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Mehr Bildung ist immer gut

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Bildung, was immer jemand damit meint, stellt in unserer Gesellschaft einen positiven Wert dar. Es würde sicherlich - niemand wagen, in der Öffentlichkeit zu vertreten, er sei gegen Bildung. Niemand wird auch bestreiten, daß Bü- dung etwas mit Schule zu tun hat Nicht, daß man Bildung erlernen könnte wie die Strophen eines Gedichtes, oder daß bestimmte Schulabschlüsse bereits ein bestimmtes Bildungsniveau garantierten. Aber die Schlußfolgerung erscheint wohl berechtigt, daß jedes Mehr an Schulbildung einem Menschen bessere Voraussetzungen vermittelt, tatsächlich gebildet zu werden.

In krassem Widerspruch zur allgemein deklarierten Wertschätzung von Büdung steht das Gejammer über zu viele Maturanten oder gar Akademiker, wie es seit Jahren aus den konservativen Kreisen tönt Kann Bildung dadurch entwertet werden, daß mehr Menschen als ehedem sie anstreben? Was sollen Begriffe wie Maturanten-, Akademikeroder Bildungsschwemme? Was bezweckt man mit dieser Antiwerbung gegen eine Verbreiterung der Bildungsbasis? Wer wird sich dadurch vom Besuch höherer Schulen abhalten lassen?

Doch sicherlich nicht die Kinder eines etablierten Besitz- und Bildungsbürgertums, aber wohl hingegen viele, die aus Arbeiter- oder Bau- emfamilien stammen. Die Panikmache vor zu vielen Maturanten und Akademikern entspringt offensichtlich dem Wunsch und verfolgt den Zweck, einer kleinen Schicht so- zioökonomisch Bessergestellter überkommene Bildungsprivilegien zu erhalten.

Geht es dabei aber tatsächlich um Bildung? Vielleicht um Bildung als Prestigeobjekt, aber in erster Linie wohl um die Berechtigungen, die mit bestimmten Zeugnissen und Schulabschlüssen verbunden sind und die die Voraussetzungen für gehobene Berufskarrieren darstellen. Anstelle von Bildungsgesinnung treffen wir vielfach auf eine bloße Jobgesinnung, die utilitaristischen Zwecke stehen allzusehr im Vordergrund.

Tage Erlander, ehemaliger schwedischer Ministerpräsident, schrieb in seinen „Erinnerungen” über seine Gymnasialzeit: „Aber die meisten meiner Kameraden schienen die Schule nur als notwendiges Übel zu betrachten, das man erleiden mußte, ohne allzu großen Schaden zu nehmen, um danach in der Gesellschaft eine ebenso vorteilhafte Position wie die Eltern einzunehmen oder am liebsten eine noch höhere. Wissen an sich schien ihnen keinen Wert zu haben.”

Eine veraltete, überholte Aussage, die keine Aktualität in unserem Lande und für die Gesellschaft unserer Tage besitzt?

Für eine Veränderung des Bildungsbewußtseins im eigentlichen Sinn von Bildung muß noch viel getan werden. Fürs erste sollte mein jede Form von Kampagnen, die indirekt mehr Bildung zu haben als etwas Negatives, ja Gefährliches darstellen, unterlassen. Gebildet zu sein, hat noch niemandem geschadet Auch nicht im althergebrachten utilitaristischen Sinn.

Es wäre doch geradezu dümmlich, würde man einen Leitsatz vertreten, der etwa lautete: Man muß weniger lernen, damit man im Leben mehr Chancen hat. Alle Erfahrungen zeigen, die entsprechenden Statistiken bestätigen es, daß ein Mehr an Bildung die Berufschancen eines Menschen vergrößert und daß selbst die Gefahr, arbeitslos zu werden, entscheidend vermindert wird. Allerdings wird man eines zur Kenntnis nehmen müssen: Ein Abschlußzeugnis oder ein Diplom wird bei entsprechender Verbreiterung der Bildungsbasis nicht automatisch einen gehobenen Dienstposten garantieren können.

Gerade durch die Entkoppelung von Bildungsdiplom und Berufslaufbahn eröffnen sich aber in größerem Ausmaß Chancen für wahre Bildung. Bildung kann nicht nur Ausbildung für den Beruf, Grundbedingung für Erfolg, sozioökonomische Vorteile und gesellschaftliche Macht sein. Was bisher vielfach zu kurz gekommen ist, war Menschenbildung, sind Kreativität, Phantasie, das Musische, das Sportliche, ist Bildung als Quelle von Lebensfreude, als eman- zipatorische Voraussetzung für die Überwindung einseitiger Konsumgesinnung und materialistischer Grundhaltung; Bildung als Voraussetzung zur Selbstverwirklichung des Menschen, die ihn befähigt, sein Leben, seine Freizeit sinnvoll zu gestalten, die ihn zum Subjekt der Kultur werden läßt

Dieses Bewußtsein von Büdung, das es im vielleicht gar nicht so seltenen Einzelfall schon immer gegeben hat, gilt es auf eine wesentlich breitere Basis zu stellen, zu einem gesellschaftsbestimmenden Bewußtsein zu machen. Dazu bedarf es mancher Änderung in unseren Bildungs- und Kulturinstitutionen. Und zwar sowohl in inhaltlicher wie auch in organisatorischer Hinsicht.

Dazu gehören unter anderem, wie wir Sozialisten es in unserem Parteiprogramm 1978 ausgedrückt haben,J eine Reform der Bildungsinhalte, eine gleichwertige Berücksichtigung der musischen und der körperlichen Büdung neben anderen Bildungsinhalten, eine Entwicklung von Lehr- und Lemformen, die die Schüler zur selbsttätigen Organisation ihrer Arbeit und zur Entwicklung solidarischer Beziehungen befähigen, dazu gehören auch, daß Allgemeinbildung und Berufsbüdung sinnvoller aufeinander bezogen werden.

Dazu bedarf es aber auch anderer schulischer Organisationsformen, wie etwa der gegenwärtig so heftig diskutierten gemeinsamen Schule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen oder der Ganztagsschule als Altemativangebot.

Bewußtseinsveränderungen sind langwierige Prozesse. Sie schreiten so langsam voran, daß der Engagierte über das Schneckentempo manchmal schier verzweifeln möchte. Aber letztlich läßt sich der Fortschritt nicht aufhalten. Der Traum von einer humaneren Welt ist zumindest eine reale Hoffnung. Manės Sperber hat einmal gesagt: „Ich bin nie einer Idee begegnet, die mich so überwältigt und meinen Weg so bestimmt hat wie die Idee, daß diese Welt nicht so bleiben kann, wie sie ist, daß sie ganz anders werden kann und es werden wird.”

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