6968886-1985_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Mehr Wettbewerb nach Ladenschluß

19451960198020002020

Salzburgs Landeshauptmann muß sich wegen des 8. Dezember 1984 vor den Verfassungsrichtern verantworten. Dennoch gerät die Ladenschlußfront allmählich ins Wanken.

19451960198020002020

Salzburgs Landeshauptmann muß sich wegen des 8. Dezember 1984 vor den Verfassungsrichtern verantworten. Dennoch gerät die Ladenschlußfront allmählich ins Wanken.

Werbung
Werbung
Werbung

Im österreichischen Untergrund lebt ein kleines Ungeheuer, das alle paar Jahre auftaucht, große öffentliche Aufmerksamkeit erregt und gleich wieder verschwindet: die Diskussion um die Ladenschlußzeiten.

Seit dem Streit um das Aufsperren der Geschäfte am 8. Dezember 1984 will das kleine Ungeheuer nicht mehr verschwinden. Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer tat, was ihm vernünftig schien, ließ die Geschäfte öffnen, damit der Schilling im Land bleibt, und wird sich dafür wohl eine Ermahnung durch den Verfassungsgerichtshof gefallen lassen müssen.

Seit April 1985 beraten die Sozialpartner in einer Arbeitsgruppe des Beirats für Wirtschafts- und

Sozialfragen über die Ladenzeiten und wollen noch im Spätherbst eine ausgewogene Studie vorlegen.

Die Präsidenten Anton Benya und Rudolf Sallinger ließen leichte Präferenzen für eine größere Liberalität bei den Ladenschlußzeiten erkennen, so nach dem Motto, daß flexiblere Arbeitszeiten ohne tolerantere Ladenöffnungszeiten gar nicht denkbar sind.

Die Gewerkschaft der Handelsangestellten und Gruppen im Einzelhandel sind strenger. Sie wollen davon nichts wissen, und ihre Argumente gegen flexiblere Ladenzeiten sind von seltener Einmütigkeit.

Die einen berufen sich auf die soziale Schutzfunktion des Ladenschlußgesetzes, und der Handel befürchtet zusätzliche Belastungen für den Fall, daß es möglich und notwendig wäre, zu jeder Tages- und Nachtzeit die Geschäfte offenzuhalten.

Beider Widerstand verdient Verständnis, als es sich dabei um die Erhaltung von altvertrauten Gewohnheiten handelt. Diesen Widerstand aber auf ewige Zeiten zu prolongieren, scheint wenig sinnvoll, weil man sich damit eigener Chancen begibt.

Denn Handelsangestellte sind an flexiblen Arbeitszeiten durchaus mehr interessiert, als ihren Gewerkschaftsfunktionären das recht ist, und ungeachtet aller denkbaren zusätzlichen Belastungen sind liberale Ladenzeiten für dynamische Unternehmer eine attraktive Herausforderung.

Wo die Vorteile per Saldo liegen, ob bei den großen Handelsunternehmen oder bei den kleineren Läden, läßt sich nicht eindeutig klären. Handelsketten sind beim Personaleinsatz flexibler, müssen aber mit höheren Fixkosten rechnen, kleine Läden können den größeren Spielraum nutzen, statt um acht Uhr früh erst um elf Uhr vormittag öffnen und über sechs Uhr abends hinaus offenhalten. Wenn es sich als vorteilhaft erweisen sollte, könnten kleine Läden die Öffnungszeiten auch auf Samstagabende verlegen.

Einzelne Handelsläden könnten sich darauf spezialisieren, außerhalb der üblichen Öffnungszeiten ihre Ware zu offerieren, und sie könnten höhere Preise verlangen und damit die zusätzlichen Kosten der verlängerten Öffnungszeiten decken.

Daß dafür ein Bedarf besteht, beweisen die hohen Umsätze der Bahnhofsgeschäfte. Diese Läden befinden sich im übrigen fest in der Hand von Ketten, deren Repräsentanten liberalen Öffnungszeiten so wenig Geschmack abgewinnen können. Den Lebensmittelverkauf auf den Wiener Bahnhofstationen besorgt der Konsum, und kein Gewerkschaftsfunktionär hat je dagegen gewettert.

