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Mehr Freiheit vom Staat auch im Bildungswesen

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Es besteht heute wieder die Gefahr, daß stark ideologisch gefärbte Debatten um Strukturreformen im Bildungssektor (wie zur Gesamtschule oder zur Ganztagsschule) von den eigentlichen bildungspolitischen Problemen ablenken. Diese bestehen vor allem darin, daß der Bildungssektor heute ohne wirksame Steuerungsmechanismen umgeplant (oder auch planlos) administriert wird und sich dadurch immer mehr die Gefahr abzeichnet, daß die „Bildungsexplosion“ nicht nur nicht finanzierbar wird, sondern auch kaum verwertbare Ergebnisse für die Gesellschaft bringt. Deshalb scheint es an der Zeit, gesellschaftspolitische Alternativkonzepte zur Diskussion zu stellen, die sich konkret mit unserer Bildungspolitik beschäftigen und nicht bloß „Strukturkosmetik“ betreiben.

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Es besteht heute wieder die Gefahr, daß stark ideologisch gefärbte Debatten um Strukturreformen im Bildungssektor (wie zur Gesamtschule oder zur Ganztagsschule) von den eigentlichen bildungspolitischen Problemen ablenken. Diese bestehen vor allem darin, daß der Bildungssektor heute ohne wirksame Steuerungsmechanismen umgeplant (oder auch planlos) administriert wird und sich dadurch immer mehr die Gefahr abzeichnet, daß die „Bildungsexplosion“ nicht nur nicht finanzierbar wird, sondern auch kaum verwertbare Ergebnisse für die Gesellschaft bringt. Deshalb scheint es an der Zeit, gesellschaftspolitische Alternativkonzepte zur Diskussion zu stellen, die sich konkret mit unserer Bildungspolitik beschäftigen und nicht bloß „Strukturkosmetik“ betreiben.

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Das österreichische Bildungssystem stellt einen der am meisten verstaatlichten Sektoren unseres Gesellschaftslebens dar. Abgesehen vom Kindergarten, großen Teilen der Erwachsenenbildung und der betrieblichen Lehrlingsausbildung ist die gesamte Bildungslandschaft durch umfassendes Engagement des Staates gekennzeichnet, der sich sowohl um äußere Strukturen als auch um Bildungsinhalte bestimmend annimmt: der Staat ist im Bildungssektor de facto der einzige Arbeitgeber (weil auch der Großteil der Privatschulen als „lebende Subventionen“ Lehrkräfte beschäftigt, die Gehalt, Ausbildung und Anstellungsbedingungen vom Staat vorgeschrieben erhalten), aber auch der bei weitem größte Schulerhalter und Schulerbauer; schließlich ist er der einzige Anbieter von Bildungsinhalten bei Schulen und Universitäten. Daraus kann man folgern, daß das österreichische Bildungssystem in vielen Bereichen mit einer Zentralverwaltungswirtschaft vergleichbar ist:

Die staatliche Verwaltung hat kaum (marktwirtschaftliche) Korrektivme chanismen, ja sie ist sogar geradezu durch einen Horror vor Planung und Lenkung und vor (büdungs-)ökono- mischen Überlegungen oder der Berücksichtigung wirtschaftlicher Anliegen gekennzeichnet. Das alles hat zu Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage, zu einem Zuviel oder Zuwenig an Output (an Ausgebildeten) geführt - typischen Begleiterscheinungen einer Zentralverwaltungswirtschaft.

Der Mangel an Korrektivmechanismen hat auch dazu geführt, daß alle Bemühungen um die Erneuerung des Bildungssystems und seine Anpassung an Erfordernisse der Praxis trotz unbestreitbarer Bemühungen vieler Betroffener wenig Erfolge gezeitigt haben: solche Maßnahmen sind immer wieder in Anfängen stecken geblieben.

Praxisfeme Lehrpläne

Lehrplanreformen der allgemeinbildenden Schulen zeigen dies ganz deutlich: In vielen Wissensbereichen gehört der Wissensstoff unserer Schulen nicht nur aktualisiert, sondern auch wesentlich gestrafft. Leider endet diese Forderung nach Kürzung, Sichtung und Lichtung der Lehrpläne erfahrungsgemäß immer wieder bei den Fachgebieten’der anderen, nicht aber bei dem des jeweils betroffenen Experten. Noch viel schwieriger ist es mit den Bemühungen, im heutigen beruflichen Leben geforderte Haltungen und Techniken zu vermitteln: Etwa die Bereitschaft zur Leistung und Eigeninitiative, Erziehung zur Kommunikation, zur Gruppenärbeit oder die Vermittlung entsprechender rhetorischer Kenntnisse oder die Fähigkeit zum Führungsverhalten.

Auch die Einführung neuer Gegenstände, die aus der Entwicklung unserer Gesellschaft heraus notwendig werden, kommt über verschiedene Ansätze nicht hinaus: Eine umfassende Vermittlung von Kenntnissen über wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge (Wirtschaftsund Sozialkunde) oder aber die Einführung in Techniken der heutigen Zeit, wie etwa Grundkenntnisse der Datenverarbeitung, erfolgt nur zögernd und halbherzig.

Die Forderung nach einer Lehrplanreform („Sichtung und Lichtung der Lehrpläne“) wird zwar immer wieder erhoben, endet jedoch in Gremien, in denen die Lehrpläne vor allem von Insidern und Betroffenen selbst bearbeitet und umgearbeitet werden, in denen also vor allem die Lehrer wiederum wesentlich den Inhalt der schulischen Ausbildung bestimmen: Daß das trotz des in Österreich gegebenen gesetzlichen Begutachtungsrechtes der gro ßen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und auch der übrigen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen de facto nur unzureichend zu einer Erneuerung der Lehrpläne und ihrer Praxisorientierung führen kann, liegt auf der Hand.

