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Mehrere Streitpunkte blieben ungelöst

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Zwei Wochen bleiben noch bis zur Volksäbstimmung über die „Lex Zwentendorf. Nach der Pro-Stellungnahme des früheren Rektors der Technischen Universität Wien, Fritz Paschke, in der letzten Nummer gibt die FURCHE nun der skeptischen Meinung des Universitätslektors Dr. Ernst Stree-ruwitz vom Institut für theoretische Physik an der Universität Wien Raum.

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Zwei Wochen bleiben noch bis zur Volksäbstimmung über die „Lex Zwentendorf. Nach der Pro-Stellungnahme des früheren Rektors der Technischen Universität Wien, Fritz Paschke, in der letzten Nummer gibt die FURCHE nun der skeptischen Meinung des Universitätslektors Dr. Ernst Stree-ruwitz vom Institut für theoretische Physik an der Universität Wien Raum.

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Tatsächlich könnte es seih, daß die Kernkraft eines Tages die Energieprobleme der Menschheit löst. Tatsache ist es aber heute, daß in der gesamten Welt die Erzeugung von Atomstrom immer mehr in Frage gestellt wird. Dies geschieht einerseits aus Skepsis gegenüber der Sicherheit von Kernreaktoren, aber auch angesichts der unabsehbaren Folgekosten des Atomstroms.

Was die Sicherheit von Kernkraftwerken betrifft, so gibt es seit vielen Jahren theoretische Berechnungen über Wahrscheinlichkeit und Ausmaß von Reaktorunfällen. Diese Berechnungen sind naturgemäß umstritten, die praktischen Erfahrungen mit dem Betrieb von Kernkraftwerken umfassen nur einen relativ kurzen Zeitraum. Der vielzitierte Ras-mussen-Report vergleicht die Ris-ken, einerseits durch den Niedergang eines Meteors, anderseits durch einen Reaktorunfall in irgendeinem der heute in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke getötet zu werden. Diese beiden Risken sind etwa gleich und liegen um einen Faktor Tausend niedriger als die wohlbekannten Wahrscheinlichkeiten für den Tod auf der Straße oder durch einen Flugzeugabsturz.

Je größer ein Reaktorunfall, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß er eintritt. Die Folgen eines großen Reaktorunfalles allerdings sind unvorstellbar. Bei Versagen sämtlicher Kühlsysteme eines Reaktors würde dessen gesamtes radioaktives Inventar in den Boden oder in die Atmosphäre abgegeben. Das deutsche Institut für Reaktorsicherheit folgert: In einer Umgebung von 100 Kilometern wären die Menschen einem Vielfachen der tödlichen Strahlendosis ausgesetzt - bei ungünstigen Witterungsverhältnissen. 1 Zwentendorf ist von Wien durch 30 Kilometer Westwind getrennt!

Abgesehen von den allgemeinen Sicherheitsfragen erheben sich bezüglich Zwentendorf zumindest bei einem Teü der skeptischen Wissenschaftler zusätzliche Bedenken. So

konnte im zuständigen parlamentarischen Ausschuß kein Einvernehmen über mehrere Streitpunkte erzielt werden: Zwentendorf liegt in einer Erdbebenzone; der Reaktorkessel ist eine riskante Konstruktion; für den Reaktorunfall gibt es keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen; die Atommüllagerung verteuert den Atomstrom beträchtlich; immer wieder stehen Kernkraftwerke aus Sicherheitsgründen längere Zeit still; und schließlich müssen wir für 20 Jahre Betriebsdauer Tausende Jahre Atommüllagerung in Kauf nehmen. Alle diese Fragen sind auch heute noch offen und werden auch bis zur Volksabstimmung nicht beantwortet sein. Und durch die Volksabstimmung wird das Projekt Zwentendorf in keinem Falle sicherer als es jetzt aussieht.

