniger als Prinzipal) der Bühne dasteht, so wenig ist Reinhardts Verhältnis zu einer anderen Kunstform bekannt und geklärt, deren Entwicklung sich zur gleichen Zeit vollzog und die in der gleichen Zeitspanne, aber mit noch gewaltigeren Schritten mitwuchs: dem Film. Doch muß wohl als ganz logisch und folgerichtig erscheinen, daß die immer wachsende Bedeutung des neuen Phänomens der Kinematographie, die ja besonders in ihren Anfangsj ahren zahlreiche Schnitt- und Berührungspunkte zum Theater aufwies, ein so lebhaftes und dynamisches Temperament wie Reinhardt zumindest theoretisch beschäftigte und interessierte. So konnte es auch nicht ausbleiben, daß sich endlich der Meister selbst in der Filmregie versuchte — einmal, in der Frühzeit des stummen Films, und schließlich in der Hochblüte der dreißiger Jahre. Darüber hinaus hatte Reinhardt jedoch auch bedeutenden indirekten Anteil an der Weiterentwicklung der Kunstform Kino: sein Bühneninszenierungsstil gab dem deutschen Stummfilm jene Anregungen, die ihn richtungweisend für eine ganze Epoche machten.

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Reinhardt stand dem Film — er nannte ihn immer nur „Flim“, von „flimmern“ — zunächst recht ablehnend gegenüber. Dies hatte seinen besonderen Grund: seine Schauspieler kamen nämlich oft von den Filmaufnahmen verspätet zu den Proben, was Reinhardt verärgerte. Dennoch gelang es schon bald Paul Davidson, einem großen Förderer des frühen deutschen Films und Leiter der Projektions-AG „Union“ (PAGU), Berlin, sich mit Max Reinhardt in Verbindung zu setzen; von diesen ersten Gesprächen bis zur Übernahme einer Filmregie war kein weiter Weg: 1913 gelang es der „Union“, Max Reinhardt für ihre „Filmfabrik“ zu gewinnen; der Vertrag zwischen ihm und der Firma sah vor, von 1913 bis 1916 je vier Filme pro Jahr herzustellen — eine Vereinbarung, die jedoch bald in gegenseitigem Einverständnis wieder aufgelöst werden sollte. Für jeden Film erhielt Reinhardt ein garantiertes Honorar von 50.000 Mark, das sich jedoch bei einigermaßen gutem Filmabsatz auf 80.000 Mark steigern konnte, da ihm eine erhebliche prozentuale Beteiligung zugesichert war. Im Spätsommer 1913 drehte Reinhardt dann unmittelbar hintereinander die beiden ersten Filme, zuerst „Eine venezianische Nacht“ (nach einer phantastischen Pantomime von Carl Vollmöller, der das Drehbuch geschrieben hatte und auch als Beirat des Regisseurs fungierte) und dann „Die Insel der Seligen“ nach einem Drehbuch von Arthur Kahne, wobei der Maler Paul von Schlippenbach bei der Regie mitwirkte. Zu mehr als zu diesen beiden Filmen ist es dann allerdings nicht mehr gekommen.

„Eine venezianische Nacht“ — der Film wurde aber erst im Juni 1914 von der PAGU als zweiter Max-Reinhardt-Film herausgebracht — ist eine Art filmischer Commedia dell'arte mit dem reizvollen Hintergrund der späten Dogenzeit. Dabei wurde Reinhardt zum Schrecken der Kameraleute: er wollte durchaus die Lagune im Mondlicht aufnehmen, das Spiel der Wellen photogra-phieren, die Palazzi in der Ferne verdämmern lassen — lauter Probleme, die der heutige Film spielend löst, die aber für den Kameramann von 1913 technisch unüber-steigbare Hindernisse waren. Am 3. Oktober 1913 kam dann zur Eröffnung des „Union-Palastes“ am Kurfürstendamm in Berlin — also noch vor der „Venezianischen Nacht“ — Reinhardts zweiter Film heraus, „Die Insel der Seligen“, ein Werk, das — ebenfalls in der Natur aufgenommen — viele Regieunbeholfenheiten aufweist. Es handelte sich hier um Doppelrollen: einfache Spießbürger vergnügen sich auf einer Insel; zu gleicher Zeit sind diese braven Leute aber auch Götter, die die Sterblichen necken und verspotten. Es ist im Thema das gleiche Kleinbürgertum wie in Kotzebues „Die deutschen Kleinstädter“, die Reinhardt damals auf der Bühne in Szene setzte. Überdies erinnert im Film ein Reigen an die frühen „Sommernachtstraum“-Aufführungen. Doch immerhin vermerkten die damaligen Kritiker, daß die direkte Gegenüberstellung von Gestalten, die von denselben Darstellern verkörpert werden, rein technisch ein Meisterstück sei und noch nie in einer solchen Vollendung ausgeführt wurde.

