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Digital In Arbeit

Mediation - die „selbstbestimmte Scheidung"

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Aus den USA kommt eine neue Form der Konfliktlösung. Sie wird dort in den verschiedensten Bereichen, in der Wirtschaft, in der Politik, im Arbeitskampf, bei Nachbarschaftsstreitigkeiten und besonders auch - und darum geht es hier - in Trennungs- und Scheidungsfällen angewandt und heißt: „Mediation".

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Aus den USA kommt eine neue Form der Konfliktlösung. Sie wird dort in den verschiedensten Bereichen, in der Wirtschaft, in der Politik, im Arbeitskampf, bei Nachbarschaftsstreitigkeiten und besonders auch - und darum geht es hier - in Trennungs- und Scheidungsfällen angewandt und heißt: „Mediation".

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Der Verein für Soziale Arbeit in Tirol hat gemeinsam mit interessierten Rechtsanwälten und der Pilotprojektgruppe der Arbeitsgemeinschaft „Kind vor, in und nach der Scheidung" im Vorjahr im Haus der Begegnung in Innsbruck einen Informationsabend zu diesem Thema abgehalten.

Ausgangspunkt ist die bekannte Tatsache, daß das herkömmliche Scheidungsverfahren weithin von einem Parteien-, Anspruchs- und Positionsdenken geprägt ist. Es kann leicht zu Konfliktverschärfung und Konfliktverhärtung führen. Die Trennung der Ehegatten kann wohl auf der inneren psychischen Ebene beraterisch oder therapeutisch begleitet werden, sie hat aber oft keinen Bezug zu den äußeren Regelungsprozessen. Es entsteht eine ungesunde Aufspaltung zwischen dem inneren Bereich und den äußeren Abläufen, die notgedrungen Konflikte nach sich zieht.

Im Rahmen dieser neuen Methode werden die Betroffenen mit Hilfe eines neutralen Vermittlers - des Mediators - zunehmend befähigt, unter Einbeziehung ihrer subjektiven, emotionalen Situation eigene Standpunkte zu entwickeln, ihre Interessen selbst wahrzunehmen, aber auch den gegenteiligen Standpunkt einfühlsam zu berücksichtigen.

Kernpunkt dieser Methode ist der Gedanke, daß das Scheidungspaar seine Zukunft nach der Trennung selbst gestalten soll. In der Regel ist dies wegen der tiefwirkenden Bedeutung des Konfliktes den beiden Kon-fliktbeladenen allein nahezu unmöglich. Die Einschaltung gegeneinander kämpfender Rechtsanwälte, Gutachter, Psychologen führt oft zu keinem Ergebnis. Ja, vielfach wird der Streit dadurch noch ausgeweitet, es werden die einseitigen Positionen oft bewußt ausgewalzt. Es wird über Randprobleme gestritten, und oft hängt es von Zufälligkeiten, aber auch von den Tricks der eingeschalteten Fachleute ab, wer sich durchsetzt, wer Gewinner wird oder Verlierer.

Was ist nun der Grundgedanke dieses neuen Systems?

1. Die Partner müssen sich selbst entscheiden.

2. Der Mediator versucht nur zu helfen, daß die beiden selbst zu konkreten Ergebnissen kommen.

3. Er stellt eigene Ideen, Hilfsmittel, Anregungen und unter Umständen auch Fachleute zur Verfügung.

4. Die beiden Ehegatten bekommen so das Gefühl, selbst eine eigene Entscheidung gefunden zu haben. Damit erhöht sich die Chance, daß sie zu dieser Entscheidung stehen und die Einigung durchziehen und durchhalten.

Welche Eigenschaften muß der Mediator nun aufweisen?

Oberstes Gebot für ihn ist das Gebot der Fairneß! Der Mediator darf kein einseitiger Interessensvertreter sein. Er muß zum ausgewogenen, phantasiebegabten, neutralen Gesprächspartner für beide Teile werden und vor allem ein Vermittler zwischen entgegengesetzten Standpunkten.

