6945087-1983_41_19.jpg
Digital In Arbeit

Mehr Elend trotz Wachstum

Werbung
Werbung
Werbung

Vorige Woche wurden Brasilien wieder Kredite in der Höhe mehrerer Milliarden Dollar bewilligt. Schulden in der unfaßbaren Höhe von 87 Milliarden Dollar waren zu bedienen, als Zinsen und Tilgungen zu bezahlen. Man fragt sich nur: Woher sollen die Mittel kom men, diese neuerliche Verschuldung abzuarbeiten?

Wer sich überhaupt noch ernsthaft Gedanken darüber macht, setzt wohl seine Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung. Allein die Erfahrungen des letzten Booms geben keinen Anlaß zu günstigen Erwartungen: In den Jahren von 1970 bis 1977 wuchs zwar Brasiliens Wirtschaft um sagenhafte 10# Prozent jährlich. Gleichzeitig stieg aber auch seine Verschuldung so dramatisch an, daß dieses Problem heute unlösbar erscheint. In den siebziger Jahren kam es auch zu jenem massiven Ausverkauf riesiger Landflächen mit Vertreibung der Landarbeiter und dem Anwachsen der Slums rund um die Großstädte.

Auch sind die Boomjahre die Zeit des weiteren Anwachsens der Kluft zwischen Arm und Reich gewesen. Verdienten die 40 ärmsten Prozent der Bevölkerung in den sechziger Jahren noch 9# Prozent des Volkseinkommens, so sank ihr Anteil seither auf 5# Prozent ab! Die reichsten zehn Prozent konnten hingegen ihren Anteil von 48 auf unfaßbare 58 Prozent ausweiten!

Zu Beginn der sechziger Jahre meinte die UNO noch, daß man die Armut in Lateinamerika durch ein Wirtschaftswachstum von jährlich fünf Prozent beseitigen könne. Heute nach zwei Jahrzehnten sogar höheren ‘ Wachstums wissen wir es besser. Es hat nichts genützt, das Elend ist größer denn je!

Wir Europäer müssen endlich begreifen, daß Lateinamerikas Probleme nicht primär solche mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sondern vor allem solche einer extrem ungerechten Verteilung sind.

Weiters sollten wir zur Kenntnis nehmen, daß diejenigen, die sich gegen dieses System der Ausbeutung wenden, nicht deswegen schon als Kommunisten zu verteufeln sind. Auch steht in Lateinamerika durchaus nicht unser Wirtschaftssystem auf der Probe. Ein derart nackter Kapitalismus ist bei uns schon längst Geschichte.

Daher ist es auch unbe-. greiflich, daß wir uns mit Militärdiktaturen und korrupten Machteliten identifizieren, die oft ganze Länder behandeln, als wären sie ihre Privathaziendas.

Die wachen Kräfte Lateinamerikas, vor allem auch die Kirche, suchen nach neuen Wegen, zwischen dem vom Konsum beherrschten Westen und dem die Freiheit unterdrückenden Osten. Wir sollten diese Suche unterstützen. Es könnte sein, daß wir selbst von den dabei erzielten Erfahrungen profitieren werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung