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Mehr als ein Amt

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In knapp acht Wochen, am Sonntag, dem 23. Juni, findet in Österreich eine Volksabstimmung über die Person des Mannes, der in den nächsten sechs Jahren Bundespräsident dieses Landes sein wird, statt. Wiewohl heute schon feststeht, daß nach den sozialistischen Funktionären Renner, Körner, Schärf und Jonas zum erstenmal in der Geschichte Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ein Nicht-Parteimitglied der SPÖ Bundespräsident wird, handelt es sich bei dieser Wahl auch in unserer mit so vielen (wichtigen) Wahlen angereicherten Zeit wohl um die politischste Abstimmung, die in den letzten Jahren albgehalten wird.

Längst geht es heute nicht mehr allein darum, ob der grundsatztreue, aus den schönen Zeiten der Stabilität in die ungeordnete politische Gegenwart hineinragende Hermann Withalm oder Rudolf Kirchschläger künftighin in der Präsidentschaftskanzlei residieren wird: Die Frage ist vielmehr die, welche Konsequenzen die großen politischen Parteien unseres Landes aus den möglichen Wahlresuiltaten ziehen werden.

Siegt der „unabhängige“ Kandidat Kirchschläger deutlich, dann ist damit ein klares Signal für eine Vorverlegung der Nationalratswahlen im Herbst 1974 oder in das Frühjahr 1975 gesetzt. Dann werden so wichtige Probleme wie etwa die Stadterneuerung, die Bodenassanierung, die ORF-Reform (Parteiproporz oder Unabhängigkeit in den technischen Massenmedien) in die nächste Legislaturperiode verschoben. Dann werden aber auch grundsätzliche Fragen über die wirt-sehaftspolitisehen Maßnahmen zur ReStabilisierung der aus den Fugen geratenen wirtschaftlichen Entwicklung sis'riert. Dann wird, darüber hinaus, so vieles nicht getan, was längst hätte getan werden müssen.

14 Milliarden Schilling — dreimal Österreichs Bundesheerbudget wandert alljährlich in die Kassen der Schnaps-, Bier- und Weinproduzen-len Österreichs. Und jeder ausgewachsene Österreicher, gleichgültig, ob Männlein oder Weiblein, trinkt täglich sein Stamperl Schnaps — das freilich im Durchschnitt.

Diese Zahlen waren Teil einer kürzlich gehaltenen Rede des Ge-sandheitsministers und illustrieren die Lage an der Alkoholfront. Eine Front, an der nicht nur die Alkoholleichen zählen und die Alkoholabhängigen (immerhin zirka 150.000) registriert werden, sondern auf deren Passiven auch Verkehrsopfer und Arbeitsunfälle gehen, ganz zu schweigen von den durch Alkohol hervorgerufenen Sekundärschäden, den volkswirtschaftlichen Verlusten, den zerrütteten Ehen und geprügelten Kindern.

Wird man zum puritanischen Hetts-armisten, wenn man für mehr Aufklärung und mehr Werbung gegen den Alkohol ist? Und wenn man durchaus Verständnis dafür hat, wenn der Finanzminister Alkoholika ordentlich — dos heißt fühlbar — höher besteuern will? Eine solche Tarifpolitik läßt sich unterstützen — und ihr gegenüber hat selbst das Inflationsargument Nachrang. Oder anders herum: Was wurde aus dem ..Gesundheitsschilling“ via Alkoholbesteuerung?

Alkoholiker werden r>on der Polizei zum Röhrl-Wahrheitstest gebeten. Bitte blasen, Frau Minister Leodolter!Kurz und gut: ein Wahlerfolg Kirchschlägers würde von seinem Mentor Kreisky vor allem dazu verwendet werden, eine innenpolitische Zwangspause anzusetzen, die Kreisky mit dem ihm eigenen Geschick für Vernebelungen als Atempause propagieren würde.

Gewiß, Bundeskanzler Kreisky hat immer wieder und auch sehr dezi-diert festgestellt, daß seine Regierung keinen Tag vor Ablauf dieser Legislaturperiode (also im Oktober 1975) den Nationalratswahitermin ansetzen werde, aber niemand will das so recht glauben. Eine Diskussion über die Gründe dieses Unglaubens in Kanzlerworte auf so breiter Basis müßte in eine Diskussion über Treu und Glauben in der Politik münden. Auch darüber wird man in der Auseinandersetzung über die Person des nächsten Bundespräsidenten zu urteilen haben, hier aber stehen die Folgen des 23. Juni und nicht die Ursachen dieser Folgen zur Diskussion.

Gewänne dagegen Hermann Withalm den Kampf um das höchste Amt im Staat, dann fänden die nächsten Nationalratswahlen wohl doch nicht so bald vor dam Oktober 1975 statt. Die sozialistische Parlamentemehrheit hätte dann sicherlich keine Veranlassung, ein Mehrheits-Sterben vor der Zeit zu riskieren. Unter der Voraussetzung, daß es Kreisky gelingt, in der SPÖ das Gesamtinteresse den Interessen der diversen Flanken überzuordnen, hätte auch die Bundesregierung kein Motiv für politisch riskante Manöver. Wer immer am 23. Juni als Sieger aus der Wahl des Bundespräsidenten hervorgeht — Withalm oder Kirohschläiger —, viel und sehr wichtige Zeit ginge auf jeden Fall verloren. Diese verlorene Zeit ist, wie immer man es sieht, Zeit der Vorbereitung oder Zeit des Abwartens.

Warum aber ist dann die Wahl am 23. Juni dennoch die politischste Wahl der letzten Jahre? Ob die Zeit nach dem 23. Juni für die Vorbereitung genützt wird oder ob die Regierungspartei die Zeit bis zum Oktober 1975 abwartend verbringt, macht wesentliche Unterschiede aus. Vorbereiten für eine Nationalrats-wahl im Herbst 1974 oder im Frühjahr 1975, heißt, die wirtschaftliche Krise in Österreich mit Maßnahmen, die allein von politischer. Opportunität bestimmt sind, weiter anzuheizen. Ein Nationalratswahlkampf in sechs Oder neun Monaten würde — so wie die Jahre vor 1970 — neuerlich eine Verspreehens-Lawine der Parteien auslösen, ohnedies schwer lösbare Probleme der Wirtschaftsstabilisierung verschärfen. Ein Abwarten der Regierung (und der Oppositionsparteien) würde jedenfalls kein weiteres Löschen der Krisenherde unseres Wirtschafts- und Gesellschaftslebens bedeuten. Möglicherweise würde die Zeit für eine — heute scheint das notwendiger denn je — .große Koalition reifen, denn mit knappen Mehrheiten konnte man weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart (und erst recht nicht in Zukunft) die gesell-schafts- und wirtschaftszersetzende Inflation bewältigen.

Den politischen Kräften des Landes sollte freilich voll bewußt sein, daß bei ihnen die Ursachen liegen, die die Auseinandersetzung zweier Männer um das höchste Amt im Staat zu einer Angelegenheit geraten lassen, die weder dem Amt noch den Persönlichkeiten der beiden Wahlwerber gerecht wird. Man sollte meinen, daß die Grenze politischer Supertaktik jedenfalls dort gezogen wird, wo- das Ansehen eines Amtes auf dem Spiel steht.

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