Während des ganzen Gespräches hat er darauf zu achten, daß beide Teile im gleichen Ausmaß zu Wort kommen, daß kein Problem verschwiegen wird oder unter den Tisch fällt. Der Mediator darf keine fertigen Lösungen vortragen, er kann aber über Wunsch Lösungen anregen. Wenn einer der Ehegatten im gemeinsamen Gespräch ein ungelöstes Problem, eine seelische Wunde, eine eigene Schuld nicht einmal erwähnen will, kann der Mediator mit Zustimmung des anderen Ehepartner für kurze Zeit diesen verwundeten Bereich allein behandeln und aufzuarbeiten versuchen.

Der Mediator hat auch immer darauf zu achten, daß die ureigenen Meinungen und Absichten eines jeden Ehegatten zum Tragen kommen und nicht der Schwächere vom Stärkeren niedergewalzt wird.

Wie geht eine solche Mediation in der Praxis vor sich?

Man unterscheidet fünf Phasen. In jeder Phase kann die Mediation abgebrochen werden. Sie kann aber auch für kurze Zeit unterbrochen werden.

Im Normalfall läuft der Mediations-Vorgang wie folgt ab:

1. Zunächst muß eine Vereinbarung, der sogenannte Mediationsvertrag ausgehandelt werden. Beide kommen dabei überein, sich gemeinsam einer solchen Mediation zu stellen. Der Mediator erläutert zunächst, wie er sich die Abwicklung vorstellt. In dieser Phase können bereits dringende Erledigungen vereinbart werden, beispielsweise, daß sich beide Ehegatten vorübergehend trennen, wenn das Zusammenleben nicht mehr zumutbar ist.

2. In der nächsten Phase werden die einzelnen Fragen oder Bereiche festgelegt, denen man sich widmen will. Beide sollen hier jene Probleme offen ausbreiten, deren Bereinigung sie für wichtig halten.

3. In der dritten und wichtigsten Phase werden Lösungsmöglichkeiten gesucht. Dabei wird von den Ehegatten ein hohes Maß an Elastizität, gegenseitigem Vertrauen, Phantasie und Einfühlungsvermögen gefordert. Hier kann der Mediator wirklich konstruktiv tätig werden. Man kann Fachleute beiziehen (etwa Ärzte. Schätzleute, Wirtschaftsprüfer). Es wird nun über Geld geredet. Der Unterhalt steht ebenso zur Diskussion wie die Aufteilung des gemeinsam geschaffenen Vermögens. Eingehend wird das Schicksal der Kinder und ihr Unterhalt, aber auch das Besuchsrecht des nunmehr kinderlosen Elternteiles erörtert. Ab einem gewissen Alter können Kinder in den Ent-scheidungsprozeß miteinbezogen werden. Sie sollen mitreden können, bei welchem Eltemteil sie bleiben wollen.

4. Im nächsten Abschnitt wird die Einigung schriftlich und detailliert niedergeschrieben. Jedem Ehegatten wird empfohlen, das Ergebnis vor Unterfertigung dem Anwalt seines Vertrauens vorzulegen, um abzuklären, ob die vorgesehene Lösung rechtlich vertretbar ist.

5. Zuletzt wird das Ergebnis dem Gericht präsentiert, das sich zu dieser Lösung nochmals äußern und sie schließlich zum Gegenstand des gerichtlichen Vergleiches beziehungsweise des Scheidungsurteils machen kann.

Das Ganze geht in vier bis fünf Sitzungen vor sich, wobei jede Sitzung mehrere Stunden dauern kann.

Die Mediation hat bereits den Siegeszug nach Europa angetreten. Sie wird in zunehmendem Maße in England, in Frankreich und in Deutschland angewandt.

Man kann nun nicht behaupten, daß Mediation das garantiert sichere Bereinigungsmodell für gescheiterte Ehen bietet. Natürlich wären die Ehegatten besser beraten, den Aufwand, der auch bei dieser Methode notwendig ist, zur Rettung der Ehe anzuwenden. Es gibt aber tatsächlich viele Fällen, in denen eine Aufrechtet haltung der ehelichen Gemeinschaft einfach nicht mehr vertretbar ist. Für solche Fälle bietet diese Methode eine neue, humane, kostensparende und selbstbestimmte Form der Konfliktbereinigung. Sie bietet noch dazu den Vorteil, daß sich die Ehegatten in Zukunft noch in die Augen schauen und die - gerade für Kinder so wichtige - Gesprächsbasis zwischen beiden aufrecht erhalten können. Kurz gesagt: Mediation ist ein echter Beitrag zu einer Verbesserung der „Scheidungskultur".

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