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Mehr Geld reicht nicht
Die Situation des Gesundheitswesens betrifft uns alle. Rufe nach Spitalsreform gab es nicht erst seit den Mordfällen in Lainz. Welche Konsequenzen werden nun in Wien gezogen?
Die Situation des Gesundheitswesens betrifft uns alle. Rufe nach Spitalsreform gab es nicht erst seit den Mordfällen in Lainz. Welche Konsequenzen werden nun in Wien gezogen?
Auch wenn die Anstrengungen der Gesundheitsverwaltung groß waren, die Tragödie von Lainz als bloßes menschliches Versagen einer Gruppe von Hilfsschwestern erscheinen zu lassen, wurde bald klar, daß zumindest ein Mitversagen der Krankenabteilung, der Spitalsorganisation und eine Unterversorgung ganzer Patientengruppen vorliegt. Reformen des Systems wurden und werden verlangt.
Sepp Rieder, ehemaliger Justizsprecher der SPÖ und seit 15. Dezember 1989 amtsführender Stadtrat für das Gesundheitswesen der Stadt Wien, kündigt schon im Winter ein „frisches Frühlingslüfterl" an. Vor allem liegt ihm an einer Dezentralisierung im Spitalsbereich und an mehr „ Mensen sein " für die Patienten.
Geänderte Arbeitsmethoden für Ärzte und Pflegepersonal sollen eine notwendige Umstrukturierung bewirken; Familienmitglieder der Patienten sollen intensiver als bisher in den Rehabilitations- und Gesundungsprozeß eingegliedert werden. In den Krankenhäusern sollen Besuchszeiten flexibler werden, im Heimbereich ist ein massiver Ausbau der sozialen Dienste geplant.
Die Klarstellung gesetzlicher Grundlagen im Spitalsbetrieb für Tätigkeiten von Ärzten in Ausbildung sowie für Tätigkeiten des Pflegepersonals ist ebenso notwendig wie eine Neudefinition und Beschreibung der Aufgaben in der sogenannten „Hauskrankenpflege". Vorschläge dazu werden derzeit von der Spitalsreformkommission erarbeitet.
Der derzeitige Stand von 87 mobilen Schwestern in Wien wird den geplanten Ausbau von Alternativen zur Spitalsunterbringung jedoch kaum gewährleisten. Für eine flächendeckende Hauskrankenpflege müßte die Zahl der mobilen Schwestern auf 300 aufgestockt werden (Eine Schwester pro 5.000 Einwohner!).
Denn in den Wiener Spitälern allein sind derzeit rund 500 Dienstposten für diplomiertes Pflegepersonal nicht besetzt. Die Zahl der Stationsgehilfinnen und -gehilfen ist rückläufig. Vor kurzem wurden 41 Pflegekräfte aus Ungarn aufgenommen, die nach Absolvierung eines Intensiv-Deutschkurses ab Juni in den städtischen Spitälern eingesetzt werden sollen.
Die Warteliste von 2.789 Jungärzten (Stand vom 1. Jänner 1990) auf einen Ausbildungsplatz macht die von Rieder geforderte Gesundheitspolitik der Zukunft zu einer theoretischen Wunschvorstellung. Eine gute Versorgung der Bevölkerung durch niedergelassene praktische und Fachärzte ist einfach nicht gegeben, wenn es noch immer zu wenig praktische und Fachärzte mit Gebietskrankenkassenvertrag gibt.
Eine Änderung der bestehenden
Weckzeiten in Spitälern oder die Verbesserung der Verpflegung („bis hin zum Hotelstandard") werden aber an den Patientenklagen über Hektik und Zeitknappheit von überlasteten Ärzten und Schwestern solange nichts ändern, solange am Gesundheitssystem nur Retuschen und keine tiefgreifenden Veränderungen vorgenommen werden.
Veränderungen sind aber nur dann möglich, wenn sich auch im Bewußtsein der Bevölkerung gegenüber Krankheit und Alter Grundlegendes ändert.
Wenn „draußen" ein rüder und kalter Umgangston unter den Menschen herrscht, kann auch an ein Krankenhaus nicht der moralische Anspruch gestellt werden, dem Menschen ein lebenslanges soziales oder emotionales Defizit zu ersetzen.
Das Krankenhaus als Hort sämtlicher verlorengegangener Tugenden gibt es ebenso wenig wie die Vision einiger Reformer, Gesundheit als ein institutionell herstellbares teures Produkt, als reines Sachproblem zu sehen.
Mit mehr Geld für unsere Spitäler, mit mehr Personal, mit mehr_ Forschimg ist unser aller Gesundheit noch lange nicht gewährleistet. Der beliebte Politiker-Leitsatz: „Alles ist ein Ressourcenproblem" greift hier nicht.
Verstärkter Einsatz von Sozialarbeitern, die sich um Rechte und Defizite von Patienten in Spitälern kümmern, die Erhöhung der Zahl von Ausbildungsplätzen in den Krankenpflegeschulen sind Verbesserungsmaßnahmen in einem Versorgungssystem, das sich nicht am reinen Kosten-Nutzen-Gedanken orientieren sollte.
Darüber hinaus ist verstärkte Gesundheitsinformation und -be-ratung im Sinne der vielgerühmten „vorbeugenden Maßnahmen" Anliegen des neuen Gesundheitsstadtrates.
Geplant sind:
• Veranstaltungen von Gesundheitstagen in den Wiener Gemeindebezirken
• Einrichtung eines „Gesundheitsbusses" mit Beratung über Gesundheitsfragen
• Muttersprachliche Betreuung von ausländischen Patienten in den städtischen Spitälern •* Gesundheitsaktionen in Schulen.
Denn: „Unsere Gesundheitspolitik kann sich nicht nur auf die Spitalsversorgung allein beziehen" (Rieder).
Es bleibt abzuwarten, ob sich die geplante Neustrukturierung des Spitalswesens positiv auf die für 1992 geplante Inbetriebsnahme des monströsen AKH und des „Schwerpunktkrankenhauses im Sozialmedizinischen Zentrum Ost" auswirken wird.
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