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Mehr als ländlich

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Freizeitmode im Trachtenlook, „Tirolerabende“ und ,;urige“ Blasmusikkapellen -Haben sie echtes Brauchtum und gewachsene Volkskunst in unserer Freizeitkultur völlig verdrängt?

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Freizeitmode im Trachtenlook, „Tirolerabende“ und ,;urige“ Blasmusikkapellen -Haben sie echtes Brauchtum und gewachsene Volkskunst in unserer Freizeitkultur völlig verdrängt?

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Wieso fällt es dem Betrachter selbstheute, im Zeitalter allgemeiner Nivellierung, noch immer auf, daß in Österreich nicht wenige Leute Kleidungsstücke tragen, die man mehr oder weniger als Tracht bezeichnen kann - wobei man \mter Tracht im großen \md ganzen über^ Ueferte Kleidung versteht?

Obwohl zur Zeit aus verschiedenen Gründen eine geringere Vorhebe für trachtliche Kleidimg besteht, weiß man doch von Zeiten, wo vie-lenorts und nicht etwa nvir in den Gebirgsgegenden, sondern auch in der Großstadt Wien, Tracht kerne

Seltenheit war. Ältere Leute werden sich noch an die späten zwanziger imd ersten dreißiger Jahre erinnern, wo der Ausspruch des verdienten Trachtenforschers Franz Lipp noch seine volle Berechtigung hatte:

„Seit hundert Jahren etwa stellt sich dem Trachtensterben das immer stärkere Bedürfnis nach einer artgemäßen - also angestammten -Kleidung entgegen, das in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg geradezu zu einem Hunger wurde.“

Das Kaiserjubiläum im Jahre 1908 mit seiner großen Präsentation von Trachten aus allen Gegenden der Monarchie war der Beginn eines neuen Interesses für Trachten und der damit verbundenen Werte.

Der starke Impuls zum Wieder-Tragen trachtlicher Kleidung ist in der Hauptsache von städtischen Kreisen, nicht zuletzt von der wandernden Jugend ausgegangen und erst dann auf das Land übergesprungen. Hilfestellung wurde dabei von fleißiger Forschungs- und Sammlertätigkeit geleistet, die vielfach ein Wandern von Ort zu Ort, Befragungen von Mensch zu Mensch zur Voraussetzung hatte. Der große Vorteil der österreichischen IVach-tensituation bestand darin, daß in unserem Lande noch einige Landschaften - gleichsam Inseln - vorhanden waren, in denen sich Tracht primär erhalten hatte, und dies bis auf den heutigen Tag: im Salzkammergut, insbesondere im Ausseer^ land, in der Gegend von Ka\s, im Bregenzerwald, bei besonderen Anlässen im Pinzgau, im Pongau, im Südtiroler Samtal -nur um einige Beispiele zu neimen-

Im Laufe der Zeit verdichtete sich die Sammel- und Publikationstä-tigkeit und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhielt, als Ergebnis jahrzehntelanger wissen-schafthcher Tätigkeit, ein Bundesland nach dem anderen repräsentative Trachtenwerke. Hier seien in erster Linie das richtungweisende Buch „Lebendige Tracht in Tirol“ von Gertrud Pesendorfer und die beispielhafte Trachtenmappenreihe „Oberösterreichische Trachten“ von Franz Lipp erwähnt. Inzwischen sind in allen Bundesländern ähnh-che Publikationen erschienen und zuletzt wurde heuer im Buch „Trachten für Wien und sein Umland“ der Versuch gemacht, den Formenreichtum au&uzeigen, den diese Landschaft aufweist

Längst schon war trachtUche oder trachtenähnhche Kleidung nichtnur das Kennzeichen des bäuerlichen Standes, sondern in einer Art Begriffswandel ist aus Bauemgewand Volkstracht geworden.

In der Tat, wer heute selbst ein anspruchsvolleres traditionelles Gewand - zum Beispiel ausgestickte, schwarze, lederne Kniebundhosen, sogenannte „Kniežbihosen“ -oder, falls es sich um Frauen handelt, einen reich ausgezierten „Leibikittel“ trägt, denkt keinen Augenbhck daran, sich für einen Bauern, beziehungsweise für eine Bäuerin zu halten. Ja, nicht wenige ziehen heute zur Hochzeit das trachtUche Gewand der modischen Kleidung vor und auch bei festU-chen Gelegenheiten wie etwa Empfängen oder Konzerten ist es, vor allem in xmseren Alpenländem, dxirchaus passend, in entsprechender l^aclit zu erscheinen.