Doch darf hier nicht versäumt werden, auf einen weiteren Reinhardt-Film hinzuweisen, der in der Filmliteratur über Reinhardt bisher vergessen wurde, nämlich eine Art dokumentarischer Verfilmung seines Mysterienspiels: „Das Mirakel“, eine vieraktige autorisierte Fassung des Vollmöller-Schauspiels (wobei die Außenaufnahmen auf der Burg Kreuzenstein erfolgten); diese „Kinematographische Reproduktion“ wurde im Mai 1914 im Variete „Palast am Zoo“ in Berlin erstaufgeführt... Dieser heute nicht mehr existierende Film dürfte eine Art Vorläufer der heutigen Bühnendokumentationen sein.

Ende 1913 zog sich Reinhardt jedoch vom „Flim“ zurück, durch Theaterverpflichtungen abgehalten und auch, wie er wörtlich erklärte, „vom Geschäftsbetrieb angewidert“. Erst Jahre später, . im Exil, in Amerika, sollte er sich wieder mit ihm beschäftigen. In der Zwischenzeit kam das Genie Reinhardts mit dem Medium der Kinematographie aber in einer anderen Form in Berührung, die eine weitaus nachhaltigere Wirkung haben sollte und von weitaus größerer Bedeutung für die Entwicklung der siebenten Kunst war als seine kurze Filmregie-Tätigkeit...

Am Ende des ersten Weltkriegs, zu Beginn der zwanziger Jahre, erlebte der deutsche Film die höchste Blütezeit seiner Geschichte, die damals Deutschland zum führenden Filmland der Welt machte. Am künstlerischen Anfang standen zwar die nach italienischem Vorbild gestalteten großen historischen Schau-und Kostümfilme, doch dann entwickelte sich — nach dem Vorbild des „Kabinetts des Dr. Cali-gari“ ein eigener „expressionistischer Filmstil“, und dann entstand der in Abwendung vom Expressionismus geförderte „Kammerspiel-fllm“ mit seiner stärkeren Orientierung zur Realität. In allen diesen Erscheinungsformen hat Reinhardt inspirierend und befruchtend gewirkt.

Die Regisseure, die mit der Inszenierung von Großfilmen betraut wurden, waren keineswegs auf das Vorbild der Italiener angewiesen. Im zeitgenössischen Theater, bei Max Reinhardt, bot ihnen das eigene Land eine Inspirationsquelle; das chorische Arrangement der Komparserie und die dynamisch wechselnden Helldunkel-Kontraste ließen sich direkt in den Film übernehmen. Regisseure wie Dimitri Buchowetzki („Danton“, 1920, „Othello'', 1922), Richard Oswald („Lucrezia Borgia“, 1922, „Carlos und Elisabeth“, 1924) und Richard Eichberg („Monna Vanna“, 1922) verließen sich fast gänzlich auf Anregungen, die sie Von Reinhardtsohen Bühneninszenierungen empfangen hatten. Besonders bei den Interieurs sind von Reinhardts Bühnenaufführungen entnommene Effekte zu bemerken.

Von der 1917 bei Reinhardt erfolgten Aufführung des „Bettlers“ von Reinhard Johannes Sorge, die in streng expressionistischem Stil gehalten war (was aber mehr auf Geld- und Materialmangel in den letzten Kriegs jähren zurückzuführen sein dürfte, denn Reinhardt war weit eher Impressionist), leitet Siegfried Kracauer stärkste Impulse für die Entwicklung des expressionistischen Films ab. Wenn auch das graphische Element im „Caligari“-Film weit mehr Bedeutung besitzt als das theatralische, so sind manche Lichteffekte dennoch eindeutig auf den Einfluß Reinhardtseher Bühneninszenierungen zurückzuführen. In den späteren expressionistischen Filmen (wie Pauls Lenis „Wachsfigurenkabinett“, 1924) ist dies am deutlichsten nachzuweisen. Manche Lichteinfälle und Bauten in Fritz Längs „Nibelungen“-Film (1924) erinnern an Szenen in den ,,Sommernachtstraum“-Inszenierun-gen Reinhardts; und in Friedrich Wilhelm Murnaus Filmwerken — in seinem „Faust“ (1926) begegnen wir ebenso Reminiszenzen an Bilder Böcklins wie in Längs „Nibelungen“ und in Reinhardts „Sommernachts-traum“ — finden sich so viele Elemente Reinhardtscher Wesensart, daß der Heidelberger Kritiker und Schriftsteller Ulrich Seelmann-Eggebrecht feststellt, „In vielen Einzelheiten seiner (d. h. Murnaus) Re-giekunst spürt man den Schüler Max Reinhardts. Allerdings nicht des späteren Reinhardt der Zirkus-Inszenierungen, sondern des Reinhardt der Schauspielerführung und Ensemblebildung, des beherrschten Raumes, des Atmosphäre malenden Realismus, des fein ziselierten Kammerspiels. Des Reinhardt also, der aus der Welt Hofmannsthals und Maeterlincks kam,“

