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Mehr Mut zum Zeugnis

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Der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz referierte vorige Woche in Kärnten bei den St. Georgener Gesprächen über Gegenwart des Glaubens und Mut zur Kirche.

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Der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz referierte vorige Woche in Kärnten bei den St. Georgener Gesprächen über Gegenwart des Glaubens und Mut zur Kirche.

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FURCHE: Herr Bischof, Sie wurden auf sechs Jahre zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt. Verstehen Sie sich als Integrationsfigur, die zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln hat? Kann man davon ausgehen, daß die Wahrheit in der Mitte liegt und nicht vielmehr im Extrem?

LEHMANN: Der Vorsitzende muß ganz gewiß die Einheit und damit auch die Handlungsfähigkeit einer Bischofskonferenz fördern. Wie weit man hier als einzelner etwas schaffen kann, ist gar nicht so leicht zu sagen. Einmal muß man dafür sorgen, daß die Fragen in ihren ganzen Dimensionen ausgetragen werden. Insofern heißt das, man muß der Diskussion Raum geben, denn man kommt nicht zu einem verbindlichen und tragfähigen Konsens, wenn nicht die Tiefe ausgelotet ist. Die Mitte allein, nur weil sie für eine größere Zahl zustimmungsfähig wird, ist noch nicht das Kriterium von Wahrheit. Es muß alles zur Sprache kommen ohne Furcht und Angst.

FURCHE:WennSievomDialog in der Kirche sprechen, was darf sich der Laie von der inRom tagenden Bischofssynode zur Berufung und Sendung der Laien in der Kirche erwarten?

LEHMANN: Mir käme es dabei darauf an, daß nicht über den Laien allein geredet wird. Das Wort Laie ist ohnehin etwas schwierig. Ich würde einfach sagen, es geht um das Zeugnis des Christen im Alltag in der Welt, das Zeugnis, das Christen, Amtsträger und Laien, gemeinsam geben. Wir brauchen mehr Bereitschaft, auch mehr Mut, zum Glaubenszeugnis gegen Widerstände in einer säkularisierten Welt

FURCHE:Das päpstliche Sendschreiben vom 22. April charakterisiert die A lltagserfahrungen der Christen mit folgender Feststellung: „Gott und die von ihm geoffenbarte Wahrheit sind aus dem existentiellen Horizont des Menschen verschwunden.“ Ist damit gesagt, daß die Säkularisation als unumkehrbarer Vorgang anzuerkennen ist?

LEHMANN: Der Satz stellt einmal eine Erfahrungstatsache dar, und es wird noch nichts gesagt über Breite, Tiefgang und Unwi-derrufbarkeit dieser Erfahrung. Zur Unumkehrbarkeit könnte man ganz schlicht sagen, zuerst wurden Klöster säkularisiert, am Ende ist schließlich das Bewußtsein säkularisiert. Diese Unumkehrbarkeit steht für mich nicht fest.

FURCHE: Rührt diese Indifferenz und Irritation nicht auch daher, daß in der Theologie viele Strömungen nebeneinander von Bedeutung sind, wie dies an der feministischen Theologie oder der Theologie der Befreiung zu sehen ist? Hat die Postmoderne mit ihrem .Hilles ist möglich“, .Alles ist gleich gültig“ in der Kirche Einzug gehalten?

LEHMANN: Pluralismus , ist immer eine ambivalente Größe. Auf der einen Seite ist er ein Zeichen von Fülle und Reichtum, auf der anderen Seite kann er eine vornehme Form von Gleichgültigkeit sein, indem jeder sein darf, wie er ist, und nicht dazulernen muß, er muß nicht ein anderer werden, und das kann schön bequem sein.

Zweifelsohne ist es so, daß wir verschiedene Verhaltensweisen von der Gesellschaft in die Kirche mithineinnehmen. Mari denke nur an das Servicedenken, an den Konsumismus. Viele stellen sich zusammen, was sie glauben und glauben wollen. Da gibt es das Buch von Peter Berger, „Der

Zwang zur Häresie“, in dem er sagt, der Mensch ist verurteüt, auszuwählen,. JDas, Überangebot ist in allen Bereichen des Lebens vorhanden. In der Kirche, meine ich, daß es ein Zentrum gibt, ein Bekenntnis gibt, aber auch einen Raum von freier Gestaltung. Sei es in der Theologie, sei es in den Lebensformen.

FURCHE: Wie weit darf, wenn hier das Wort vom .Zwang zur Häresie“ gefallen ist, die Theologie gehen? Darf die Forschung das Lehramt präjudizieren? Sie, Herr Bischof, verkörpern in sich ja beides.

LEHMANN: Das Verhältnis von Theologie und Lehramt ist von einem doppelten gekennzeichnet. Die Theologie muß das Glaubensverständnis begründen aus den Quellen. Sie braucht dafür alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und hat, wie der Papst selbst gesagt hat, dabei eine hohe Autonomie. Theologie muß nicht nur nach hinten gewandt Historie betreiben, sie muß auch mithelfen, Kirche zu bauen, sie muß den Glauben einer je gegenwärtigen Kirche neu ausrichten helfen. In dieser Aufgabe muß Theologie ein Stück weit Neues wagen. Nur muß sie kennzeichnen, wo sie ein solches Experiment macht, wo sie unerprobte Wege geht-

FURCHE: Stimmt der Eindruck, daß die Ökumene zu langsam vorankommt?

LEHMANN: Ich mache seit etwa 20 Jahren ökumenische Arbeit. Ich habe Verständnis dafür, daß der nicht so ganz am Prozeß Beteiligte den Eindruck hat, wir treten auf der Stelle. Wir haben in kurzer Zeit Vorurteile und Mißverständnisse abbauen können. Jetzt stehen wir vor einigen schwierigen Fragen - nach dem Amt, den Sakramenten -, und da wird es nicht so schnell gehen.

FURCHE: Sie sprechen vonMut zurKirche. Was führt uns über die innerkirchlichen Gräben hinweg zu den sinnstiftenden theologischen. .Antworten? Konkret gefragt, was trauen Sie sich und der Kirche in den nächsten Jahrzehn-ten zu?

LEHMANN: Das erste ist, daß wir mehr dem Evangelium zutrauen sollten und der Kraft des Gottesgeistes in der Kirche. Wenn wir auf ihn setzten, hätten wir weniger Ängste und nicht soviel Resignation, wir hätten mehr Mut zur Wahrheit und Auseinandersetzung. Es ist eine radikale Vertiefung von Glaube, Liebe und Hoffnung nötig, um das erreichen zu können.

Wir sollten geistig offensiver werden. Wir stehen an der Wand und sind in der Verteidigungslinie, während wir ein Potential von Einsichten haben und in vielen Fragen ein neues Bewußtsein

schaffen könnten, das eigentlich gefragt ist, das wir aber vor lauter Graben- und Stellungskrieg gleichsam nicht an den Mann bringen.

Ich würde mir wünschen, daß wir mit all dem, was wir tun, noch glaubwürdiger sind, und zwar als Personen und Institutionen. Wenn Denken und Tun ein Stück weit zur Deckung kommen, dann gibt es keine bessere und wirksamere Zeugnismöglichkeit. Das Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, ist entscheidend, wie ich meine.

Das Gespräch führte Siegmund Kastner.

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