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Mehr als Erinnerung

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Es war eine ausgezeichnete Idee des Gastdirigenten Bernhard Haitink und der Wiener Philharmoniker, die komplette Musik Mendelssohns zu „Ein Somernachtstraum“ auf das Programm des 6. Abonnementkonzerts zu setzen. Wie selten hört man diese lOteilige Suite, die Mendelssohn als op. 61 erst 1842 für eine höfische Aufführung des Shakespeare-Stückes in Potsdam geschrieben hat! Das war volle 16 Jahre nachdem er, das musikalische Wunderkind, die „Ouvertüre“ komponiert hatte, die, nach einem Vorschlag Hans von Bülows, eigentlich als „Sinfonische Dichtung“ zu bezeichnen wäre. Hier, in diesem Wunderwerk des Siebzehnjährigen, ist zwar im Keim schon das meiste von dem vorhanden, was er später in der viel-teiligen Schauspielmusik ausführte. Aber das macht sie nicht weniger kostbar. Seit zwei Generationen ist sie in Wien nicht mehr konzertant zu hören gewesen, und für theatralische Aufführungen ist sie kaum zu gebrauchen, denn sie dehnt das Lustspiel um volle 50 Minuten — und als Begleitmusik ist sie zu schade. Die mittlere und die jüngere Dirigentengeneration hat sie nicht im Repertoire (Toscanini setzte sie gern aufs Programm und machte bravouröse Orchesternummern aus den einzelnen Stücken, auch von Bruno Walter und unter Furtwängler konnte man sie hören). So war die Wiederbegegnung sehr erfreulich, zumal die Substanz der einzelnen Stücke sich frisch und unverbraucht erhalten hat, einschließlich des Hochzeitsmarsches, den wir in unserer Klavierstundenzeit allein oder vierhändig auf die Tasten zu hämmern pflegten, wobei uns dann vor der Reprise, in einer Art „Trio“, das Lachen verging vor der ans Herz greifenden Anmut einer so lieblichen Melodie, wie sie nach Mendelssohn nicht sehr vielen gelungen äst... Es war also mehr als Erinnerung, was uns die Musik lieb machte. Haitink hat sie mit der entsprechenden Leichtigkeit und Anmut aufgefaßt, und die Philharmoniker sind ihm mit Einfühlung und Präzision gefolgt.

Da kam also, nach der bekannten Ouvertüre und dem fast ebenso bekannten „Scherzo“', nach einem kurzen Allegro-Satz das Elfenlied mit Chor. Als Ubergang vom 2. zum 3. Akt schrieb Mendelssohn ein Allegro, das appassionato beginnt und sich commodo fortsetzt, den Auftritt der Handwerker untermalend. Hierauf folgen dann wieder zwei bekanntere Stücke: das Notturno mit dem berühmten Hornsolo und der Hochzeitsmarsch, hierauf ein manierlicher „Tanz der Rüpel“ und das Finale, mit Soli und Chor, mehrere vorhergehende Szenen kurz rekapitulierend. — Der Jeunesse-Damenchor tat sein Bestes, und die beiden Solistinnen sicher auch, aber es kam nicht viel dabei heraus: der Sopran von Arleen Auger klang merkwürdig glanzlos und schwach, und der Alt von Rohangiz Yachmi, den man schon besser gehört hat, ist für diese Partie wenig geeignet. Dies also war der kleine Wermutstropfen im Freudenbecher...

Daß aber Haitink dann im zweiten Teil statt Mahler-Musik zu bringen, für die er zuständig ist wie wenige unter den lebenden Dirigenten, ausgerechnet den „Zarathustra“ von Strauss (aber nicht von Nietzsche) aufs Programm setzte, war sehr zu bedauern. Wir haben an dieser Stelle unsere Bedenken gegen diese „Tondichtung“, die auf einem genial-fatalen Mißverständnis beruht, wiederholt geäußert und wollen nicht noch einmal die Strauss-Gemeinde auf den Plan rufen. Genug. Mit Mahler wär's halt schöner gewesen. Und logischer. Da ja die Wiener Philharmoniker (die in dieser Saison nur einen einzigen Symphoniesatz Mahlers auf dem Programm ihrer 10 Konzerte haben) durch ihren damaligen Vorstand die Gründung der Internationalen Gustav-Mahler-Gesellschaft angeregt haben, deren aktivster Vertreter in den Niederlanden Bernhard Haitink war.

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