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Mehr als ein Literat…

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1918 ist das Jahr der großen Verluste. Der todgeweihte Vielvölkerstaat war zusammengebrochen und auseinandergefallen, und obwohl ihn die Ereignisse nicht unvorbereitet trafen, hat Hofmannsthal sie wie ein persönliches Unglück empfunden. Nun starb ihm auch der nächste Freund, Eberhard von Bodenhausen, an den er am 3. Jänner 1918, kurz vor dessen Tod, geschrieben hatte: „Furchtbar verlassen ist der Geist in dieser Welt. Und nur wenigen ist es gegeben, ihm zu dienen. Ich habe über vieles nachgedacht, reifer werdend beständig in diesen Jahren… Es wäre schlimm, habe ich nachgedacht, wenn ich stürbe oder nicht da wäre, weil es offenbar meine Aufgabe war und ist, gewisse Menschen zu sammeln und dann in der Vereįjlįsuiig zu erhalten. Dies erfordert einen beständigen effort, der sehr groß ist, aber zu dem ich fähig bin, weil ich biegsam bin.“

Wer Hofmannsthals Wesen und Wirken kennt, wird diese Worte nicht ohne innere Bewegung lesen. Sie zeugen von ungewöhnlicher Hellsicht — und Bescheidenheit. Nicht vom Dichter, der sich berufen und fähig fühlt, unsterbliche Meisterwerke zu schaffen, sondern vom Menschen ist die Rede. Und zwar wieder nicht von der eigenen, hochwichtigen Person, sondern von seiner Funktion: zu erhalten, zusammenzuführen und im Interesse des Ganzen, des „Geistes“, zu-wirken. — Weniger seiner Initiative als seiner Mittlertätigkeit und seinem treuen Festhalten an der einmal für richtig erkannten Idee sind die Salzburger Festspiele zu danken. Es ist hier nicht die Gelegenheit, deren weit zurückreichende und komplizierte Vorgeschichte darzulegen. Wir vermerken nur, daß Hofmannsthal im Herbst 1918, zusammen mit Alfred Roller, von Max Reinhardt, Richard Strauss und Franz Schalk in den bereits bestehenden Kunstrat kooptiert wurde. Aber von diesem Augenblick an war er der unermüdliche Verfechter der Salzburger Idee und der überzeugte und überzeugende Wortführer der Festspiele: angefangen vom ersten Aufruf zu ihrer Gründung in der heutigen Gestalt und vom ersten Programmentwurf von 1919 bis zu dem Essay „Das Publikum der Salzburger Festspiele“ von 1928, also ein Jahr vor seinem Tod. Und er selbst hat den Salzburger Festspielen zwei ihrer Standardwerke geschenkt: den „Jedermann“ und das „Salzburger Große Welttheater“.

Man muß sich vorstellen, unter welchen Verhältnissen von Hofmannsthal und seinen Mitarbeitern dieser Plan gefaßt wurde. In Wien herrscht bitterste Hungersnot, die Grenzen sind gesperrt, Homannsthal muß sich von zwei seiner liebsten Besitztümer trennen: einer Plastik

Rodins und einer Seelandschaft von Hodler. — In diesen schweren Jahren findet Hofmannsthal einen neuen Freund und Gesprächspartner: den als Attachė an der Schweizer Botschaft in Wien tätigen Carl Jakob Burckhardt, den späteren Völkerbundkommissar in Danzig (1937—39), Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes (1944—49) und Botschafter der Schweiz in Paris (1945—50). Der 18 Jahre Jüngere wird bald zum geschätzten Gesprächspartner und Vertrauten, auch was persönliche Sorgen, auch solche materieller Art, betrifft. Der Plan einer eigenen Zeitschrift nimmt Gestalt an. Sie soll folgende ständige Mitarbeiter haben: Leopold Andrian, Rudolf Bor- chardt, Carl J. Burckhardt, Rudolf Pannwitz und Rudolf Alexander Schröder. „Eine absurde Gesellschaft“, meint Hofmannsthal, „aber eben gerade meine.“

