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Mehr Gesundheit oder mehr Staat?

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Ende 1980 trat ÖVP-Gesundheitssprecher Günther Wiesinger mit dem Vorschlag eines Bauernkrankenscheines an die Öffentlichkeit. Er trat damit eine Diskussionslawine los. Nachdem auch noch die FPÖ einen parlamentarischen Antrag eingebracht hat, der die privatrechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen Ärzten und Kassen durch eine gesetzliche Regelung ersetzen möchte, sehen die Ärzte rot. Kammerpräsident Richard Piaty warnt vordem,,größten Sozialkonflikt'', den es bisher in Österreich gegeben habe. Wiesinger und Hermann Neugebauer, Präsident der Wiener Ärztekammer, legen hier für die FURCHE dar, worum es ihnen in der Sache wirklich geht.

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Ende 1980 trat ÖVP-Gesundheitssprecher Günther Wiesinger mit dem Vorschlag eines Bauernkrankenscheines an die Öffentlichkeit. Er trat damit eine Diskussionslawine los. Nachdem auch noch die FPÖ einen parlamentarischen Antrag eingebracht hat, der die privatrechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen Ärzten und Kassen durch eine gesetzliche Regelung ersetzen möchte, sehen die Ärzte rot. Kammerpräsident Richard Piaty warnt vordem,,größten Sozialkonflikt'', den es bisher in Österreich gegeben habe. Wiesinger und Hermann Neugebauer, Präsident der Wiener Ärztekammer, legen hier für die FURCHE dar, worum es ihnen in der Sache wirklich geht.

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Die von der Sozialversicherungsan­stalt der Bauern durchgeführten Ju- gendlichen-Untersuchungen, aber auch die Steilungsuntersuchungen für die Wehrdiensttauglichkeit haben alarmie­rende Ergebnisse über den Gesund­heitszustand der bäuerlichen Jugend er­bracht. Ähnliche Ergebnisse ergaben auch Reihenuntersuchungen von Bäue­rinnen.

Seit der Einführung der Bauernkran­kenkasse hat sich die wirtschaftliche Lage des österreichischen Bauernstan­des wesentlich verschlechtert und in verschiedenen Gebieten liegt das Ein­kommen der Bauern heute bereits an der Armutsgrenze.

Auf der anderen Seite ist der Bauern­stand die einzige Bevölkerungsgruppe in Österreich, bei der ein reines Barzah­lungssystem im Bereiche der Kranken­versicherung besteht. Hiebei geht es nicht nur um die einzelne Arztordina­tion, sondern vor allem um den Spitals­aufenthalt und um die Kosten, die bei'

technischen Fächern (Röntgen und Labor) manchmal beträchtliche Sum­men ausmachen, die vorerst bar zu be­zahlen sind und die dann zu 80 Prozent von der Versicherung rückersetzt wer­den.

Nun mußten wir aber feststellen, daß in weiten Kreisen der bäuerlichen Be­völkerung zudem auf Grund einer oft mangelnden Liquidität sehr häufig not­wendige medizinische Einrichtungen nicht rechtzeitig in Anspruch genom­men werden.

Das alles hat uns daher bewogen, den Vorschlag nach einer bargeldlosen Ver­rechnung auch für die Versicherten der bäuerlichen Sozialversicherungsanstalt zur Diskussion zu stellen. In diesem Zusammenhang wurden weder die der­zeit geltenden Honorarverträge noch der Selbstbehalt in Frage gestellt.

Uns ging es lediglich darum, daß auch der bäuerliche Krankenversi­cherte, so wie alle übrigen Österreicher bis hinauf zum gutverdienenden Ange­stellten, den bargeldlosen Verkehr mit dem Arzt in Anspruch nehmen kann.

Die von einzelnen Standesvertretern der Ärzteschaft vorgebrachten Gegen­argumente bewegen sich in zwei Rich­tungen:

Es könnte durch die Einführung des bargeldlosen Verkehrs eine Einkom­mensminderung der Ärzteschaft eintre­ten.

Auf der anderen Seite wird vorge­bracht, daß durch die Einführung des bargeldlosen Verkehrs eine vermehrte Inanspruchnahme der Sozialversiche­rung auftreten würde.

Diese beiden Argumente sind wider­sprüchlich, denn das eine schließt das andere aus.

Nun wissen wir auch, daß eine über­flüssige Inanspruchnahme von Kassen­leistungen bei Selbständigen nicht fest­zustellen ist. Entsprechende Erfah­rungswerte liegen im Bereich der So­zialversicherungsanstalt der gewerbli­chen Wirtschaft vor.

Was wir jedoch mit Sicherheit erwar­ten können ist, daß auch die Bauern bei einer neuen Situation rechtzeitig den Arzt aufsuchen. Und es ist ein unbe­strittener medizinischer Grundsatz, daß die Heilungschancen umso größer sind, ie früher wir einen Patienten zur

Untersuchung und zur Therapie be­kommen.

