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Mehr als eine Sternstunde

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Es war eine Sternstunde. Was am 31. Juli im Wiener Konzerthaus über die Bühne ging, war nicht lediglich geschickte Regie, es war ein offenbar mühelos kooperierendes neues Führungsteam, das schon eingespielt war, bevor es noch in dieser personellen Konstellation angetreten ist: der kluge und geschickt agierende Interims-Obmann Rudolf Sallinger; Herbert Kohlmaier, ein politischer Gentleman neuer Prägung; Alois Mock, dessen Wahlvorschlag die eindrucksvolle Geschlossenheit ermöglichte, und die Landes- und Parteigewaltigen, die der neuen Generation das Tor weit öffneten, und schließlich Josef Taus und Erhard Busek, selbst denen neu, die bisher glaubten, beide gut zu kennen. Die Verantwortlichen sind — wie Kohlmaier bemerkte — nie außer Tritt gekommen.

Was sich in diesen letzten Tagen präsentierte, war eine völlig neue Volkspartei. In vieler Beziehung: keiner der neuen Männer ist — trotz eindeutiger organisatorischer Herkunft — als Typus einer bündischen Gliederung oder föderalistisch abgestempelt. Die tragenden Ideen dieser Partei waren in der Vergangenheit nie bündisch akzentuiert. Der seit Kunschak zum ersten Mal aus Wien stammende neue Parteiobmann und Kanzlerkandidat war nicht zuletzt doch ein schließlich erzielter Erfolg der steirischen Revolution: mit dem ebenfalls aus Wien stammenden Generalsekretär seiner Wahl, wo infolge der zahlreichen Wahlmüden und Wechselwähler und aufgrund der katastrophalen sozialistischen Stadtverwaltung das für die ÖVP letztlich numerisch entscheidende Potential liegt.

Die Wahl dieses Parteitags war eine Absage an jene irrige und für die ÖVP selbstmörderische Forderung, aus ihr — aufgrund eines bevölkerungsstatistischen Fehlschlusses — eine Arbeitnehmerpartei zu machen. Im Gegenteil: Nur als Volkspartei war ihr seinerzeit der Durchbruch, und im Anschluß daran durch ein Viertel Jahrhundert hindurch die Erhaltung ihrer Führungsposition gelungen. Ist es schon zweifelhaft, daß die Zweiklassentheorie im vorigen Jahrhundert tatsächlich die gesellschaftlichen Realitäten widerspiegelte, die Struktur der heutigen Gesellschaft ist so vielschichtig, daß auch die klassenlose Gesellschaft kein realistisches Ziel sein kann. Die Sozialisten — in Österreich wie zum Beispiel auch in der Bundesrepublik — hatten dies erkannt und es verstanden, sich zunächst im Mantel einer Volkspartei die Mehrheit zu sichern, die ihnen dann manche Weichenstellung zu einem sozialistischen System ermöglichte.

Neu ist auch die Verbindung - von treffsicherem Mutterwitz und mit schwierigen Wirtschaftsfragen vertrauter Sachkenntnis mit politischem Grundsatzdenken. Das neue Team weiß, daß seine Partei eine im Grundsätzlichen liegende Profilierung braucht, die sie in allen entscheidenden Fragen von der derzeitigen Regierungspartei für jedermann erkennbar abhebt und dem Wähler eine echte Alternative bietet. Was da über Freiheit, Leistungsprinzip und Marktwirtschaft gesagt wurde, klang wieder völlig neu und — im wahren Wortsinn — vielversprechend! Weg ist die ängstliche Sorge, durch eine klare Aussage irgendeinen Wähler vor den Kopf zu stoßen. Die Politik der wahltaktischen Wehleidigkeit hat bestenfalls sehr kurzfristige Erfolge gebracht, sie wird heute, da neue Probleme auf neue Lösungen warten, kein Vertrauen finden. Für die österreichische Wirtschaftspolitik neu ist auch der Gesichtspunkt, unter dem Taus die Landwirtschaft sieht, die heute angesichts globaler Entwicklungen in ganz anderen Relationen gesehen werden muß, nach manchen Strukturänderungen freilich, deren sie sich in den letzten beiden Jahrzehnten nolens volens unterziehen mußte. — Damit wird der illusionistischen Utopie des Sozialismus das entgegengestellt, was Johannes Messner als „christlichen Sc-zialrealismus“ bezeichnet.

Die beiden neuen Funktionäre — auch das ist neu in der ÖVP — animieren zum Einsatz und zur Mitarbeit; es lohnt sich wi«der. Busek hatte in seinem Management-Club- für viele die Mitarbeit „fashionable“ gemacht, denen man ein Engagement für eine politische Partei niemals zugetraut hätte.

Taus hat den weltanschaulichen Horizont der Partei richtig abgesteckt; weder zu eng — wie seinerzeit die Christlichsozialen — noch als grundsatzloses Allerwelts-Sammel-becken.

Und was nun wirklich zur Geltung kam, ist die Glaubwürdigkeit, mit welcher dem Stil der derzeitigen sozialistischen Partei- und Staatsführung und ihrem Hasardieren mit magischem Feuerwerk — Perversion des seriösen österreichischen Sozialismus! — das ernste politische Ethos gegenüber gestellt wird.

Zum Charakter der Sternstunde zählt auch die Rückkehr Herbert Kohlmaier's auf das Feld, auf dem er immer schon hervorragte. Er genießt den Ruf eines fachkundigen Sozialpolitikers, mit neuen Ideen, wie sie notwendig sind, um die allzu lang hinausgeschobenen Probleme auf dem Gebiete der Krankenkassenreform, der Sozialversicherungsfinanzierung und der künftigen Entfaltung einer qualitativen Sozialpolitik wirklich zu lösen. Ihm ist es zuzutrauen, dieser an neuen Ideen so traditionsreichen Partei endlich wieder ein eigenes Profil zu geben. Taus, Busek und — in seiner neuen Rolle — auch Kohlmaier zeigen, daß sich das soziale, das liberale und das humanitäre Österreich absolut nicht unbedingt unter sozialistischem Vorzeichen politisch manifestieren muß.

In wenigen Tagen schon hat das neue Führungsteam eine eindrucksvolle Probe seiner Leistungsfähigkeit geboten: Parteiapparat und Sympathisanten wurden aus Lethargie und Defaitismus geweckt und plötzlich wurde erkennbar, was da an unbändiger Einsatzbereitschaft und an Siegeswillen bisher unangesprochen geblieben war. Der neue Ton und die für die ÖVP bisher ungewohnte Fähigkeit im Umgang mit den Massenmedien haben aufhorchen lassen.

Es ist ganz undenkbar, daß die Dynamik des neuen Obmanns, der bereits seit seiner Nominierung durch die Parteispitze die Massenmedien beherrscht und die ÖVP in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stellt, in dieser Form anhalten kann. So liegt es nunmehr denn auch an allen seinen Mitarbeitern, dafür zu sorgen, daß die Ereignisse dieses denkwürdigen Parteitages mehr bleiben als eine Sternstunde: ein neuer Aufbruch.

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