Von 1922 bis 1927 erscheinen unter dem Titel „Neue Deutsche Beträge“ insgesamt sechs Hefte. Einer von Hofmannsthals Mitarbeitern war Florens Christian Rang, der ihm seinerseits den jungen Walter Benjamin zuführte. An dieser Stelle muß auch an Hofmannsthals Tätigkeit als Herausgeber erinnert werden, der wir einige der wertbeständigsten Anthologien bzw. Buchreihen zu danken haben. Nachdem er bereits 1912 in vier Bänden eine Auswahl „Deutsche Erzähler“ und in den Jahren 1915 bis 1918 insgesamt 26 Bändchen der „österreichischen Bibliothek“ herausgegeben hatte, stellte er jetzt (1922/23) das zweibändige „Deutsche Lesebuch“, die Aphorismensammlung „Budi der Freunde“ sowie die „Deutschen Epigramme“ zusammen. (Gleichsam als „Nachzügler“ folgte 1927 „Wert und Ehre deutscher Sprache“.) Danach erst widmete er sich der Herausgabe seiner eigenen Werke, und zwar mit bemerkenswerter Lässigkeit, sowohl was den Text wie auch was die Ausstattung betraf. Das Resultat waren zwei im Jahr 1924, also zu seinem 50. Geburtstag, erscheinende „Reihen“ zu je drei kartonierten Bänden. Auf wie vieles Hofmannsthal verzichtet hatte und mit welcher Sorglosigkeit er dem ganzen Unternehmen zusah, stellte sich erst viele Jahre später heraus, als, von 1946 bis 1959, im S. Fischer-Verlag die von Herbert Steiner betreuten „Gesammelten Werke in Einzelausgaben“ erschienen, insgesamt 15 Bände, die Steiner mit nur sehr kärglichen Kommentaren ausstattete, in deren Text er aber mehrere hundert Druckfehler, die sich in der ersten Gesamtausgabe fanden, verbesserte. (Die derzeit vorbereitete „Kritische Gesamtausgabe“ soll etwa 30 Bände umfassen.) Immerhin liegen in Buchform nicht weniger als 13 vollständige Korrespondenzen vor, aber noch mehr als 10.000 Briefe Hofmannsthals sind noch nicht veröffentlicht.

Auf Hofmannsthals Empfehlung wird sein Freund Leopold von Andrian zum Intendanten der Hoftheater ernannt. Aber dessen Amtszeit währt nur kurze vier Monate, bis zum Abschied Kaiser Karls. Aus dieser Zeit stammen etwa 20 ausführliche Briefe und Memoranden Hofmannsthals, die sich vof allem auf die Hofoper und deren Spielplan beziehen, verschiedene künstlerische Fragen, wie Besetzung, Regie und Bühnenbild, aber auch Organisatorisches, zum Gegenstand haben. Man verhandelt mit Max Reinhardt, Mois- si und Strauss, die als ständige Mitarbeiter gewonnen werden sollen. Zwar wurde Strauss (übrigens gegen den Willen Hofmannsthals) Direktor der Staatsoper, aber von den übrigen Plänen konnte nicht viel verwirktlicht werden.

Zu Beginn des Jahres 1919 richtet Hofmannsthal in der Zeitschrift „Der Friede“ einen offenen Brief an Henri Barbusse, Alexandre Mercereau und ihre Freunde. Es ist eine Antwort auf deren Appell zum Zusammenschluß der geistigen Menschen, gegen jeden engstirnigen Nationalismus. Nach den furchtbaren Kriegsjahren, die die Völker nicht nur in materielles Elend gestürzt, sondern sie auch innerlich einander entfremdet haben, steigt die Ahnung der Menschenwürde wieder leuchtend auf, und Europa, dem im Chaos der Untergang drohte, wird allen teuer wie nie zuvor. Es geht darum, sich besser kennen- und auf die rechte Art lieben zu lernen. Der Aufruf schließt mit den Worten: „Das Ungeheure unserer Situation ist ohne Beispiel. Und es ist nur ein Anfang, nur ein Aufbrechen erst. Wir haben einen gefahrvollen Weg: aber wir werden ihn gemeinsam gehen.“