Die Überforderung des Staates in der Büdungspolitik ergibt sich vor allem auch aus dem Timing bildungspolitischer Entscheidungen: Politiker in demokratischen Staaten rechnen notwendigerweise unter dem Aspekt ihrer Wiederwahl in sehr kurzen Zeiträumen, ihr Zeithorizont wird daher nur selten den Bereich einer Wahlperiode übersteigen. Bildungspolitische Entscheidungen aber haben eine unerhört lange Ausreifezeit. Erfolg oder Mißerfolg einer Schulreform muß - bedenkt man die Zeiträume, bis ein bedeutender Teil des Arbeitskräftepotentials aus einer solchen reformierten Ausbildung auf den Arbeitsmarkt kommt - von einer späteren Generation beurteilt werden, kann von den Politikern von heute de facto also gar nicht politisch verantwortet werden.

Das Bildungssystem hat schließlich alle Fähigkeiten zur Selbststeuerung verloren: Es wird verwaltet, es herrscht auch nicht in Ansätzen Wettbewerb, es fehlt eigener Entscheidungsspielraum der im System Tätigen, es fehlt aber auch der Mechanismus der Selbststeuerung für den finanziellen Bereich, weil Kostentragung der Benützer im Bildungssystem nicht erfolgt, ja sogar oft eine exakte Kostenrechnung fehlt. Zusammen mit der schon vorher dargelegten Monopolsituation des Staates muß das ganz fatale Auswirkungen haben, die vom Finanzpolitischen (ständig steigende Bildungsausgaben) bis1 zum Gesellschaftspolitischen (Auswirkungen der Diskrepanz zwischen individueller Büdung und Arbeitsplatzangebot) reichen.

Mehr Autonomie

Auch in der Bildungspolitik sollte man von der totalen Verstaatlichung und Beseitigung aller Anreize zu individuellem Handeln abgehen zugunsten einer Bildungspolitik, die bei aller Berücksichtigung der Forderung nach Chancengerechtigkeit und sozialem Ausgleich eine gewisse Reprivatisierung des Bildungswesens anstrebt. Es muß auch im Bildungssektor Elemente des Wettbewerbs und der freien Wahl zwischen Angeboten geben, es sollten Hilfen zur Bewältigung bestimmter Probleme, wie etwa der Berufstätigkeit der Frau geboten werden, ohne daß solche Hilfen zum „hilfreichen Zwang“, wie die Ganztagsschule, ausarten.

Eine gewisse Reprivatisierung im Bildungssektor ist vor allem dort möglich, wo Bildung über den Infrastruktursektor hinausgeht, also in Österreich etwa ab dem Bereich der Pflichtschulausbildung, wenn man davon ausgehen kann, daß mit der Vermittlung einer Basisausbildung an alle die unmittelbare Bildungsaufgabe des Staates erfüllt ist und nunmehr eher Hilfe zur Selbsthilfe geboten werden sollte (Subsidiaritätsprinzip).

Mittelfristig könnten zur Verwirklichung dieser Alternativen verschiedene Maßnahmen dienen:

• Mehr Autonomie im staatlichen Bildungssektor, also mehr Wettbewerb zwischen den einzelnen Schulen und Bildungsstätten: Das würde insbesondere Personalautonomie des Direktors einer Schule, des Dekans oder Rektors einer Universität bedeuten, verbunden mit finanzieller Autonomie zur Setzung von Schwerpunkten des Auf- und Ausbaues oder der Ausstattung von Schulen und Universitätsinstituten. Dazu scheint die Wiedereinführung von Taxen und Schulgeldern außerhalb des Pflichtschulbereiches ein sinnvoller Weg. Diese Taxen und Schulgelder sollten aber der Schule selbst zufließen, um einen privaten Mechanismus des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Bildungsstätten in Gang zu setzen.

• Unterbrechung der Automatik im Lehrersektor („von der Schule über die Universität in die Schule“) durch Schaffung von Möglichkeiten für Berufstätige (ohne akademisches Vollstudium oder mit entsprechender Studienforderung), später in den Lehrberuf eintreten zu können und so (wie dies bereits in Teilen des berufsbildenden Schulwesens der Fall ist)

Erfahrungen ihres praktischen Berufslebens einzubringen. Auch Praxis-Semester oder Ferialpraktika für Lehrer könnten hier sinnvoll sein.

• Schaffung enger Verbindungen zwischen privaten Bildungsträgem (etwa im Bereięh der Erwachsenenbüdung) und dem staatlichen Bildungssektor: Diese Verbindungen könnten so weit gehen, daß erfahrene Erwachsenenbilder auch ohne formale Lehrerausbildung die Möglichkeit haben, im Schulwesen zu unterrichten.

Zusammenfassend wäre daher festzustellen, daß es sich um die ordnungspolitische Alternative der Rückkehr der Bildungspolitik in den Gesamtrahmen der sozialen Marktwirtschaft handelt. Wenn diese Maßnahmen nur eine partielle Rückwendung des Bildungssystems zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage mittels der Steuermechanismen des Preises herbeiführen, könnten sie doch bereits Hilfen gegen eine totale Verbürokratisierung des Büdungs- sektors bieten und sicherstellen, daß der Bildungssektor den gesellschaftlichen Erfordernissen besser als heute Rechnung trägt.

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