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In der christlichen Soziallehre heißt es: „Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf einen gerechten Lohn.“ Diese Forderung wird von allen als richtig anerkannt. Nur: Was ist gerecht? Darüber gibt es verschiedene Meinungen, je nachdem, von welcher Seite die Betrachtung erfolgt.

Gerechter Lohn kann nicht rechnerisch ermittelt werden. Er ist dann vorhanden, wenn die Mehrzahl der Arbeitnehmer, die eine gleiche Tätigkeit ausüben, die Ansicht vertreten, daß sie für ihre Leistungen den entsprechenden Lohn erhalten.

Es ist vielen bewußt, daß der mathematisch errechenbare Mittellohn, allen bezahlt, das Ungerechteste wäre. Damit würde jede Wirtschaft vernichtet werden, da jede Motivation zur Leistung und die Bereitschaft, vermehrte Verantwortung zu übernehmen, nicht mehr vorhanden wären.

Die Höhe des Lohnes beziehungsweise Gehaltes hat sich nach der jeweils erbrachten Arbeit zu richten. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit ist jedenfalls gerechtfertigt und hat für alle Arbeitnehmer zu gelten, auch unbeschadet, ob sie Frauen oder Männer sind.

Der Unterschied bei den Durchschnittslöhnen — diese betrugen im Jahr 1982 bei den weiblichen Arbeitern 7.420 Schilling und bei den männlichen Arbeitern 11.780 Schilling, bei den weiblichen Angestellten 9.800 Schilling und den männlichen Angestellten 16.480 Schilling — ist bestimmt nicht länger zu akzeptieren.

Welcher Einkommensunterschied zwischen kleinsten und größten Einkommen gerecht ist, ob es einen maximalen Unterschied von 1:7 geben darf, wie dies die Junge Generation in der SPÖ verlangte, wird kaum in den Betrieben, meistens nur von Theoretikern und Funktionären diskutiert.

Wenn ein Topmanager, ein ausgezeichneter Techniker Spitzenverdiener sind, ein in der Produktion besonders erfahrener Meister oder Schichtführer mehr verdienen, dann wird dies verstanden und akzeptiert. Allerdings nur dann, wenn ihre Leistung besonders zum Erfolg des Unternehmens und damit zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Einkommen aller beiträgt.

Wenn jedoch Führungskräfte im Management, in der Technik, Führer von Arbeitsgruppen versagen und dennoch ein höheres Einkommen beziehen, wird dies von den Arbeitnehmern nicht verstanden. Es wird zu Recht verlangt, daß Versagen sich auch im Einkommen auswirken muß.

In Betrieben, die Gewinne machen, hat die Lohnpolitik der Gewerkschaften geringeren Einfluß. Meistens liegen in diesen Betrieben die Löhne und Gehälter über den Kollektivvertragslöhnen und werden jeweils zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung ausgehandelt.

Es ist das Ziel der gewerkschaftlichen Lohnpolitik, daß durch die von den Gewerkschaften vereinbarten Erhöhungen der Ist- und Kollektivvertragslöhne Arbeitnehmer keinen Einkommensverlust erleiden. Da durch die steigenden Lebenshaltungskosten die Bezieher der kleinsten Einkommen materiellen Schaden erleiden könnten, wird immer wieder von den betroffenen Gewerkschaften eine vermehrte Anhebung der Mindestlöhne verlangt und auch durchgesetzt.

Sehr oft wird die Forderung nach einer solidarischen Lohnpolitik erhoben. Darunter wird auch verstanden, daß in ganz Österreich in allen Branchen für gleichwertige Arbeit gleicher Lohn bezahlt werden soll. Das Ziel an sich ist richtig, die vollkommene Erfüllung unmöglich. Die Textilarbeiter liegen zum Beispiel auf der Lohnskala im unteren Bereich. Bei einer Österreich umfassenden solidarischen Lohnpolitik müßte verlangt werden, daß die Löhne der Textilarbeiter außergewöhn lich angehoben werden. Dies wirkt sich auf die Produktionskosten und damit auf den Preis der Produkte aus.

Sind alle anderen solidarisch, werden sie die höheren Preise, die durch eine gerechtfertigte Erhöhung der Löhne der Textilarbeiter entstanden sind, bezahlen. Dies nützt jedoch den Textilarbeitern nichts. Ausländische Produkte werden, da sie nunmehr billiger sind, die österreichischen Produkte aus dem Markt drängen, und dip Textilarbeiter werden am Ende ihren Arbeitsplatz verlieren.

Die gewerkschaftliche Lohnpolitik hat deshalb immer auch auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten in den einzelnen Unternehmungsgruppen beziehungsweise Branchen, oft auch auf die regionalen Unterschiede Rücksicht zu nehmen.

Einen entscheidenden Beitrag zu einer gerechten Einkommensverteilung leistet die Familienförderung. Der Familienlastenausgleich sichert wenigstens zu einem Teil, daß die finanzielle Belastung, welche in einer Mehrkinderfamilie entsteht, abgegolten wird. Familien mit einem geringen Familieneinkommen fallen heute, da leider die Direktförderung der Familie nicht im entsprechenden Ausmaß angehoben wurde, mit ihrem Pro-Kopf-Einkommen unter die Armutsgrenze.

Eine gerechtfertigte Forderung ist daher, daß bei der Festlegung der Höhe der Familienbeihilfe nicht nur das Alter und die Anzahl der Kinder berücksichtigt werden, sondern auch ein Zuschlag für Familien mit geringem Einkommen eingeführt wird.

Die Familienförderung kann damit zu einer gerechten Einkommensverteilung wesentlich beitragen. Die Lohn- und Gehaltspolitik kann dies nur im beschränkten Ausmaß, da sie auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen hat.

Der Autor ist ÖGB-Vizepräsident, Vorsitzender der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB und Abgeordneter zum Nationalrat.

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