Der Hauptwiderstand des Präsiden­ten der österreichischen Ärztekammer gegen unseren Vorschlag wurzelt je­doch in einem ganz anderen Bereich: Er plädiert für die Änderung des gesamten Krankenkassensystems in Österreich nach dem Modell der Bauernversiche­rung; das heißt, es sollten in Zukunft alle Österreicher erst ihre Rechnungen beim Arzt und den übrigen medizini­schen Einrichtungen selbst bezahlen (also die Krankenkasse vorfinanzieren) und erst nachher um einen Rückersatz einreichen. Das Motiv liegt in einer ver­mehrten Kostentransparenz und da­durch einer erhofften Kostenersparung im Bereiche der sozialen Krankenversi­cherung.

Dieser Vorschlag wirkt im ersten Augenblick zweifellos bestechend, nimmt jedoch auf die tatsächlichen Realitäten keinerlei Rücksicht und ver­liert die soziale Dimension der Kran­kenversicherung völlig aus dem Auge.

Es ist jedermanns gutes Recht, Re­formvorschläge vorzulegen und zu ver­langen, daß auch darüber diskutiert wird. Wogegen ich mich jedoch mit Nachdruck zur Wehr setze, ist, daß der­artige und nach meiner Meinung auch utopische Forderungen auf Kosten und zum Schaden der österreichischen Bauernschaft ausgetragen werden sol­len.

In der österreichischen Gesundheits­politik herrscht in letzter Zeit eine gera­dezu beängstigende Standpunktlosig- keit.

Im Wettrennen um die Wählergunst vergessen Politiker aller Couleurs, daß es einmal so etwas wie Grundsätze in der Politik gegeben hat. Ja, sie scheinen

sogar zu vergessen, daß nicht so wenige Wähler es vorziehen, mit ihrer Stimme weniger tagespolitische Erfolge als viel­mehr eine bestimmte Haltung in grund­sätzlichen Fragen zu honorieren.

Seit 30 Jahren kämpft die Ärzte­schaft um die sogenannte „Freiheit“ ih­res Berufes. Unter dieser Freiheit ver­stehen wir in erster Linie die Tatsache, daß wir das Recht haben, Kassenver­träge auf privatrechtlicher Grundlage zu vereinbaren. Selbst im ASVG wurde uns dieses Recht nicht genommen, das wir als Grundlage unseres Freiheitsan­spruches verstehen.

Die Wahlen für die Landwirtschafts­kammern sind nicht mehr ferne und vor wenigen Tagen hat ein Wettrennen zwi­schen ÖVP und FPÖ um die bäuerli­chen Stimmen begonnen. Für fremdes Geld ist bekanntlich nichts zu teuer und so versucht man, auf Kosten der Ärzte bei den Bauern populär zu werden, in­dem man den Krankenschein auch in der Bauernkrankenkasse einführen möchte.

Nun ist es selbstverständlich das gute Recht jedes Abgeordneten, bestmögli­che Bedingungen für die von ihm ver­tretenen Wählerschichten zu fordern. Kritisch wird die Situation aber dann, wenn man gleichzeitig gegen andere Be­völkerungsgruppen, die wahlarithme­tisch nicht so interessant sind, „Zwangsmaßnahmen“ vorsieht.

Der Abgeordnete Jörg Haider von der FPÖ, der schon mehrmals durch sein „G’spür“ für Popularität Auf­merksamkeit erregte, hat den Vor­schlag der ÖVP, einen Krankenschein für die Bauern einzuführen, sofort links überholt und auch gleich gefordert, im

Rahmen der Selbständigenversiche- rung ebenso wie in der Bauernkranken­versicherung den Krankenschein für alle Versicherungsgruppen, d.h. auch für die Höchstversicherten, gesetzlich festzulegen.

Damit aber wird der österreichischen Ärzteschaft der letzte Anteil der Bevöl­kerung, der Privatpatienten gestellt hat, genommen. Der Vorschlag Hai­ders bedeutet tatsächlich die hundert­prozentige Sachleistungsversicherung für alle Österreicher.

Doch Haider ist noch einen Schritt weitergegangen und hat etwas bean­tragt, was vor ihm noch kein Sozialist zu fordern versucht hat: Er hat Sozial­minister Alfred Dallinger aufgefordert, diese Sachleistungsversicherung in das Gesetz aufzunehmen. Eine Forderung, die nicht mehr und nicht weniger bedeu­tet, als den Ärzten ihr Recht auf „pri­vatrechtliche“ Verträge zu entreißen und durch „sozialrechtliche“ Verträge zu ersetzen.

Das aber ist nicht der erste, sondern fast schon der letzte Schritt zur Ver­staatlichung des Gesundheitswesens: Der Ruf nach „mehr Staat“ und die to­tale Mißachtung des Subsidiaritäts­prinzips.

Daß dieser Vorschlag diesmal nicht von „links“ sondern von „rechts" kommt, ist fast schon heiter. Sollen wir Ärzte uns jetzt an die SPÖ wenden und

sie bitten, uns vor den Verstaatlichung- sie bitten, uns vor den Verstaatlichungs­tendenzen der FPÖ zu schützen? Doch ständnis?

Daß man sich jetzt in so manchem stillen Kämmerlein der linken Reichs­hälfte die Hände reibt, ist kaum ver­wunderlich. Wir aber müssen fragen: „Quo vadis Austria“, wenn niemand mehr weiß, wo er steht oder wo er zu stehen hätte?

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