6952458-1984_17_05.jpg
Digital In Arbeit

Mehr als ein Vertrag

Werbung
Werbung
Werbung

Die Familie wird in der klassischen Soziologie und Rechtstheorie als „Institution", das heißt als eine autonome Sach- und Lebensordnung, die auf einer konkreten Wertordnung beruht, verstanden. Heute müßte man denselben Tatbestand im Lichte der Systemtheorie als zustandsdynamisches Mehrebenensystem auf der Grundlage der Selbstorganisation beschreiben.

War der Staat nach der klassischen Theorie die souveräne „Institution der Institutionen", wäre er heute ebenfalls als distributives (hierarchisches) Mehrebenensystem zu beschreiben, das in vielfältigen Steuerungs- und Rückkoppelungsbeziehungen zu anderen Ebenen der Gesellschaft, aber auch den einzelnen Menschen steht.

Nach beiden Erkenntnisweisen kann die Theorie von der „Familie im Staat" nicht ohne die beiden antagonistischen Grundvoraussetzungen der Autonomie (Eigenständigkeit) und Integration (Wechselwirkungen) beider Institutionen bzw. Systeme gebildet werden.

Die „Autonomie" der Familie ist wertordnungsmäßig im sakramentalen Charakter der Ehe, im umfassenden Liebesgebot und im Auftrag des Menschen als ein ursprünglich „dialogisches Wesen" begründet. In der Seinsordnung gibt es entsprechende biologische, aber auch kulturell-zivilisatorische Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Abhängigkeiten des Menschen im Hinblick auf ein „geordnetes Familienleben", die erst die Voraussetzung der notwendigen Individualisation und Emanzipation in der Individual- und Menschheitsgeschichte bilden.

Die „innere Ordnung" der Familie unterliegt als dynamisches und selbstorganisiertes System ständigen Wandlungen, die auch Sprünge im Sinne der (gutartigen - bösartigen) „Autopoese" (Selbstentwicklung) nicht ausschließt, ohne daß daran von außen prinzipiell etwas geändert werden könnte.

Die Autonomie der Familie ist als „Ordnung in der Freiheit" auch abhängig vom Zustand der Entwicklung der Individuen, der durch zahlreiche außerfamiliäre Beziehungen (mit-)geprägt wird.

Die „Integration der Familie" in Gesellschaft und Staat hängt mit der jeweiligen öffentlichen Ordnung eines bestimmten Volkes in einem bestimmten Raum und in einer historischen Entwicklungsstufe zusammen, die im „Selbstbestimmungsrecht der Völker" staatlich-souverän geworden ist.

Die öffentliche Ordnung kann daher die Autonomie der Familie von außen (rechtlich, wirtschaftlich, technisch-zivilisatorisch) und von innen (durch Beeinflussung des Individuums und Übernahme von Familienfunktionen) gestalten und beschränken; nicht aber als solche ersetzen, weil sie ein anderes Wesen hat.

Die neueren Verfassungen setzen der Integration der Familie durch die öffentliche Ordnung ausdrückliche Schranken zugunsten der Autonomie und ihrer Lebensfähigkeit, weil sie deren gesellschaftlichen Eigenwert aus verschiedensten Gründen bejahen.

Die geltende Bundesverfassung behandelt Ehe und Familie nach dem klassisch-reduktionistischen Konzept des juristischen Formalpositivismus als ein Bündel von vorstaatlichen Freiheiten und staatlichen Politikermächtigungen, die in sich inkonsistent sind und außerordentlich weite staatliche Eingriffs- und Gestaltungsspielräume der Integration der Familie „von oben" und „von unten" in Staat und Gesellschaft eröffnen.

Im „Staatsgrundgesetz von 1867" — dem nationalen Grundrechtskatalog - werden Ehe und Familie überhaupt nicht als solche erwähnt, aber in den Kategorien des liberalen Besitz- und Bildungsbürgertums als autonome Ordnungen vorausgesetzt.

In der Europäischen Menschenrechtskonvention werden einzelne Teilbereiche von Ehe und Familie und der Elternrechte als staatsfreie Räume gewährleistet.

Die (verfassungsmäßigen) Bundeszuständigkeiten lassen verschiedenartigste Ausgestaltungen des einfachgesetzlichen Ehe- und Familienrechtes und sozialer Förderungsmaßnahmen sowie auf Ehe und Familie bezogener Steuervorschriften zu, ohne eine bestimmte verfassungsrechtliche Grundstruktur dieser Institutionen oder auch nur ihren prinzipiellen Vorrang vor Lebensgemeinschaften oder anderer Formen von „kollektiver Privatheit" (Gesellschafts- oder Sexualbeziehungen, Wirtschafts- oder Wohngemeinschaften) vorauszusetzen oder gar zu gewährleisten.

Die politischen Rechte (Wahl-und Stimmrechte) sind streng individualistisch konstruiert und lassen damit weite Teile des Volkes ohne staatsrechtliche Repräsentation, was wiederum für das Ergebnis des „demokratischen Prozesses", dem Familienrecht und Familienpolitik völlig überantwortet sind, ausschlaggebende Bedeutung hat (Vorrang der Individual- und Verbandsinteressen).

Ansätze einer verfassungsrechtlichen Verankerung von Ehe und Familie zeigen die Tiroler Landesverfassung (Präambel)

und die Vorarlberger Landesverfassungs-Novelle vom 14. März 1984 (Artikel 6 b: „Ehe und Familie, Rechte und Pflichten der Eltern"). Diese Verfassungsbestimmungen sind Schritte auf dem richtigen Weg, aber wegen der beschränkten Landeszuständigkeiten ungenügend.

Es ist die Verankerung von Ehe und Familie in zeitgemäßer Form als Institutsgarantien, Freiheitsrechte und Staatszielbestimmungen in der Bundesverfassung zu fordern. Die einfachgesetzliche Rechtsordnung auf Bundesebene hat die Autonomie und Funktionsfähigkeit der Familie auch jenseits des expansiven Wohlfahrtsstaates gegen gesellschaftliche und wirtschaftliche Erosionstendenzen zu schützen.

Die Ehe muß für Katholiken im

Hinblick auf ihren sakramentalen Charakter staatskirchenrechtlich entsprechend Artikel 15 Staatsgrundgesetz als „gemeinsame Angelegenheit" von Staat und Kirche behandelt werden. Rechtliche Ehepartner- und Eltern-Kind-Beziehungen sind vom Bild der Ehe und Familie als intime Lebens-, Erziehungs- und Liebesgemeinschaft her zu gestalten und dürfen nicht als „besonderes Gewaltverhältnis" oder „bürgerliche Vertragsbeziehungen" mit staatlicher Ordnungshoheit mißverstanden werden.

Der Innsbrucker Universitätsprofessor, Institut für öffentliches Recht und Politikwissenschaft, referierte zu diesem Thema bei der „Salzburger Studientagung" am 16. April 1984.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung