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Mehr Föderalismus statt Staatsfilz
Anton Benya zieht gegen die „Obstruktionspolitik“ des Bundesrates zu Feld, die Bundesländer klagen über die Kandare der Zentralbürokratie. Was ist dran am Bundesstaat?
Anton Benya zieht gegen die „Obstruktionspolitik“ des Bundesrates zu Feld, die Bundesländer klagen über die Kandare der Zentralbürokratie. Was ist dran am Bundesstaat?
Die Diskussionen der jüngsten Zeit, beispielsweise über länderweise unterschiedliche Ladenschlußzeiten, einen bundesweit einheitlichen Strompreis, die Fö-deralisierung des Mietrechts, die Gründung einer niederösterreichischen Landeshauptstadt oder die Polemik des Ersten National-
ratspräsidenten gegen den Bundesrat lassen die Frage nach dem Stellenwert von Föderalismus und Bundesstaat in der gegenwärtigen politischen Praxis aufkommen.
Bekanntlich bestimmt die Bundesverfassung, daß Österreich ein Bundesstaat ist, der aus den selbständigen Ländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien gebildet wird.
Mit vollem Recht konnte Staatskanzler Karl Renner seinerzeit festhalten, daß die Begründung der Republik nach dem Untergang der Monarchie 1918 durch den freiwilligen Zusammenschluß der Länder erfolgte.
Die Zeitumstände, ideologische und machtpolitische Parteiüberlegungen sowie tiefverwurzelte zentralistische Traditionen führten demgegenüber dazu, daß Österreich zwar formell als Bundesstaat eingerichtet, den Ländern jedoch nur eine äußerst schwache Stellung, eingeräumt ' wurde. Zudem mußten die Länder in der Ersten Republik noch zahlreiche weitere Zentralisierungen hinnehmen.
Anläßlich des 40jährigen Bestehens der Zweiten Republik im letzten Jahr würde bei zahlreichen Feiern an den entscheidenden Anteil der Länder bei der Wiedererrichtung Österreichs im Jahr 1945 erinnert. Es waren die
Länder, die durch ihr erneutes Bekenntnis der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammengehörigkeit die Einheit Österreichs bewahrten.
Die ersten Jahrzehnte der Zweiten Republik, insbesondere wäh-
rend der „großen Koalition“, standen jedoch erneut im Zeichen des Zentralismus. Daran konnte auch das von allen neun Ländern
— ungeachtet aller Parteigrenzen
— gemeinsam erarbeitete Forderungsprogramm der Bundesländer nichts ändern.
Zum einen, weil dieser Föderalismus-Forderungskatalog als „pragmatisches Minimalprogramm“, (Peter Pernthaler) nicht auf eine grundsätzliche Bundesstaatsreform zielt, zum anderen, weil der Bund sich 1974 und 1984 lediglich zu einer Teilverwirklichung desselben bereitgefunden hat.
Das Institut für Föderalismusforschung der Länder Salzburg, Tirol und Vorarlberg schreibt daher in seinem jüngsten Bericht
über die Lage des Föderalismus in Österreich, daß durch die Verfassungsnovelle 1984 zwar ein kleiner Fortschritt in den Bemühungen zur Stärkung der bundesstaatlichen Struktur Österreichs erreicht werden konnte, daß aber
nach wie vor viele und sehr bedeutende Forderungen der Länder, insbesondere im finanziellen Bereich, unerfüllt sind.
Zudem lassen — wie erwähnt — verschiedene Vorkommnisse der letzten Zeit auf ein tief verwurzeltes Mißtrauen mancher Bundespolitiker gegen Bundesstaat und Föderalismus schließen.
Und wenn Jörg Mauthe angesichts der politischen und gesellschaftlichen Situation Österreichs kurz vor seinem Tod von der „Ostblockisierung“ unseres Staatswesens sprach, so scheint es mit dem bundesstaatlich-demokratisch-rechtsstaatlichen Fundament der Republik an sich nicht zum besten zu stehen.
Dabei unternehmen gerade die Länder in den letzten Jahren
nicht unwesentliche Anstrengungen, eben dieses Fundament zu stärken.
Durch die von allen politischen Kräften getragenen Reformen der Landesverfassungen sucht man beispielsweise dem geänder-
ten Verhältnis Bürger-Parlament-Regierung in zeitgemäßer Form Rechnung zu tragen, neue Einrichtungen der politischen Beteiligung der Landesbürger am politischen Geschehen sowie eine wirksame Kontrolle staatlichen Handelns zu schaffen und nicht zuletzt für mehr Bürgernähe und Durchschaubarkeit der Verwaltung zu sorgen.
Das steigende Landesbewußtsein, die im Verhältnis zum Bundesbereich relative Skandalarmut der Landespolitik oder der durch jüngste Meinungsbefragungen belegte hohe Bekannt-heits- und Beliebtheitsgrad mancher Landespolitiker lassen Rückschlüsse zu auf die Verläßlichkeit und die grundsätzliche Zustimmung der Bevölkerung zur
jeweiligen Landespolitik. Dies kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch im Landesbereich manches verbesserungsfähig wäre.
Angesichts der bestehenden, kaum mehr • durchschaubaren Verfilzung von Politik, Wirtschaft und Kultur, angesichts der Entscheidungsallmacht von Parteizentralen und der Zentralbürokratie gewinnt — keineswegs nur in Österreich — die Forderung nach mehr Föderalismus, nach einer Dezentralisierung der Ent-scheidungs- und Verantwortungsträger mehr und mehr an Gewicht.
Diese Forderung entspringt der Erfahrung, daß zahlreiche Staatsaufgaben besser im Land, in der Region bewältigt werden können als in fernen Zentralen. Die Nähe und Uberschaubarkeit, die Kenntnis der örtlichen und sachlichen Gegebenheiten ermöglichen es lokalen Entscheidungsträgern, in vielen Fällen raschere, billigere und sachgerechtere Lösungen zu finden.
Aufgabenverlagerung
Dies darf natürlich nicht zur Schaffung neuer Machtkonzentrationen führen. Aufgrund des mit dem Föderalismus eng verbundenen Subsidiaritätsprinzips muß daher jedem Bereich (Bund, Länder, Gemeinden, soziale Gruppen, Familie, einzelner) jeweils der Gestaltungs- und Verantwortungsbereich zukommen, den er aufgrund seiner spezifischen Möglichkeiten bewältigen kann.
Dies müßte auf österreichische Verhältnisse bezogen einerseits zu einer Verlagerung von Kompetenzen vom Bund zu den Ländern und den Gemeinden, gleichzeitig aber auch zu einer Auf gabenverlagerung vom staatlichen zum privaten Bereich führen.
Eine solche Entlastung würde es dem an seine Grenzen geratenen Staat wieder ermöglichen, seiner eigentlichen Bestimmung nachzukommen. Die dem Bürger dadurch neu erwachsende Gestaltungs- und Entfaltungsfreiheit wiederum könnte dazu beitragen, die bestehende Politik-, Staatsund Pärteienverdrossenheit zu beseitigen. Bundesstaat und Demokratie wäre so zweifellos ein existentieller Dienst erwiesen.
Der Autor ist Mitarbeiter am Institut für Föderalismusforschung, Innsbruck.
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