6959933-1984_44_08.jpg
Digital In Arbeit

Mehr Offenheit

Werbung
Werbung
Werbung

In einzelnen Bereichen der Kirchenarbeit soll es, so wird erklärt, Entfremdungserscheinungen zwischen der „Basis" und den Organisationen und Gremien geben. Es ist natürlich schwer zu beurteilen, wie weit diese in bestimmten Bereichen registrierten Entfremdungserscheinungen allgemeiner Natur sind. Sicher ist freilich, daß solche Entfremdungserscheinungen durch bürokratische Versteinerungen zumindest gefördert, wenn nicht hervorgerufen werden.

Einig können wir alle ohne weiteres in der Frage sein, daß jede Verlebendigung der Kirche zweckmäßig ist. Dies freilich durch die Einrichtung eines neuen Gremiums und — zwangsläufig -durch die Etablierung neuer bürokratischer Strukturen erreichen zu wollen, muß für fragwürdig gehalten werden. Ein neuer, dann vermutlich zusätzlicher, zentraler Rat bedingt die Schaffung neuer Auswahlmechanismen für die Teilnehmer, neuer Verwaltungsstrukturen für die Vorbereitung und Auswertung der Zusammenkünfte, zusätzlichen finanziellen Aufwand. Und der zu erwartende Ertrag?

Soll es um die Erzielung neuer Sachkonzepte gehen? Eine der bedeutungsvollsten Stärken der Kirche besteht heute in ihrer ungemein großen Spezialisierung. Katholisch sein, ist in ungeheuer vielen Akzentuierungen möglich. Wer seinen persönlichen Schwerpunkt mehr in der Familienarbeit sieht, für den besteht der Bogen von den kleinen Familienrunden bis zum Katholischen Familienverband; wer mehr an der Verbreitung christlichen Gedankengutes in der Wertgestaltung interessiert ist, findet von den vielfältigen Einrichtungen der Fraktion christlicher Gewerkschafter über die KAB bis zu verschiedenartigsten Verbänden Möglichkeiten zur Verwirklichung; wer immer etwas tun will, findet eine Vielzahl von Möglichkeiten vor. Ein

Zentralorgan kann hier nicht vertiefen, sondern allenfalls nur verwässern.

Soll es um die pastorale Arbeit an sich gehen? Vom Pfarrer und Pfarrgemeinderat bis zu den höchsten pastoralen Gremien spannt sich der Bogen. Daß auch hier — wie auch sonst — noch vieles zu geschehen hat, steht außer Frage. Diesbezügliche Sorgen sind vor allem auch den Bildungseinrichtungen der Kirche ans Herz gelegt, ein Zentralorgan wird da weder helfen noch leiten können.

Soll es um den Dialog an sich gehen? Da frage ich mich dann schon, wie groß ein solches zentrales Grerhium sein soll. Kann es auch nur Tausende umfassen? Ein Dialog aber, der schon aus technischen Gründen auf zwei-, dreihundert Menschen beschränkt bleibt, darf sich doch nicht anmaßen, als Dialog mit „der" Basis verstanden zu werden.

Was wir brauchen, ist kein neues Gremium, sondern ein Mehr an Zusammenarbeit, an Vertrauen und gemeinsamer Arbeit. Die Friedensvesper vor einigen Wochen hat diesen Weg gewiesen.

Wir müssen jene Spontanität fördern, die es ermöglicht, daß die wirklich an einer Frage Interessierten sich zusammentun und gemeinsam etwas unternehmen. Wir müssen darauf achten, daß alles in der Kirche offener wird: Eifersüchtiges Wachen über Mitgliederzahlen und -beitrage müßte ebenso zurückstehen wie das Kontrollieren von Mitgliedsausweisen am Saaleingang. Ein paar Interessierte tun sich zusammen und unternehmen etwas — alle Katholiken müssen eingeladen sein, zu kommen, mitzuarbeiten und mitzubeten.

