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Mehr als Urlaubsfotos

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Urlaubsfotos, Kinderfotos, Hochzeitsfotos... Mit dem vollautomatischen Konsumgut Fo-toapparat ist diese Art, die Gegen-wart festzuhalten und von ihr Besitz zu ergreifen, sie herzeigbar zu machen, zur Alltäglichkeit und zum Zeitvertreib geworden. Fotografien dienen der Dokumentation unserer Vergangenheit, sind Gegenstand sentimentaler Erinnerungen oder Beweise für die Wahrhaftigkeit eigener Erlebnisse.

"Unsere Aufgabe besteht darin, die Wirklichkeit zu beobachten und festzuhalten, nicht aber daran herumzumanipulieren", definierte Henri Cartier-Bresson 1952 das Credo des Fotojournalismus. Foto-grafie als das objektive Medium schlechthin, das mechanisch-che-mische Aufzeichnungsverfahren entzieht sich scheinbar dem direkten Einfluß des Menschen.

Die Kunstform Fotografie hinge-gen macht nicht nur andere Bildin-halte zum Gegenstand, ebenso ver-schieden ist auch ihr Umgang mit der Wirklichkeit. Eine scheinbar identische Situation, eine scheinbar gleiche Landschaft, kann über den Druck auf den Auslöser offen-sichtlich verschieden dargestellt werden. Die Sichtweise und die Absicht des Fotografen gestalten das Endergebnis Foto. Fotografie ist weit davon entfernt, auf ein sklavisches Abbilden der vermeint-lichen Realität beschränkt zu sein.

Fotografie als Kunstform, als Gegenstand kunsttheoretischer und philosophischer Fragen behandelte das nunmehr elfte Symposion über Fotografie des Forum Stadtpark in Graz im Oktober: "Seinsentzug. Die Dinge, die Zeichen, die Waren" lautete das Thema.

Vorträge versuchten, die Foto-grafie in das Beziehungsfeld der philosophischen Diskussion um das Sein des Dings und seine Metamorphose zum Zeichen, zur Ware zu stellen. Der Medientheoretiker Peter Weibel entwickelte ein philosophisches Gebäude, unterwarf Immanuel Kant bis Jacques Lacan seiner Interpretation. "Nicht das Ich soll im Sein verschwinden, sondern das Sein im Ich. Erst der Mord am Ding ermöglicht dem Subjekt seine Souveränität."

Einer Übersetzung dieser Begriffe stellte sich der Laibacher Philosoph Slavoy Zizek. An Filmausschnitten zeigte er eindrucksvoll die Symbolik der Darstellung, das Hinausgehen des Bildinhalts über das reine Sein der Abbildung. Er demonstrierte den Unterschied zwischen dem Ding und dem, was in den Vorstellungen des einzelnen aus derAbbil-dung des Dings entsteht anhand einer Szene aus Charly Chaplins "Lichter der Großstadt".

"In seiner ureigenen, komischen Weise überquert der Tramp eine durch Autos verstopfte Straße. Er geht durch die einzelnen Fahrzeuge, um auf die andere Seite der Straße zu gelangen. Dort hört ein blindes Mädchen das Zufallen der letzten Autotür. In der Vorstellung der Blumenverkäuferin wird der Tramp damit zum reichen Mann. Chaplin überläßt der jungen Frau großzügig sein letztes Geld für eine Blume. Das verstärkt ihr Bild vom Traumprinzen, den sie nicht sehen kann. Der Realität wird damit das Sein entzogen und in den Gedanken des Mädchens entsteht ein Symbol für ihre Wünsche, für sie die Wirklichkeit."

Parallel zum Symposion visuali-sierte eine Ausstellung diese Leitgedanken. Es geht um mehr als um das Sichtbare - um Gedanken, die sich im Bild mitteilen, um die Idee. Die einfache und direkte Aussage, die leichte Lesbarkeit der Fotografie geht verloren. Der Betrachter muß sich mit ihr auseinandersetzen.

Dabei wird bewußt, daß der Glau-be an die unwiderlegbare Objekti-vität der fotografischen Abbildung falsch ist. Nicht nur, wenn es um Kunst geht. Auch die Bilder des Fo-tojournalismus gehorchen densel-ben Bedingungen, selbst wenn sie nur dokumentieren wollen. Die "Laufenden Bilder" des Fernsehenshaben der Fotografie den ersten Rang als Reportagemedium abge-nommen. Der Fotograf erhält einen neuen Freiraum, die Möglichkeit, seine Auffassung zu überdenken.

Der "picture taker", der ein Bild (auf)nimmt, wird zum "picture maker", der ein neues Bild macht, das sonst niemand gesehen hätte. Die Wirklichkeit wird subjektiv, findet keine Entsprechung mehr in der objektiven Wirklichkeit. "Auf-genommene" Bilder halten fest, was in der Realität bereits Vergangenheit geworden ist. "Gemachte" Bilder sind Gegenwart, können in die Zukunft weisen.

(Die Beiträge des Symposions und der Ausstellung werden in "Camera Austria" Heft Nr. 36/Frühjahr 1991 publiziert.)

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