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Mehr als eine Schule des guten Geschmacks

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Zeige mir, wie du sitzt, schläfst, welche Hausgeräte du benützt, und ich sage dir, welchen Geschmack und, vor allem, welches Kulturbewußtsein du hast: Auf diesen einfachen, zeitlos gültigen Nenner könnte man all die künstlerischen, darüber hinaus aber weit in den Bereich moderner Ästhetik und Geisteshygiene reichenden Bestrebungen bringen, die im Wien der Jahrhundertwende ihren Anfang nahmen und in einer Revolutionierung des Massengeschmacks durch das moderne Design - aber nicht ganz im Sinne seiner Erfinder -gipfelten.

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Zeige mir, wie du sitzt, schläfst, welche Hausgeräte du benützt, und ich sage dir, welchen Geschmack und, vor allem, welches Kulturbewußtsein du hast: Auf diesen einfachen, zeitlos gültigen Nenner könnte man all die künstlerischen, darüber hinaus aber weit in den Bereich moderner Ästhetik und Geisteshygiene reichenden Bestrebungen bringen, die im Wien der Jahrhundertwende ihren Anfang nahmen und in einer Revolutionierung des Massengeschmacks durch das moderne Design - aber nicht ganz im Sinne seiner Erfinder -gipfelten.

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Heute zählen diese Bestrebungen zu den Sternstunden österreichischer Kunst: sie sichern dieser ihren Platz in der Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst überhaupt Und das vor allem, weil so faszinierende Künstler wie Gustav Klimt, Otto Wagner oder Adolf Loos als Mentoren hinter diesem Aufbruch standen. Gewiß, da hat teilweise jeder dieser Eigenbrötler an einem anderen Strang gezogen, sie haben einander kritisiert Aber im Rückblick ergibt sich gerade aus diesen zielbewußten Auseinandersetzungen umjNeues das geistige Spannungsfeld Wiens von einst, von dessen Kraft wir heute noch geistig zehren.

Die Gründung der Secession war dabei ein Wendepunkt; ein zweiter der Versuch, durch die Einbeziehung mittelalterlicher Werkstättenideen der Engländer und Schotten, etwa eines William Morris und Charles R. Macintosh, zu einem neuen Begriff von Handwerkskultur zu kommen. Die Verwirklichung dieser Ideen einer Erneuerung menschlichen Daseins, der man im Wien nach 1900 auch bei den größten Denkern und Dichtern bis zu Wittgenstein und Kraus nachsprüren kann, folgte vor allem in der Wiener Werkstätte: Künstler wie Kolo Moser, Dagobert Peche, Josef Hoffmann versuchten die herrschenden industriellen Produktionsverhältnisse zu umgehen. Sie wollten wieder Künstler und Handwerker zusammenführen und so dem Kommerzmaterialismus des Industriezeitalters den Kampf ansagen. _

Gerade Josef Hoffmann, diesem konsequenten Streiter für gute Form und Materialgerechtheit, einem der größten Anreger künstlerischer Entwicklung im Wien der erstenHälfte des 20. Jahrhunderts, ist nun in der Wiener Galerie Ambiente (Am Lugeck 1) bis Ende Juni eine Ausstellung gewidmet. Möbel, Gebrauchsgegenstände, Skizzen. Ein absolutes Muß für alle, die die unverkennbare Eigenart und Faszination österreichischer Kultur nach 1900 zu schätzen wissen und die die frühen Kraftfelder kennenlernen wollen, aus denen sich unser modernes Design entwickelt hat.

„... das grenzenlose Unglück, das die schlechte Massenproduktion und die gedankenlose Nachahmung alter Stile auf kunstgewerblichem Gebiet verursacht hat, durchdringt die ganze Welt“, klagt Josef Hoffmann 1903 im Programm der eben erst gegründeten Wiener Werkstätte, „wir haben den Anschluß an die Kultur unserer Vorfahren verloren. An Stelle der Hand ist die Maschine, an Stelle des Handwerks der Geschäftsmann getreten. Wir können und wollen nicht mit der Billigkeit wetteifern; diese geht vor allem auf Kosten des Arbeiters, und diesem wieder eine Freude am Schaffen und eine menschenwürdige Existenz zu errin-

gen, halten wir für unsere vornehmste Pflicht...“ Man sieht schon - hinter dem Streben nach Zerstörung falschen industriellen Gipsprunks von 1900, hinter dem Wunsch, jedes Material als das erscheinen zu lassen, was es wirklich ist und hinter dem Versuch, die Entfremdung zwischen dem Arbeiter, seiner Arbeitsmethode und seinem Produkt noch einmal zu korrigieren, steht als Ergebnis eben mehr als bloß ein Kunstprodukt Eben dies machen all diese einfachen, schönen Objekte der Ausstellung deutlich.

Da gehen künstlerisches Streben, Handwerksmethoden und Sozialdenken wieder Hand in Hand. Da ist Form wieder Ergebnis harmonischen Zusammenspiels dieser Kräfte, und eben deshalb selbst harmonisch. Und das macht - wenn ich das so einfach sagen darf - die Bedeutung und weiterwirkende Kraft dieser Arbeiten, etwa Jo-

sef Hoffmanns, aus. Keine Sessellehne, die gegen den Menschen konstruiert wäre, kein Kleiderständer, der da vorgäbe, eine Säule aus einem Renaissancepalast zu sein, kein Glas, das sich nicht bequem in der Hand halten ließe. Und dabei noch immer und überall perfektes Zusammenstimmen von Handlichkeit und Formschönheit, von Entwicklung aus der großen alten österreichischen Tradition des Kunsthandwerkes, wie sie noch im frühen Biedermeier existierte, und revolutionierender Moderne, die selbst auf die Ävantgardekunst des übrigen Europa, zum Beispiel auf den Kostruktivismus, nicht ohne Einfluß blieb.

Man muß sich in der Galerie Ambiente auch die ausgestellten Skizzen Hoffmanns genau ansehen: Da nehmen nicht nur Formstudien, Portale oder später ganze Bahnhofentwürfe Stilentwicklungen vorweg, da gibt es auch höchst originelle, fast abstrakte“ Skizzen, die beweisen, wie genau er sich selbst Rechnung legte über Probleme wie die Dynamik der Form, über Spannungsverhältnisse innerhalb von Kreis, Linie, Punkt, über Fläche und Linie... Also über Fragen, die vor allem „Abstrakte“ wie Kandinsky oder Mondrian beschäftigten. So gesehen, scheinen mir Hoffmanns Möbel und Objekte überhaupt gleichsam als vollendete abstrakte Formenkompositionen (Photo „Bahnhof', 1930).

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