Die Förderung der Vielfalt, die Motivierung zu Einsatzbereitschaft bei Personen und Gruppen, die Offenheit und Bereitschaft, aufeinander zuzugehen — das sind die Ziele. Ein neues Gremium mit Präsidenten und Vizepräsidenten, Sekretariat und Finanzaufwand wird auf dem t Weg zu diesem Ziel nicht helfen.

Der Autor ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV). Ein erster Beitrag zu diesem Thema erschien in Nr. 42/1984.

Theologen der Befreiung, der den leninistischen Marxismus gutheißen würde) weniger die Klassengesellschaft moralisch zu verdammen, als vielmehr sie politisch zu überwinden trachtet, damit Ausbeutung und Ausschluß aus der gerechten Verteilung der Güter der brüderlichen Zusammenarbeit und Gleichheit Platz machen können, beteiligt sich auch der Christ — wie Boff schreibt — auf seine Weise ari diesem Kampf um die gerechtere Gesellschaft: „Denn auch er träumt angeregt durch die Impulse seines Evangeliums, von einer Gesellschaft, in der es weder Arme noch Reiche mehr gibt, sondern Beziehungen der Gerechtigkeit, Gemeinschaft und der aktiven Mitwirkung herrschen. Sein Engagement gilt der Befreiung, die zu Gemeinschaft und Mitbestimmung führt."

Wenn man die jahrzehntealte Fehde zwischen dem kirchlichen Zentralapparat und der Theologie der Befreiung in der Dritten Welt einigermaßen verfolgt, gewinnt man nicht den Eindruck, daß es vornehmlich um Marx geht, sondern daß dahinter eine ganz andere, nicht klar artikulierte Problematik steckt, für die einmal diese, dann wiederum andere angebliche Mängel und Gefahren der Theologie der Befreiung herhalten müssen: Es ist die bange Angst um den Verlust des zentra-listischen und hierarchischen Prinzips der kirchlichen Machtstruktur.

Die Vorstellung einer polyzen-trischen Kirche erweckt in Rom nicht gerade Freudenausbrüche. Und in jenem Ausmaß, in dem die Gedanken der Brüderlichkeit und Gleichwertigkeit, das Mitreden und Mitentscheiden aller Chrihierarchischen Gesellschafts- und Denkstrukturen erzogene Christen können es sich nun einmal nicht vorstellen, wie in einer brüderlich-egalitären Gesellschaft die für alle Gemeinschaften lebensnotwendige Autorität funktionieren soll. Sie können sich einen Papst, Bischof oder Priester nicht vorstellen, der einmal nicht von oben herunter agiert, belehrt und predigt, sondern sich als Bruder unter Brüdern versteht, und dies nicht nur verbal und nicht nur aus taktischen Gründen der Popularitätshascherei tut, sondern aus innerster Uberzeugung. Und der aus eben dieser Uberzeugung heraus auch zuhören und lernen will.

Es wird wahrscheinlich noch lange dauern, bis Rom die Theologen der Befreiung um Verzeihung bitten wird, wie Boff erhofft. Bis wir begreifen werden, daß in Lateinamerika, ja in der Dritten Welt schlechthin, soeben der historische Versuch gemacht wird, auf Grund des Evangeliums Jesu Christi jene Glaubwürdigkeit der Kirche zurückzuerobern, die sie durch ihr einseitiges Umsteigen von der Menschensorge auf „Seel"-Sorge verlor, indem sie die Sorge um das leibliche Wohl den Marxisten überließ, und sich eher in Wohltätigkeit als in Gerechtigkeit und im (gewaltlosen) Kampf um diese Gerechtigkeit übte.

Und es wird vermutlich noch länger dauern, bis sich die hierarchische Kirche in eine hierodia-konische Kirche verwandeln wird, auf Grund jener Gleichheit und Brüderlichkeit, die Jesus lehrte und die in den Basisgemeinden der Dritten Welt (aber nicht nur dort) bereits eingeübt wird.

Der Autor ist Pfarrer in Reisenberg (NO.).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung