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Mehr Mut zum aufrechten Gang

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In einem neuen Buch fordert Erhard Busek wider die Allgegenwart der Politik wieder republikanische Gesinnung und vom Bürger auch mehr „Mut zum aufrechten Gang“.

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In einem neuen Buch fordert Erhard Busek wider die Allgegenwart der Politik wieder republikanische Gesinnung und vom Bürger auch mehr „Mut zum aufrechten Gang“.

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Die wichtigste Ursache der heutigen Politikverdrossenheit liegt wohl im ausufernden Umfang des Begriffes Politik. Politik ist heute ubiquitär, allgegenwärtig geworden. Sie mischt sich überall ein, und wo sie sich nicht von selbst einmischt, wird sie dazu eingeladen oder herbeizitiert. Politik nimmt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in ihren Dienst und wird umgekehrt von allen in den Dienst genommen.

Ein beträchtlicher Teil der täglichen Arbeit eines Politikers besteht heute darin, sich in Dinge einzumischen oder in Dinge hineingezogen zu werden, die ohne ihn mindestens genauso gut funktionieren müßten: ein Fotowettbewerb, ein Eisstockschießen, eine Restauranteröffnung - nichts geht ohne Ehrenschutz, Spende, Anteilnahme und Intervention eines Politikers. Von Lehrstuhlbesetzungen und Burgtheaterengagements ganz abgesehen.

Ich war nie ein Verfechter der technokratischen These, daß Sachfragen strikt von Politik zu trennen sind; wo und wie eine Autobahn gebaut wird, ist eine Frage, die nicht nur die Techniker zu entscheiden haben. Aber wir müssen sehen, daß der umgekehrte Satz „Alles ist politisch“ ebenso problematisch ist.

Wenn alles politisch ist, dann ist über Politik auch alles zu erreichen, dann ist Politik für alles zuständig und an allem schuld. Dann gibt es auch keine selbständigen, eigengesetzlichen oder autonomen Bereiche des Lebens mehr — dann haben wir die totalitäre Gesellschaft.

Zu einem freien Gemeinwesen gehört zuallererst, daß sich die Politik selbst begrenzt und festlegt, welche Sphären des gesellschaftlichen Bewußtseins und sozialen Lebens sie als autonom gelten läßt: Erziehung, Religion, Wissenschaft, Kunst, Familie, Sport usw. Politik hat selbstverständlich ihre festgelegten Beziehungen zu diesen Bereichen, aber sie regelt sie nicht unmittelbar. Natürlich wird sie immer versuchen, darauf unmittelbaren Einfluß zu gewinnen, aber die Abwehrreaktion auf dieses Ansinnen macht die Qualität des öffentlichen Lebens aus.

Es wäre besser um unsere Demokratie und um unsere Demokraten bestellt, wenn die Politiker nicht dauernd, sogar ohne ihr Wissen und Zutun, in Fakultäts sitzungen, Konferenzzimmern, Redaktionsgremien und Funktionärsbesprechungen von Sportvereinen als mächtige Schutzpatrone zitiert würden, wie das heute leider üblich ist. Postwendend wird dann der Politiker von demjenigen, der sich zu seinem Sachwalter und Klienten gleichzeitig erklärt hat, darüber informiert, wie wichtig eine so oder so geartete Entscheidung wäre, und zwar nicht aufgrund wissenschaftlicher, künstlerischer oder sportlicher Erwägungen, sondern gerade aus politischen.

Damit sollen keineswegs die Politik und die Politiker in Schutz genommen werden. Es soll nur gezeigt werden, wie leicht man Politikern die Einflußnahme macht und wie viele Einmischungen nicht in der anmaßenden Intervention eines Mächtigen ihre Ursache haben, sondern im vorauseilenden Gehorsam derer, die sich selbst zu Klienten machen.

So wird die schlaue oder scharfsinnige Erkenntnis, daß „alles politisch ist“, zur „seif fulfilling prophecy“. Sie ruft die Politik überall und jederzeit auf den Plan und macht sie für alles zuständig, selbst dort, wo sie sich nur als inkompetent oder insuffizient erweisen kann. Das aber macht die Menschen mit Recht verdrossen.

Dabei ist das Paradoxon aufzuzeigen, daß diese Verpolitisierung unseres gesamten Lebens nicht einem wirklich politischen Verhalten aller Beteiligten ent- -V'springt, sondern eher umgekehrt: einem im Grunde höchst unpolitischen Verhalten. Der polites, der cives, der Bürger eben, dankt ab und überläßt seine Sache von vornherein dem Politiker. Oder anders gesagt: Bewirkt wird durch diese Verpolitisierung nicht die Teilhabe des Bürgers an den öffentlichen Angelegenheiten, sondern die allgegenwärtige Teilhabe des Berufspolitikers an allen bürgerlichen Angelegenheiten.

An dieser sinnlosen Verpolitisierung sind nicht nur machthung- ringe oder prestigesüchtige Politiker schuld, sondern in gleichem

Maße jene beflissenen Bürger, die sich ohne Not und freiwillig in die Klientel und Schutzherrschaft von Politikern und politischen Institutionen begeben, um irgendeinen kleinen Vorteil oder lächerliche Subventionen dabei herauszuschlagen. Kein sportlicher, kultureller oder karitativer Verein, der nicht einen Politiker im Vorstand hätte...

Wie kann man das ändern? Institutionelle Änderungen ä la „Privilegienabbau“ bleiben lächerliche Augenauswischerei, sind bestenfalls Kosmetik. Eine Änderung könnte nur durch die politische Ethik, durch ein rigoroses Umdenken, durch die Wiederentdeckung und Wiedererwek- kung einer „republikanischen Gesinnung“ geschehen.

Angeblich macht den Unterschied des Menschen zur Tierwelt unter anderem auch sein „aufrechter Gang“ aus. Mehr Mut und mehr Vertrauen zur eigenen Selbständigkeit, zur Gabe der Entscheidung und Unterscheidung wird wohl die Konsequenz sein.

Die vernünftige Selbstbeschränkung der Politik in einem freien Gemeinwesen ist eines der brennendsten Themen der nächsten Jahre. Das bedeutet nicht einen Rückzug auf einen Nachtwächterstaat, sondern eben ein Zurück zu einer Politik, die sich nicht um alles recht und schlecht „kümmert“, sondern das Notwendige wirklich tut und ihre eigenen Aufgaben ernst nimmt.

Nur durch eine solche Beschränkung kann die Politik wieder an Effizienz, Verantwortlichkeit und Glaubwürdigkeit gewinnen. Nur dies kann die Qualität eines öffentlichen Lebens sichern, das jahrelang mehr vom veröffentlichten Privatleben republikanischer Feudalherren dominiert wurde als vom öffentlichen Gedankenaustausch über gemeinsame Probleme und Chancen.

Die entscheidende Voraussetzung einer Rückkehr zur Politik ist jenes Sichbescheiden in der Zielsetzung, wie es Sir Karl Popper entworfen hat: Politik soll darauf abzielen, ein mögliches Unglück zu verhindern und nicht hoffen, das Glück der Menschen erwirken zu können.

Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus: MUT ZUM AUFRECHTEN GANG. Hrsg, von Erhard Busek. Herold-Verlag, München/ Wien 1983. 208 Seiten, brosch., öS 160,-.

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