Reinhardt selbst hatte in den zwanziger Jahren jedoch keine direkten Beziehungen zum Film; ein Projekt — die Verfilmung des Th erese-von-Konnersreuth-Themas nach einem Drehbuch von Hugo von Hofmannsthal — mit der „United Artists“ kam infolge der Umstellung vom stummen auf den tönenden Film nicht mehr zustande. So brachte also erst das Jahr 1935 Reinhardt wieder mit dem Film in direkten Kontakt, als die „Warner Brothers“ ihn nach seiner vielumjubelten „A Mid-summer Night's Dream“-Inszenierung, die er in deutscher Sprache im Century in New York und hierauf Englisch in Los Angeles und San Franzisko zeigte, für die Filmregie dieses Shakespeare-Lustspiels verpflichteten. Ein glänzendes Ensemble amerikanischer Schauspieler stand ihm zur Verfügung, sein alter Freund und Mitarbeiter Wilhelm (William) Dieterle — der „Demetrius“ in der Berliner Schauspielhaus-Aufführung von 1921 — half ihm bei der Filmtransponierung, doch der erwartete triumphale Erfolg blieb aus ...

Der „Soinmernachtstraum“ war immer die bekannteste und am meisten ausgeschöpfte Theaterinszenierung Max Reinhardts gewesen — dreizehnmal hatte er ihn zwischen 1904 und 1934 immer wieder neu und immer wieder anders inszeniert, auf deutsch, italienisch und englisch; er spielte ihn auf Theatern, in Festspielhäusern, Parks und Freiluftarenen, immer wieder in anderer Stilisierung und in anderer Umgebung: im Park des Kleßheimer Schlosses, auf dem Campus der Oxforder Universität, in den Boboli-Gärten von Florenz und zuletzt in der Hollywood Bowl.

So schien Reinhardt wie kein zweiter berufen zu sein, dem schwerelos schwebenden Zauberspiel seine filmische Form zu geben; dennoch — oder viellaicht gerade deshalb blieb das Ergebnis ungenügend: die Filminszenierung war dem Theater mehr verhaftet als dem völlig andersartigen Medium Film.

Reinhardt machte auch im Film keinerlei Konzessionen: jedes Wort, das gesprochen wurde, war von Shakespeare. Es gibt poetische Szenen, die hinreißen, es gibt komische Episoden — so die Handwerkerproben, bei denen noch vor der Verwandlung Zettels ein Esel als Andeutung der kommenden Metamorphose in das Bild gerät —, die voll bewundernswerter, einfühlsamer Regiekraft sind, doch sehr oft stört ein Zuviel an mimischen und szenischen Einfällen, man wird übermüdet und fühlt sich in einer Theaterinszenierung, der aber der lebendige Kontakt zwischen Rampe und Zuschauer fehlt. Der Film kommt zuwenig zu Wort — besser „ins Bild“ —, die Tricks sind Theatertricks, so bezaubernd und faszinierend sie .mitunter auch wirken mögen ...

Wie kommt es, daß Max Reinhardt — der nach diesem „Sommernachtstraum“ (1935) nie mehr mit dem Film in Berührung kam —, dieser Meister des dekorativen Bildes und intensiver Sohauspielerführung, als Filmregisseur ohne Erfolg blieb? Man muß beim Füm, wie in jeder Kunstgattung, Erfahrungen sammeln und sich entwickeln; Filmdramaturgie und Filmregie sind meilenweit von Theaterdramaturgie und Bühnenregie entfernt. Reinhardt konnte immer nur durch seine eigenen Augen sehen und nicht durch die der Kamera. Der Film wurde ihm nie zur Lebensaufgabe, sondern blieb ein Ausflug in Bereiche, die nicht die seinen geworden waren. Von seinen Bühnen-inszenierungen ist aber nur noch die Erinnerung geblieben. Dank dem technischen Wunder Film haben wir aber wenigstens die Möglichkeit, in seinem ebenso genialen wie unbe-wältigten „Sommernachtstraum“ jenen Hauch von Größe zu spüren, der dem Theaterregisseur zu eigen und dem Filmregisseur geliehen war.

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