Trüb begann das Jahr 1920: Hofmannsthal ist monatelang grippekrank und seine Wetterempfindlichkeit ist abnorm gesteigert. Eine Ita- lienrei’se im Frühjahr bringt Erholung. Auf dem Rückweg besucht er in Fribourg Josef Nadler, dessen Literaturgeschichte ihn beschäftigt, und C. J. Burckhardt auf dem Schönenberg bei Basel. Am 22. August findet die erstė Aufführung des „Jedermann“ auf dem Salzburger Dom platz statt, und Hofmannsthal ist beglückt über die starke und freundliche Resonanz, die das Unternehmen auslöst. Die Jahreswende bringt eine ausgedehnte Besuchs- und Vortragsreise. Sie führt von Bern nach Basel, in den Harz, nach Leipzig, Dresden, Berlin und München. Der Sommer des Jahres 1921 ist dem Entwurf und der Niederschrift des „Salzburger Großen Welttheaters“ gewidmet. In München wird der „Schwierige“ uraufgeführt, Hofmannsthal sah aber erst die Berliner Premiere am 30. November. 1922 beginnt Hofmannsthal eine Artikelserie mit dem Titel „Vienna Letters“ für die amerikanische Zeitschrift „The Dial“. Er arbeitet am 5. Akt des „Turm“, macht Notizen zu „Silvia im Stern“ sowie zu dem unvollendet gebliebenen Xenodoxus-Drama und erlebt die Uraufführung des „Salzburger Großen Welttheaters“ in der Kollegienkirche zu Salzburg. Der „Unbestechliche“ wird vollendet und im Februar 1923 Max Pallenberg vorgelesen. Im Frühjahr findet ein lebhafter Gedankenaustausch mit Richard Strauss über „Die Ägyptische Helena“ statt. Am 1. April ist Thomas Mann zu Besuch in Rodaun. — Danach arbeitet Hofmannsthal an dem Szenar für einen „Rosenkavalier-Film“ und beginnt mit dem Textbuch zur „Ägyptischen Helena“ für Strauss. Auf dem Weg zu Carl Burckhardt nach Basel macht er kurz in Bamberg, Nürnberg und Stuttgart Station. Mit Burckhardt fährt er im Auto durch Lothringen und Burgund. In Bad Aussee arbeitet er konzentriert an der neuen Operndichtung und empfängt den Besuch Burck- hardts und Max Melis. Wie immer, seit seinem 20. Lebensjahr, sind die Monate August und September die produktiv ergiebigsten und bestimmend für den Rest des Jahres.

1924, das Jahr des 50. Geburtstages, beginnt mit einer schweren Verstimmung. Borchardt hatte in bester Absicht für den 1. Februar eine Festschrift vorbereitet, deren Redaktion er selbst übernommen hatte. Darin waren Beiträge der nächsten Dichter-Freunde und einiger Wissenschaftler vereinigt, die Hofmannsthal etwas bedeuteten. Aber die etwas großsprecherische und wenig taktvolle, sehr umfangreiche Einleitung zu dieser Festgabe, ein in mancherlei Hinsicht debordierender Exkurs Rudolf Borchardts, verstimmte und verstörte Hofmannsthal zutiefst. Eine jahrelange Entfremdung war die Folge. — Im April fuhr Hofmannsthal mit Frau und Tochter über Venedig nach Neapel. In Sizilien traf er Burckhardt und besuchte mit ihm Segesta, Selinunt und Agri- gent. Nach einem Aufenthalt in Basel bei Burckhardt, Anfang Juli, reisen beide gemeinsam über Schwyz nach Brunnen und ins Tessin. Jetzt taucht auch in der Korrespondenz mit Richard Strauss der Plan auf, ihren Briefwechsel, von den Anfängen bis zum Jahr 1918,’ stark redigiert und gekürzt, der Öffentlichkeit zu übergeben. Diese einzigartige Korrespondenz liegt jetzt in der dritten stark erweiterten Auflage vor und gibt eine genaue Einsicht in die Kollaboration zwischen Textdichter und Komponist.