Wahrscheinlich führt die Freigabe der Öffnungszeiten zu keinen deutlich höheren Handelsumsätzen, sondern bloß zu einer anderen Verteilung. Mit diesem nullsummenspielerischen Argument könnte man freilich genauso gut für eine Reduktion der Warenausgabezeiten auf zwei Stunden täglich werben.

Mit Wettbewerb hat das nichts, mit einer argen Mißachtung der

Konsumenteninteressen dagegen sehr viel zu tun. Überdies werden auf diese Weise bestehende Arbeitsplätze zerstört und keinesfalls neue geschaffen. Es darf angenommen werden, daß dies weder im Interesse der Gewerkschaften noch einer dynamischen und offensiven Wirtschaftspolitik liegt.

In den meisten marktwirtschaftlich organisierten Staaten herrscht ein liberaleres Ladenzeitenregime als in Österreich. Wer in New York bloß Samstag vormittags offen hätte, wäre wirtschaftlich bald erledigt. Doch auch in der Schweiz sind die Geschäfte einmal in der Woche bis neun Uhr abends und an jedem Samstag bis vier Uhr nachmittags geöffnet. Dort will man die Öffnungszeiten noch weiter ausdehnen, um den Konsumenten aus dem In- und Ausland entgegenzukommen.

Weder in den USA noch in der Schweiz haben sich die Gewerkschaften gegen flexiblere Ladenzeiten aufgelehnt. Sie gehen davon aus, daß längere Öffnungszeiten zusätzliche Arbeitsplätze vor allem für weibliche Arbeitnehmer schaffen.

In Deutschland empfiehlt eine unabhängige Monopolkommissi-

„ ... denn sonst drohen Automatenstraßen rund um die Uhr.” on der Regierung, die Ladenzeiten zu verlängern. Diese Kommission erwartet von einer Abschaffung der starren Ladenschlußzeiten eine Belebung des Wettbewerbes und Vorteile für die Beschäftigten, für den Handel und für die Konsumenten.

Der Einsatz neuer Techniken im Handel wird ungeachtet aller Pro- und Kontra-Argumente für eine dauerhafte Aktualität des Ladenschlußthemas sorgen. Weder Gruppen des Einzelhandels noch die Gewerkschaften haben eine realistische Chance, dieses Thema zu ignorieren und zu glauben, daß es damit aus der Welt geschafft oder gar gelöst sei.

Was droht sind Automatenstraßen rund uAi die Uhr. Die Gefahren dieser Entwicklung sind lange Zeit unterschätzt worden: die menschliche, finanzielle und gewerbliche Auszehrung der Innenstädte mit der Folge höherer Arbeitslosigkeit, mit Verfall, Unwirtlichkeit und hohen Verbrechensraten.

Die gesetzlich normierten Ladenschlußzeiten sind ein Fossil. Sie passen nicht in die Gegenwart und sie passen schon gar nicht in eine Zukunft, die von größerer Flexibilität und Mobilität der Arbeitnehmer, der Unternehmer, der Konsumenten und damit der Wirtschaft insgesamt geprägt sein wird.

„Nicht Ladenschlußzeiten zu normieren, sondern Ladenöffnungszeiten anzugeben — das wäre die grundsätzliche Umkehr, bei der man örtliche Gegebenheiten und den spezifischen Bedarf besser berücksichtigen könnte”, meint der Wiener Vizebürgermeister Erhard Busek.

Die Ladenöffnungszeiten werden nicht von einem auf den anderen Tag ausgedehnt Man wird an Hand von Modellen studieren, welche Öffnungszeiten den größten Nutzen für alle stiften. Man wird dezentrale Lösungen probieren und finden. Bloß eines wird man nicht: das kleine Ungeheuer schlafen lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung