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MEDIEN UND POLITIK: EINE SYMBIOSE

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Viele Intellektuelle unterstellen den Massenmedien ungeheure Macht. Durch welche Mechanismen diese wirksam wird, ließ sich bisher nur in Teilbereichen nachweisen. Offenkundig ist: Wo man Medien Macht einräumt, machen sie davon Gebrauch.

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Viele Intellektuelle unterstellen den Massenmedien ungeheure Macht. Durch welche Mechanismen diese wirksam wird, ließ sich bisher nur in Teilbereichen nachweisen. Offenkundig ist: Wo man Medien Macht einräumt, machen sie davon Gebrauch.

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Der stets selbstbewußte Hamburger „Spiegel" beließ es beim vorsichtigen „könnte", als er über mögliche Folgen der Wiener Landtagswahlen berichtete: „Der Triumph des rechtsnationalen Jörg Haider in Wien hat ein Beben ausgelöst, das zum Ende der Großen Koalition und in eine andere Republik führen könnte."

Noch schlagen die Seismographen nicht aus. Wenn es bebt, dann doch nicht so, daß die nach oben offenen oder auch nicht offenen Skalen zitiert werden müßten. Was macht Jörg Haider zum Auslöser von Beben? Wo sitzt seine Medienmacht? Ist das größte und immer noch einzige TV-Medium wirklich so sehr gegen ihn, wie es einige ORF-Protagonisten demonstriert haben? Ist das größte Printmedium für ihn, wie viele Intellektuelle den Eindruck haben?

Was geht eigentlich vor in der öffentlichen Meinung, wenn einer, der als Kärntner Landeshauptmann unter demütigenden Umständen den Hut nehmen mußte, in drei darauffolgenden Landtagswahlen die Großparteien das Fürchten lehrt und Wahlsiege in ununterbrochener Folge erringt? Wo stehen seine Hilfstruppen?

Ist die ebenso ununterbrochene Folge von Haider-Kritik wirkungslos, schreiben die gescheitesten Leitartikler des Landes gegen ein Naturereignis an? Am konkretesten Fall wird die seit Napoleon unbeantwortete Frage wieder für jedermann aktuell: Sind die Medien nun eine „Großmacht" oder sind sie es nicht, oder sind sie es nur manchmal? Kommunikations- oder Politikwissenschaftler, die eine eindeutige Antwort parat hätten, wären die ersten ihrer immer noch angefochtenen Disziplinen, die Aussicht auf einen Nobelpreis hätten. Aber es gibt weder eine auf den ersten Blick einleuchtende Antwort, noch gibt es eine passende wissenschaftliche Theorie, die diesen Namen verdient.

Drei Grundthesen zur Wirkung der Massenmedien auf die Politik lassen sich unterscheiden:

□ Die populäre und die populistisch eingesetzte These von der gar nicht in Zweifel zu ziehenden Macht der Medien. Napoleon, Bismarck, Lenin und Goebbels hingen ihr an. Politiker der Gegenwart halten sie auch nicht für falsch.

□ Die zwar auf wissenschaftlichen Untersuchungen beruhende, aber der breiten Öffentlichkeit schwer verkäufliche These, die Medien seien relativ ohnmächtig, genauer: sie könnten nur in begrenztem Umfang Wirkungen auslösen, und wenn, dann eher bestärkende, bestätigende, aber nur selten zur Umkehr bekehrende Wirkungen. Zu ihren Anhängern gehörten lange die großen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die in diesem Falle gern auf die Wissenschaft zu-rückgriffen: Seht, wir sind gar nicht die mächtigen Elefanten, die wir immer gescholten werden.

□ Die ebenfalls mit wissenschaftlichen Argumenten operierende Annahme, Wirkungen der Medien kämen in erster Linie auf der Basis der Isolationsfurcht der Menschen zustande: Sie würden eher schweigen, als sich ringsum lautstärkeren und siegesgewisseren Mitmenschen und deren Meinungen zu widersetzen. Sie-gesgewißheit (oder Niederlagen-Kleinmut) aber würden über die Massenmedien verbreitet, die dem jeweils Neuen, der Avantgarde, ihre Aufmerksamkeit lieber schenkten als dem gesicherten Bestand der Gegenwart (Elisabeth Noelle-Neumann).

Etwas klarer sehen wir, wenn wir zwischen Macht und Wirkung der Medien unterscheiden. Widersprüche der Thesen werden dann erkläriar. Die kommunikationswissenschaftliche Wirkungsforschung sagt, genau besehen, nicht, daß die Massenmedien ohnmächtig, sondern daß ihre direkt zu beobachtenden Wirkungen meist überraschend gering seien. Das liege an den Menschen. Sie seien zwar bereit, aktuelle Meinungen zu ändern und auch schon mal eine andere Partei als die in der Familie vererbte zu wählen, aber ihre Einstellungen, also den gefestigten Vorrat an Lebensordnungsstrukturen, änderten sie ungern. Wann immer die Medien Informationen und Meinungen an sie herantrügen, die mit den Einstellungen nicht harmonierten, baue sich um der inneren Konsonanz willen eine Abwehrfront auf: Nur Stimmiges wird - selektiv - zugelassen. Abgesehen davon: Menschen, so sagt die Wissenschaft, gehen von sich aus generell auf Medienangebote zu, von denen sie sich etwas versprechen - einen Nutzen oder eine Belohnung.