Über Einladung der französischen Regierung bietet sich Hofmannsthal am Beginn des Jahres 1925 die Möglichkeit einer längeren Reise ins nördliche Afrika. Nach einem Aufenthalt vom 18. bis 24. Februar in Paris schifft er sich in Begleitung des Kultur- und Presse-Attaches an der österreichischen Botschaft am 25. Februar in Marseille ein. Die Reise führt nach Marrakesch. Fez, Tlemcen und Biskra über Tunis zurück. Die Spiegelung dieses Erlebnisses, dieser für ihn überaus wichtigen Begegnung mit einer „reinen, ewigen, uralten und kindlich- frischen Welt“ findet sich in seinem „Bericht über eine Reise ins nördliche Afrika“ und in „Das Gespräch in Saleh“. Anschließend, Anfang April, spricht Hofmannsthal in Paris über „Goethe oder die Lebensalter“.

Im Sommer macht Hofmannsthal eine Reise nach London und Oxford, über die uns die bisher veröffentlichten Korrespondenzen keine Auskunft geben. Sicher ist nur, daß er auf der österreichischen Botschaft bei sei- dem Freund Georg (später Sir George) Frackenstein wohnte. Am 13. August wird in Salzburg mit dem „Großen Salzburger Welttheater“ das neue Festspielhaus eröffnet. EB ist dies der erfolgreiche Abschluß seiner vieljährigen organisatorischen und künstlerischen Bemühungen um die Salzburger Festspiele.

Das Jahr 1926 ist mit vielerlei literarischen Arbeiten und Plänen ausgefüllt. Ein seit Jahren ihn beschäftigender Stoff, „Timon der Redner“, wird vorläufig fallengelassen, „Der Turm“ auf Anraten Max Reinhardts umgearbeitet, wobei auch die Einwände Martin Bubers berücksichtigt werden, mit dem Hofmannsthal korrespondiert hatte. — Seit dem Beginn des Jahres mehren sich in den Briefen die Klagen über ein ständiges körperliches und seelisches Ubelbefinden. Trotzdem ist sein Geist dem Neuen zugewandt: als Prolog zu Bert Brechts „Baal“ schreibt er für die Schauspieler des Theaters in der Josefstadt das dramaturgische Gespräch „Theater des Neuen“, eröffnet mit einer Ansprache den Internationalen Kongreß der Kulturverbände in Wien und arbeitet an dem Manuskript zur großen Münchener Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“, die er am 10. Jänner 1927 hält. Für Richard Strauss wird ein neuer Opemstoff (aus „Der Fiaker als Graf“, verbunden mit Motiven aus der Novelle „Lucidor“) erwogen, woraus dann später das letzte gemeinsame Werk „Arabella“ entsteht. Am 4. Februar wird in München und Hamburg gleichzeitig „Der Turm“ uraufgeführt, auf der Rückreise von München besucht Hofmannsthal seine Tochter Christiane, die in Heidelberg mit dem Indologen Heinrich Zimmer verheiratet ist. Er verweilt am Grab seines Freundes Bodenhausen und macht Notizen für einen Nachruf. Ein neues Filmprojekt (über das Leben und Leiden der Therese von Kon- nersreuth mit Lilian Gish in der Hauptrolle) wird an ihn herangetragen, und in Dresden und Wien findet die Premiere der „Ägyptischen Helena“ statt. In einem Brief an den Freund Rudolf Alexander Schröder beklagt sich Hofmannsthal (Ende November) „… die Krisen der Atmosphäre zerrütten mich wie eine wahre Krankheit, ich sehe mit den Augen eines Kranken unsicher in die Welt."

Von Ende Jänner bis Mitte März 1929, seines letzten Lebensjahres, weilte Hofmannsthal bei Burckhardt auf dem Schönenberg in Basel. Noch einmal besucht er seine. Tochter in Heidelberg. Aus dieser Zeit stammt die letzte uns überli? ferte Schilderung des Dichters durch einen „Außenstehenden“, und zwar durch den berühmten Archäologen und Universitätsprofessor Ludwig

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