6850299-1976_44_05.jpg
Digital In Arbeit

Mehr Stabilität — weniger Staat

19451960198020002020

Zwei Generationen scharfsinniger Konjunkturforscher haben ein System entwickelt, das in seiner Präzision intellektuell bestechend und in seiner Schlüssigkeit zunächst überzeugend schien. Dieses System hatte nicht nur Anspruch darauf erhoben, Abweichungen vom stetigen Wachstumspfad der Wirtschaft zu korrigieren, sondern sogar vorbauend verhindern zu können, sowie auf Grund subtiler Kenntnis des Wirtschaftsprozesses und exakter Beherrschung des Instrumentariums mittels „Grobeinstellung“ und „Feineinstellung“ eine „Wirtschaftspolitik nach Maß“ garantieren zu können.

19451960198020002020

Zwei Generationen scharfsinniger Konjunkturforscher haben ein System entwickelt, das in seiner Präzision intellektuell bestechend und in seiner Schlüssigkeit zunächst überzeugend schien. Dieses System hatte nicht nur Anspruch darauf erhoben, Abweichungen vom stetigen Wachstumspfad der Wirtschaft zu korrigieren, sondern sogar vorbauend verhindern zu können, sowie auf Grund subtiler Kenntnis des Wirtschaftsprozesses und exakter Beherrschung des Instrumentariums mittels „Grobeinstellung“ und „Feineinstellung“ eine „Wirtschaftspolitik nach Maß“ garantieren zu können.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ von 1967 wurde das System der Globalsteuerung zur offiziellen Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, vorher schon mehr oder minder pragmatisch im angelsächsischen Raum, nachdem es aber auch mit häufig wechselnder Konsequenz in Österreich und anderen Ländern angewendet worden war.

Die antizyklische Konjunkturpolitik beruht auf Grundgedanken, die vor allem die Schule J. M. Keynes entwickelte: Die Staatsausgaben und -einnahmen haben heute ein solches Volumen erreicht, daß ihre Variationen alle Nachfrageschwankungen im privaten Sektor kompensieren können. Die Veränderungen im öffentlichen Investitionsvolumen bewirken über den „Multiplikator“ gleichgerichtete Veränderungen bei den privaten Einkommen und den Konsumausgaben und daher der Beschäftigung. Veränderungen im öffentlichen Konsum bewirken über den „Akze-lerator“ verstärkte Veränderungen in der Investitionstätigkeit, den Einkommen und der Beschäftigung. Die Beschäftigung kann daher über Veränderungen in der öffentlichen Nachfrage gesteuert werden.

Soweit nicht die Beachtung von Geldwertänderungen überhaupt hinter den Beschäftigungsschwankungen zurückbleiben mußte, wurde folgender Mechanismus angenommen: Die Notenbanken haben es in der Hand, durch Schöpfung oder Vernichtung von Zentralbankgeld das Geldvolumen so zu steuern, daß die Relation von Geldvolumen zum Waren- und Leistungsangebot gleich bleibt, wobei die zyklischen Schwankungen des Geld- und Kreditbedarfes sowie der Urnschlagshäufigkeit des Geldes auch eine Gegensteuerung bei der Schöpfung von Zentralbankgeld nahelegen.

Die monokausale Erklärung der Beschäftigungs- und Geldwertschwankungen durch Veränderungen in der globalen effektiven Nachfrage regte eine förmliche Arbeitsteilung zwischen Finanzpolitik und Geldpolitik an: Auf Grund der Konjunkturdiagnose könne eine Konjunkturprognose erstellt werden und könnten die Mittel der Geldpolitik vor allem im Aufschwung zur Bremsung, und die Mittel der Finanzpolitik in der Rezession zur Anregung der Wirtschaftstätigkeit eingesetzt werden. Das Ziel wäre, Übersteigerungen des Zyklus wie inflationistische Kon-junkturüberhitzung und größere Rückschläge mit der Gefahr eines depressiven Absinkens der gesamten Nachfrage und Beschäftigung durch öffentliche Politik zu verändern, die den konjunkturellen Eigenbewegungen der strategischen wirtschaftlichen Größen (Investitionen, Konsum, Einkommen) entgegenwirkt. In einem Falle sei bremsend, im anderen anregend zu verfahren, auf keinen Fall aber dürften die vom „normalen“ abweichenden Eigentendenzen der Wirtschaft durch eine „Parallelpolitik“ verstärkt werden (H. Kolms, Finanzwissenschaft 1963).

Nach rund 25 Jahren antizyklischen Konzepts und etwa einem Dezennium Globalsteuerung, sollte es möglich sein, ihre Ergebnisse zu beurteilen: Hohe Arbeitslosenziffern, nicht selten zweistellige Inflationsraten, rückläufige Produktionsergebnisse, in manchen Fällen chronische Zahlungsbilanzdefizite machen den Erfolg nicht sehr eindrucksvoll. Das magische Viereck ist weniger bewältigt denn je zuvor. Die Mißerfolge sind nicht „Bedienungsmängeln“, wie inkonsequenter Handhabung, falscher Zeitwahl, unrichtiger Dosierung und unzweckmäßiger Kombination der Instrumente, auch nicht einer unzureichend entwickelten Technik zuzuschreiben, sondern liegen im System selbst.