Macht und Wirkung Beide - durch Untersuchungen belegte - Hypothesen (selektive Akzeptanz und Nutzen- beziehungsweise Belohnungsmotiv) sind plausibel. Wovon ich weder Nutzen noch Belohnung erwarten kann, davon wende ich mich, wenn Umsteigemöglichkeiten vorhanden sind, am Ende ab. Das Verschwinden der österreichischen Parteizeitungen ist nicht Resultat der Anstrengungen böswilliger, natürlich ausländischer Pressezaren, sondern der Enttäuschung unglaublich treuer Leser. Am Ende waren selbst der Treuesten zu wenige, um einer Zeitung das Überleben zu ermöglichen.

Daß Medien mächtig sind, ist aber trotz niedriger und direkter Kurzzeit-Wirkungen unbestritten. Sie können Skandale aufdecken, Aufmüpfige mundtot machen, Existenzen vernichten und - bis zu einer gewissen Grenze - bestehende Machtverhältnisse im Gleichgewicht halten. Ihre politische Macht kommt nicht aus ihnen selbst, sondern erwächst aus der Grundkonstruktion liberaler demokratischer Verfassungen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lernten, um ein Beispiel zu nennen, Österreichs Politiker schnell, daß sie Leistungen, mindestens aber Themen vorzeigen mußten, wenn sie Wahlen gewinnen und bei der nächsten Wahl an der Macht bleiben wollten. Zum Vorzeigen ihrer Leistungen (und Versprechungen) brauchten sie die Medien, und zwar die nicht parteigebundenen mehr als die Parteimedien.

Am besten zum Vorzeigen geeignet ist das jüngste Medium, weil es ein Zeigemedium ist. Das hat auch seine Tücken: Das Fernsehen, weil es vorzeigt, kann in politischen Dingen nur begrenzt, ausgewogen sein. In der Darstellung von Sachen ist das noch möglich, Objektivitätsstreben der Redakteure und Kameraleute vorausgesetzt - aber bei Personen? Die Kamera zeigt, wie einer sich räuspert und wie er spuckt, und wenn auch jeder Politiker schnell lernt, daß man vor laufender Kamera nicht spuckt und sich, wenn's geht, auch nicht räuspert, so bleibt es doch bei den nicht ohne weiteres umzumodelnden Gesichtern und Figuren. Die einen wissen zu gefallen, die anderen weniger.

Nachdem sich auch die Boulevardpresse, jedenfalls in Österreich, zu einem durchaus vergleichbaren Präsentiermedium entwickelt hat - wehe dem Spitzen-Politiker, der wochenlang nicht in der Kronen-Zeitung vorkommt! -, entstand (und entsteht überall in der Welt) so etwas wie eine Ableitung der politischen Macht: von den durch allgemeine Wahlen legitim autorisierten Politikern zu den durch Massenpublikum als Präsentationsbühne qualifizierten Medien. Macht als Symbiose:

Die Medien sind in wesentlichen Teilen ihrerpolitischen Berichterstattung und damit auch ihrer leitartikeln-den Prognostik auf das möglichst tägliche Zeugnis der Herrschenden angewiesen, die Herrschenden aber auf das Zitiert- oder Abgebildetwerden in den Medien. Auf diese Weise partizipieren die Hoch-Reichweiten-Medien an der Macht.

Medien und Machterhaltung Beide Seiten sind an der Auflösung der Symbiose nicht interessiert. Deshalb rüttelt niemand an der vollends unsinnig gewordenen Presseförderung, denkt niemand an ein Kartellgesetz mit Entflechtungspotenz und deshalb dämmert auch die Rundfunkliberalisierung von Schublade zu Schublade, genau gezählt seit Bruno Kreiskys erster Anregung von 1972.

Das symbiotische Gleichgewicht hat manchmal ebenso schwerwiegende wie kuriose Folgen. Das Vorhaben eines Wasserkraftwerks bei Hainburg wurde 1984/85 von der österreichischen Bundesregierung unter dem Eindruck fallen gelassen, daß hinter der Anti-Hainburg-Kampagne der Kronen-Zeitung die Mehrheit der Österreicher stehe.

Die „Macht der Medien" stoppte die Regierung, doch die Wirkung der Medien war in diesem Falle weniger alsNull. Während der Kampagne stieg der Anteil der Österreicher, die sich für den Bau von Hainburg aussprachen, von rund 40 auf knapp 50 Prozent. Nach dem nobelpreisverdächtigen Wirkungsforscher wird noch gesucht

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