In diesem Sinne nehmen Österreich xmd auch das mentalitätsverwandte Bayern eine Art Sonderstellung in Europa ein, die man xnel-leicht nur mit Schottland - mit der Achtung vor dem angestammten Kilt - vergleichen kann. Dazu kommt, daß in xmserem Land die Materiahen, die zur Trachtenherstellxmg benötigt werden, wie Baxmiwoll-drucke, Seidenbrokate, Loden, Kalmuck xmd vieles andere sowie Zubehör wie Zackenhtzen, Souta-chebänder, Flinserln, Hirschhom-knöpf e xmd so weiter in großer Vielfalt erzexigt werden.

Seit den dreißiger Jahren bemüht man sich, die ländliche Tracht, ohne sie im Grxmdsätzhchen zu verändern, mit aller Vorsicht xmd viel Geschmack einem nexizeitüchen

Kleider- xmd Körpergefühl anzupassen. Man nermt dies „Trachten-emeuerung“, was also nicht ein willkürhches Erfinden neuer Trachtenkreationen bedeutet. In jüngerer Zeit machte sich die

Frage „Was ist der Unterschied zwischen Tracht xmd Mode“ bemerkbar. Die Trachtenfachleute, welche dxirchaxis einräumen, daß es Modeströmungen innerhalb der Tracht gibt - denken wir an die vielen, heute im Rahmen der Tracht getragenen gewürfelten Janker, die mit der Mode etwas mitgehende Länge der Frauenröcke, die heute bemerkbare VorUebe für besonders weite, gezogene Ärmel - wollen aber dennoch den willkürUchen Einflxiß auf die Gestaltung überlieferter Kleidung ausschalten. Į

Man sagt also Ja zur Mode in der Tracht, steht aber dem Fragenkomplex „Trachtermiode“ mehr oder weniger kritisch gegenüber. Der Hauptgrund dieser Zurückhaltung ist die Befürchtxmg, daß dxurch die

Veränderxmgen vielleicht eine gewisse „VerWässerung“ eintreten könnte.

Da in den siebziger Jahren ein starker Wunsch nach der echten Itecht bemerkbar wurde, gründete die Textilindustrie eine „ARGE IVacht“ und mit HiUe der österreichischen Heimatwerke, die aus den einzelnen Bxmdesländem einige Trachtenbeispiele zur Verfügung stellten, konnten diese nxm indx^ striell hergestellt werden. Es waren dxirch mehrere Jahre wirkhch gute ^Krachten axis schönen Stoffen, vor allem Alltagstrachten, in den einschlägigen Kleidergeschäften erhältlich. Dadurch wurde gute trachtUche Kleidxing weit verbreitet xmd besonders am Land, wo immer noch eine gewisse Zurückhaltung dem Trachtentragen gegenüber bemerkbar war, wurde sie vielfach angenommen.

Leider haben die Erzeuger dieser guten Trachten - von der Modegepflogenheit getrieben, es müsse ja immer Neues gebracht werden -diese verändert und zuletzt zum bloßen Folklorelook gemacht Auch die „ARGE Tracht“ gibt es nicht mehr.

Fragt man danach, was denn die Großstadt Wien für eine Besdehung zur ländUchen Kleidung hat, so möge man sich daran erinnern, daß Wien noch im vorigen Jahrhundert von einem Kranz ländlicher Vorstädte xmd Dörfer umgeben war. Dadurch machte sich ein stetes Nebeneinander von LändUchem xmd Städtischem bemerkbar. Dies haben auta eindrucksvollste xmsere großen Biedermeiermaler dargestellt

Die letzten Äxißenmgen noch authentischer trachtUcher ÜberUe-ferung fielen dann zeitUch nach dem Ersten Weltkrieg gewissermaßen mit den Vorboten einer Trachtenemexie-pmg zusammen. Das heuer im Österreichischen Bundesverlag erschienene Buch „Trachten für Wien und sein Umland“ wurde in diesem Sinne vor allem mit dem Ziel geschrieben, den überraschenden Reichtum an trachtUchen Formen in dieser, im Schnittpxinkt von Alpenländi-schem xmd Donaxiländischem hegenden Region nahezubringen xmd diese besondere Situation des Neben- xmd Miteinander» von Städtischem und LändUchem zu erhalten.

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