Es gibt kaum einen Gesichtspunkt dieser Konzeption, unter welchem die Brauchbarkeit der antizyklischen Politik nicht mit Recht in Frage gestellt worden ist. Dies ergibt sich aus der Gegenüberstellung des klassischen Konjunkturverlaufes mit den heutigen Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit, die erkennen lassen, daß die zur Glättung des Konjunkturverlaufes gedachten staatlichen Maßnahmen häufig selbst zur Ursache der konjunkturellen Instabilität geworden sind. Die Zweifel an der Wirksamkeit der antizyklischen Politik ergeben sich insbesondere aus den Veränderungen der zyklischen Bewegungen, vor allem aus dem Anhalten der schleichenden Inflation trotz Beschäftigungsrückgang, aus der Asymmetrie zwischen Beschäftigungs- und Geldwertpolitik, dem Fehlen einer allgemeinen Konjunkturtheorie, aus den Unzulänglichkeiten der Konjunkturdiagnose und der Konjunkturprognose sowie aus der mangelnden Aussagekraft aggregierter Wirtschaftsdaten sowie der Erkenntnis, daß die globale Nachfrage die Konjunkturschwankungen nicht ausreichend erklärt.

Zweifel an der Funktionsfähigkeit des antizyklischen Instrumentariums ergeben sich auf Grund der sehr unterschiedlichen Handlungs- und Wirkungsverzögerungen, der Grenzen einer nationalen Konjunkturpolitik in offenen Volkswirtschaften sowie den Schwierigkeiten der innerstaatlichen und internationalen Koordinierung.

Triftige Einwendungen gegen den Einsatz der antizyklischen Finanz-und Geldpolitik wurden besonders gegen die „eingebauten Stabilisatoren“, gegen Variationen der Staatsausgabenpolitik, gegen Veränderungen der Staatseinnahmen, sowie gegen ihre Kombination wie auch gegen den Einsatz der Staatsschuldenpolitik vorgebracht. Uberzeugende Einwendungen wurden auch gegen den antizyklischen Einsatz der Geldpolitik erhoben.

Gegen die Anwendung antizyklischer Maßnahmen wurden haushaltsrechtliche und verfassungspolitische Bedenken geltend gemacht, die sich aus der parlamentarischen Demokratie, der föderativen Staatsgliederung und aus verbrieften Grundrechten ergeben. Insbesondere werden auch ordnungspolitische Bedenken gegen die Globalsteuerung vorgebracht. Der Umstand, daß sich diese im zunehmenden Maß als Illusion erweist, hat Ansätze zu weiteren Fehlentwicklungen zur Folge: von der Globalsteuerung zur Selektivsteuerung (sektoral oder regional) vor allem durch Investitionslenkung und, an Stelle einer unzureichenden Geldmengensteuerung, selektive Pxeis-und Lohnkontrollen.

Demgegenüber wird immer mehr erkannt, daß die rationelle Erfüllung der öffentlichen Ausgaben vielmehr Kontinuität erfordert Die mittelfristig vorgegebenen oder zu planenden Staatsauf gaben können sich daher in den Haushalten der einzelnen Jahre nur dann stabilitätskonform niederschlagen, wenn nicht, wie es der Fall ist, nahezu gegenüber jedem Haushaltsentwurf von der Stabilitätspolitik antizyklische Forderungen erhoben werden.

Wenn sich ein solches Konzept verwirklichen läßt, dann auf Grund einer bescheideneren, weniger hektischen, realistischeren, auf mehr Stetigkeit abgestellten Wirtschaftspolitik, die einen Ausweg aus dem gegenwärtigen Dilemma weisen könnte. Dieses besteht darin, daß die verantwortlichen Politiker auf Grund ihrer Amtsperioden sich in kürzeren Zeiten zur Neuwahl stellen müssen als konj unkturpolitische Zielsetzungen erreicht werden können, ein Dilemma, das zu einer sehr ernsten Krise der freiheitlichen pluralistischen Demokratie führen kann.

Nach der Erwägung aller Argumente, die gegen eine kurzfristige, antizyklische Konjunkturpolitik sprechen, drängt sich jedenfalls die naheliegende Konsequenz auf, eine allzu ambitionierte Konjunkturpolitik soweit wie möglich durch eine bescheidenere, realistischere Wachstumspolitik zu ersetzen.

Ein solches Konzept harmoniert auch mit einigen neueren Entwicklungen, die man als Änderung in der wirtschaftspolitischen „Großwetterlage“ bezeichnen könnte, in welcher die materiellen Ressourcen als nicht unerschöpflich erkannt wurden und die ökologische Problematik ihren Tribut fordert, in welcher jedenfalls ein Wachstum „um jeden Preis“ ohnedies keinen Platz mehr hätte und in welcher sich neue Dimensionen der menschlichen Existenz (von der Konsumgesellschaft zur Kulturgesellschaft nach Emü Küng) öffnen, mit geänderten Wertvorstellungen überhaupt, in denen jedenfalls das Wirtschaftswachstum nicht länger zuoberst in der Wertskala steht (Johannes Messner).

Das Ende des Zeitalters Keynes und der Phase der antizyklischen Konjunkturpolitik wird von fundamentalen Trendänderungen in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik begleitet.

Grundgedanken aus der in Kürze erscheinenden Publikation: „Die anti-zyklische Konjunkturpolitik — eine Illusion, Grenzen der Machbarkeit durch Globalsteuerung“ von Wolfgang Schmitz, Fritz-Knapp-V erlag, Frankfurt/Main 1976, 248 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung