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Mehr Rückgrat für eine Region

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1st das vielleicht der Grund, warum regionales Bewußtsein (oder sagen wir ganz einfach: Heimat) so wichtig ist? Die große Welt spiegelt sich in der kleinen. Die großen Probleme haben Auswirkungen im engsten uns umgebenden Raum. Der Semmering ist ein Bei-spieL

Die Untertunnelung des Ärmelkanals findet ihre Entsprechung im geplanten Semmering-Tuimel. Die alte, geniale Ghega-Bahn muß vor der stürmischen Entwicklung des Lastverkehrs kapituUeren.

Die Vorbereitung des Projekts wird mit den modernsten Methoden der Wissenschaft betrieben. Die Computerdaten der Geologen werden zwischen Wien, Graz und Berkeley hin-undhergespielt. Noch nie hat man für einen (relativ kompU-zierten) Berg so genaue Voraussagen treffen können. Der Entschei-dungsprozeß ist eigenthch ein Fest fürPoUtologen. Ganze Kohorten von Dissertanten sollten dauernd den Semmering durchstreifen, weU sich dort alles findet: Repräsentative Demokratie versus Bürgerinitiativen, Populisten und Fundamentah-sten, traditionelle Ortskaiser und Abgeordnete, plötzhch konfrontiert mit einer ihnen sonst eher unbe kannten Basis.

Vor diesem Hintergrund rollten dieser Tage die „Neuberger Gespräche“ ab-wechselweise auf dem Semmering, in Reichenau, in Neuberg, in Mürzzuschlag. Eine dezentralisierte Diskussionsform, und außerdemgefächert: Referentenaus Berlin, aus Wien, aus Graz, vom Semmering-Gebiet natürhch; Architekten, Geologen, Eisenbahnbauer, Musiker, Journalisten, Denkmalschützer, Ökonomen, Bildhauer, Germanisten, PoUtiker sogar.

Das Ergebnis war vorauszusehen: Irgendwie, leider, muß man wegen der industriellen Erfordernisse der Obersteiermark, dem Semmering-Tunnel zustimmen. Aber Die OBB sollen die Ghega-Bahn erhalten. Man muß für sie ein Publikum schaffen.

Das allein aber wäre für den Elf olg der Gespräche zuwenig gewesen. Ihre Initiatorin, die Walter Buchebner Gesellschaft unter Ro bert Lotter, veranstaltet sie, um der Region zu mehr Selbstbewußtsein zu verhelfen, um ihr gewissermaßen ein geistiges Unterfutter für die Bewältigung der Zukunft zu bieten.

In den letzten Jahren haben et-hche Mürztaler und Zugezogene -viele andere sind leider verzogen -neue Betriebe aufgebaut, als Antwort auf die Krise der Verstaatüch-ten. Ein bißchen geholfen hat, daß zum Beispiel Charles Säbel, Professor in Boston und Experte für innovative Kleinbetriebe, mit den Un-temehmem im Mürztal geredet, sie gestärkt und die Pohtiker beeinflußt hat. Im Rahmen der „Neuberger Gespräche“.

Diesmal ging es nicht nur um den Tunnel unddie Probleme drumherum. Es galt, einer Region noch mehr Rückgrat einzuziehen. Geza Hajos aus Wien zum Beispiel schilderte die Architektur des Semmering: Adolf Loos, Heinrich von Fer-stel und andere haben dort gebaut.

Folgerung: Gute Qualität müßte auch die heutige Architektur in dieser Region haben, um sagen zu können-nichtnurwegen der Landschaft fahren wir hin, sondern auch wegen der interessanten Häuser, wegen der Gestaltung des Gebiets.

Der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler schilderte an Hand von Heimito von Doderers „Die Wasserfälle von Slunj“, wie die Eisenbahn zur Struktur eines Romanis werden kann: Der Semmering als Kulturzone. Der PoUtologe Joseph Huber aus Berlin charakterisierte den Grundgegensatz unserer Zeit - Beschleunigung im Kontrast zum eigenthch beschauhchen Menschen: Wieviel ist uns überhaupt zuzumuten?

Die Techniker (Gunther Ried-müler imd Klaus Rießberger aus Graz, Hans Wehr aus Wien) arbeiteten modernste Methoden der Bahnplanung heraus. Gerhart Bruckmann skizzierte die planerischen Unwägbarkeiten angesichts der Umweltprobleme und der geopoU-tischen Entwicklungen. Wo verläuft die beste Bahnroute?

Und schheßlich gab es im Hof des Münsters von Neuberg (alter Kulturboden und gleichzeitig die Gegend, wo vor hundert Jahren das modernste Stahlwerk Mitteleuropas stand) ein Fest für Leopold Kohr: für jenen Mann, der das dezentrah-sierte Denken in kleinen Einheiten propagiert hat.

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