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Mehr Macht als Ohnmacht

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In einer Zeit, da mit unbedingt vorgebrachten intellektuell-wissenschaftlichen und moralischtheologischen Argumenten apokalyptische Parolen vertreten werden, muß eine neue Aufklärung zum selbstverständlichen Bewußtsein und zum geistigen Grundbestand einer politischen Gemeinschaft werden, daß andere Menschen andere Wege zur Erreichung ihrer Ziele und Verwirklichung ihrer Werte für eben so unverzichtbar und notwendig erachten.

Die Rolle der Intellektuellen, als Vertreter der geistigen Kultur gegenüber der Macht, in unserer Zeit größter Öffentlichkeit selbst eine Macht, liegt gewiß ganz wesentlich in der Befragung, ja Kontrolle des Gemeinwesens auf freiheitlich-demokratische und rechtsstaatlich-soziale Werte hin.

Aber in modernen pluralistischen Gesellschaften sind die sogenannten freischwebenden Intellektuellen ebenfalls wie jedermann bestimmten politischen Gruppen und verschiedenen geistigen Orientierungen verbunden und können so wenig wie der Staat ein Wahrheitsmonopol beanspruche*.

Die Bedeutung, die sie heute durch den quasi offiziellen und so ungeheuer suggestiven Charakter zumal des Fernsehens erreichen, macht ihre Ausstrahlungskraft im Kampf um Urteile und Wertvorstellungen so wirkungsvoll, daß die konkurrierende geistige Auseinandersetzung in ihrer zentralen Bedeutung für die pluralistische Demokratie zuweilen eher beeinträchtigt als gefördert werden kann.

Dies mag bei der Auswahl und Gewichtung von Nachrichten beginnen und schließlich zu einer angenommenen Hüterrolle in Wahrheits- und Sinnfragen gegenüber Politik und Volk zugleich führen.

Dazu gehört auch die Vorstellung, angesichts der schwindenden Wirkung der traditionellen Gewaltenteilung im hochbüro-kratisierten und politisch verfilzten Wohlfahrtsstaat müßten sie die Rolle einer „vierten Gewalt“ ausüben, um für mehr Durch-schaubarkeit und Kontrolle zu sorgen—ein Gedanke, der sich auf die tatsächlich lebenswichtige Funktion einer freien Presse in der Demokratie berufen kann.

Doch stellt über Medien ausgeübter Druck — oft mehr indirekt, und, weil weitgehend unerkannt, auf ganz besondere Weise wirksam — in der offenen Gesellschaft eine kaum zu überschätzende Eigenmacht dar.

Wir alle, ob nun als Intellektuelle und Wissenschaftler oder sonstwie mit der öffentlichen Meinung befaßt, mögen solchen Versuchungen ausgesetzt sein, aus denen zumal über die Medienmacht durchaus eine Art des Machtmißbrauchs erwachsen kann.

Auch dies gilt es heute bei aller Sensibilisierung gegenüber der Macht handelnder Politiker und Parteien stets zu bedenken.

Selbst wenn man nicht Helmut Schelskys scharfer Kritik an der „Priesterherrschaft der Intellektuellen“ folgen mag und dahingestellt sein läßt, wie weit elitäres Sonderbewußtsein durch exzeptionelle Bedingungen noch verstärkt wird, so ist jene Versuchung von der Seite des „Geistes“ nicht geringer als das Uberlegen-heitsgefühl, das Vertreter der politischen Macht dann ihrerseits dagegensetzen.

Die alte Erscheinung des Geistes als Magd der Politik ist aber in unserem Jahrhundert vor allem ein Kennzeichen der totalitären Diktaturen und der intellektuellen Verführer, die sie mit utopischen Gedanken vorbereiten: der Parteiintellektuellen und der „fellow travellers“ an der Seite diktatorischer Macht.

Hugo von Hofmannsthal sagt einmal: „Die Ereignisse sind Wellen, die den Geist bedrohen, aber auch tragen“. Wenn es zutrifft, daß die „Demokratie eine Staatsform (ist), die unentwegt hergebrachte Wertvorstellungen verschlingt“ (Nikolaus Lobkowicz), so kommt es bei der steten Verunsicherung des Denkens, die unsere Zeit der atemlosen Veränderungen kennzeichnet, umso mehr darauf an, das Verfassungsbewußtsein als unentbehrlichen, integrierenden Wert in seiner geistig-kulturellen Substanz zu erkennen und zu pflegen.

Es gibt keine Alternative zu der Einsicht in die Tatsache, daß es immer Alternativen gibt und daß die Verantwortung für notwendige Entscheidungen von den durch demokratische Legalität und Mehrheitsprinzip damit Beauftragten übernommen wird. Und dies gewiß mit allen Risiken, die in der imperfekten Natur des Menschen, seines Staates und seines Wissens liegen.

Wenn Kritik aus dem Anspruch der Richtigkeit ihrer Argumente gleichsam absolute geistige Macht gegen notwendig beschränkte politische Macht ins Feld führt, so ist dagegenzuhalten, daß in der Welt unvollkommener, miteinander rivalisierender Menschen auch geistige Macht Beschränkungen auf sich nehmen muß, ohne die Demokratie nicht lebensfähig ist: dies muß im gesellschaftlichen ebenso wie im politischen Raum gelten.

Der Autor ist Professor für Politische Wissenschaften und Geschichte an der Universität Bonn; der Beitrag ist ein Auszug eines Referates zum Thema „Macht und Geist“ am 20. November 1985 in Graz anläßlich der Präsentation des Buches „Nachdenken über Politik“, herausgegeben von J. Krainer. W. Mantl, M. Prisching und M. Steiner.

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