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Mehr Schute für Schützer

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Die Diskussion über eine Regelung der Polizeibefugnisse interessiert auch die Öffentlichkeit. Und alle Betroffenen halten den Ist-Zustand schon längst für reformbedürftig.

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Die Diskussion über eine Regelung der Polizeibefugnisse interessiert auch die Öffentlichkeit. Und alle Betroffenen halten den Ist-Zustand schon längst für reformbedürftig.

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Nach der berühmten Formulierung von Ferdinand Lasalle war der Staat des 19. Jahrhunderts ein „Nachtwächterstaat", weil ihm nach dem Ideengut der Aufklärung und des Liberalismus als Ordnungsstaat lediglich die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit zugedacht war. In Wirtschaft und Gesellschaft hatte der Staat nur das freie Spiel der Kräfte zu garantieren.

Der Staat mußte zum Rechtsstaat werden, damit das Handeln seiner Organe berechenbar werde und bleibe. In Osterreich war die Dezember-Verfassung 1867 ein Meüenstein auf dem Weg zum Rechtsstaat unserer Tage; der liberale Rechtsstaat setzte sich die Aufgabe, den einzelnen vor Ubergriffen der Staatsgewalt zu schützen.

In letzter Zeit ist das Verständnis für die Funktion des Staates als Garant für die Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Inneren neben seiner Tätigkeit als Leistungs-(Wohl-fahrts-) Staat wieder gewachsen.

In weiten Bereichen der Welt gibt es entweder gute Sicherheitsverhältnisse, aber wenig persönliche Freiheit und umgekehrt. Wünschenswert wäre die Synthese von Sicherheit und Freiheit.

Der Polizeibegriff wurde aus der Warte des Rechtsstaatsdenkens fast nur negativ gesehen, was auch historisch erklärbar ist.

Die wichtigste Einteilung der Polizei ist die in Sicherheitspolizei und Verwaltungspolizei (Gewerbe-, Straßen-, Lebensmittelpolizei).

Bei der Sicherheitspolizei unterscheidet man zwischen allgemeiner und örtlicher Sicherheitspolizei. Die örtliche Sicherheitspolizei, die zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehört, ist weitgehend in den Lan-des-Polizeigesetzen kodifiziert. Sie wacht z. B. über ungebührliche Lärmerregung oder das Halten gefährlicher Tiere.

Die allgemeine Sicherheitspolizei schließlich trifft Maßnahmen, die der Abwehr und Unterdrük-kung der allgemeinen Gefahren für Leben, Gesundheit, öffentliche Ruhe und Ordnung im Inneren dienen. Dazu zählt auch die Staatspolizei, die den „Verfassungsschutz" garantieren soll.

Der zweite wichtige Zweig der allgemeinen Sicherheitspolizei ist die kriminalpolizeiliche Tätigkeit.

Sicherheitsbehörden sind der Bundesminister für Inneres, der Sicherheitsdirektor, der die Zuständigkeit des Landeshauptmanns verdrängt hat, und die Bezirksverwaltungsbehörde. Wo aber eine Bundespolizeibehörde besteht, ist diese zuständig.

Gemäß Paragraph 23 Strafprozeßordnung haben die Sicherheitsbehörden, „unter denen auch die Bürgermeister begriffen sind", und ihre Organe auch in Angelegenheiten der Strafjustiz mitzuwirken. Dies betrifft praktisch nur die Gemeinden, die einen Gemeindesicherheitswach-körper haben, und auch nur für den Fall unaufschiebbarer Maßnahmen, also bei „Gefahr im Verzug".

Den von den Sicherheitsbehörden notfalls angeordneten Zwang haben ihre Exekutivorgane auszuüben. Dies sind die Bundesgendarmerie (die im öffentlichen Sicherheitsdienst auf Bezirksebene dem Bezirkshauptmann, auf Landesebene dem Sicherheitsdirektor untersteht), die Bundessicherheitswache sowie das Kriminalbeamtenkorps als Hilfsorgane der Bundespolizeibehörden.

Uber die Errichtung oder Auflassung der Gendarmerieposten entscheidet der Sicherheitsdirektor im Einvernehmen mit dem Landesgendarmeriekomman-danten.

Ein letztes Mittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren stellt die sogenannte Bundesheerassistenz dar.

Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden und ihrer Exekutivorgane sind in der Verfassung nicht geregelt, sondern ergeben sich aus einer Reihe von einfachen Gesetzen.

Grundlegend für alles polizeiliche Handeln in Fällen der Bedrohung der öffentlichen Ordnung ist die Generalermächtigung des Artikels II, Paragraph 4, Abs. 2 des Verfassungsüberleitungsgesetzes 1929. Danach können die staatlichen Sicherheitsbehörden „bis zur Erlassung bundesgesetzlicher Bestimmungen über die Befugnisse der Behörde auf dem Gebiet der allgemeinen Sicherheitspolizei" — also bis zu einem Polizeibefugnisgesetz — zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Personen oder Sachen die zur Anwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen.

Der Entwurf eines Polizeibefugnisgesetzes aus dem Jahre 1969 ist nicht Gesetz geworden. Daher stellt sich nach wie vor die Frage nach dem Verhältnis der Sicherheitspolizei zum Rechtsstaat, der gebietet, daß die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf.

Will man eine effektive Sicherheitspolizei, so muß ihr auch in einem Rechtsstaat eine angemessene Handlungsfreiheit gewährt werden.

Die Gegnerschaft zur Sicherheitspolizei speist sich laut einer Veröffentlichung aus jüngerer Zeit hauptsächlich aus drei Quellen:

dem noch nicht überwundenen Trauma des totalitären Staates mit seinen Polizeiexzessen, der ideologischen Grundposition der Neuen Linken und den Ansprüchen der Psychologie und Psychotherapie, die verständlicherweise primär den Patienten im Auge hat.

Nicht unbeachtet darf bleiben, daß sich gegen diese Tendenzen auch eine Gegenströmung gebildet hat, die nach dem „starken Staat" verlangt.

Mit Kelsen („Was ist Gerechtigkeit?") wird man zum Schluß kommen, daß die Demokratie auch gegen antidemokratische Umtriebe tolerant bleiben kann, solange es sich um friedliche Äußerungen solcher Anschauungen handelt. Die Demokratie unterscheidet sich ja durch solche Toleranz von der Diktatur.

Es muß aber einer demokratischen Regierung das Recht zustehen, Versuchen, sie mit Gewalt zu beseitigen, mit Gewalt zu begegnen.

Dazu besitzt jeder Staat das Staatsnotrecht, in Osterreich anders als in der Bundesrepublik kein systematisch geschlossenes System, aber doch „eine Reihe von verstreuten rechtlichen Regelungen und besonderen Ermächtigungen".

Der Autor ist Bezirkshauptmann von Ried im Innkreis.

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