Gerade auf Grund der ungeheuer-' liehen Folgen einer großen Reaktorkatastrophe sind dem Betrieb von Kernkraftwerken gewaltige Sicherheitsbedingungen auferlegt. So kommt es auch, daß eine große Anzahl von Kernkraftwerken immer wieder aus Sicherheitsgründen für längere Zeit stillgelegt werden muß. Zweifellos ist dies auch ein Indiz für den mangelnden Reifegrad heutiger Kernkraftwerke: Im Sommer dieses Jahres fielen in Westdeutschland zeitweise 70 Prozent der atomaren Stromerzeugung aus. Die ökonomischen Kosten derartiger Störfälle lassen sich nur schwer abschätzen. Kernkraftwerke sind wegen ihrer hohen Anlageinvestitionen jedenfalls nur dann rentabel, wenn sie einen maximalen zeitlichen Auslastungsgrad aufweisen.

Damit steht auch die Wirtschaftlichkeit des Atomstroms zur Diskussion. In einem Gutachten des Innsbrucker Betriebswirtschaftlers Prof. Hans Hinterhuber wird der Atomstrom mit 59 Groschen pro Kilowattstunde und der konventionellen kalorische Strom mit 62 Groschen pro Kilowattstunde veranschlagt - also 3 Groschen Differenz! Allerdings stehen alle einschlägigen Kalkulationen

auf schwachen Beinen. Selbst wenn der normale Reaktorbetrieb relativ preisgünstig sein sollte, können über die Kosten für Wiederaufbereitung, Endlagerung des Atommülls sowie

Stillegung des ausgebrannten Kernkraftwerkes kaum verbindliche Aussagen getroffen werden.

In einem Bericht an den amerikanischen Kongreß heißt es sinngemäß: Wir müssen uns langsam von der Vorstellung lösen, daß der Atomstrom eine billige Energiequelle darstellt. So beziffert etwa der Sozialist Egon Matzner die Kosten der Atom-müllagerung im Iran mit 7 bis 8 Milliarden Schilling. Für die Aufwendungen aus dem Wiederaufbereitungsvertrag mit der französischen Firma COGEMA sind 2,5 Milliarden Schilling anzusetzen, die Stillegung von Zwentendorf nach einer Betriebsdauer von 20 Jahren könnte zusätzliche 2 Milliarden kosten. Diese Beträge sind bei Inbetriebnahme von Zwentendorf bereitzustellen und belasten den Preis des Atomstromes.

Teüt man die Fixkosten der Mülllagerung und der Wiederaufbereitung auf mehrere Kernkraftwerke auf, so ergibt sich ein entsprechend niedrigerer Anteil pro Kilowattstunde. So hört man gelegentlich, daß aus ökonomischen Gründen in Österreich weitere Kernkraftwerke errichtet werden sollten und daß eine Atommüllagerung in Österreich preisgünstiger wäre als eine internationale Lösung. Daher wird bei der bevorstehenden Volksabstimmung letzten Endes nicht nur über das Kraftwerk Zwentendorf entschieden - dessen Sicherheit sich die Bundesregierung selbst nicht zu garantieren getraut - sondern auch über die Frage, ob dem Kernkraftwerk Zwentendorf weitere folgen sollen und ob der Atommüll in Österreich gelagert wird oder nicht. Die Bundesregierung sollte den Mut besitzen, dies auch zuzugeben.

Glaubt man dem Generaldirektor der Verbundgesellschaft, Wilhelm Erbacher, so steigt nach den - bisher allerdings unzuverlässigen - Prognosen der Energiewirtschaft der Strombedarf jährlich um 5,4 Prozent, also in zwei Jahren um mehr als zehn Prozent. Dies ist gerade die maximale Leistung des Kraftwerkes Zwentendorf. Wenn also - laut Erbacher - der zusätzliche Strombedarf durch die

Kernenergie gedeckt werden muß, so käme man leicht zu dem Schluß: Osterreich braucht alle zwei Jahre ein neues Zwentendorf. Dem steht die Äußerung von Staribachers Energie-Sektionschef Frank gegenüber Gehe Zwentendorf nicht in Betrieb, so sei auch dies keine versorgungsmäßige Katastrophe, denn wir hätten Reserven. Dieser Widerspruch wird etwas verständlicher, wenn man berücksichtigt, daß laut Staribacher nach Inbetriebnahme Zwentendorfs andere kalorische Kraftwerke außer Betrieb genommen werden sollen. Die Bundesregierung müßte wissen, welche Kraftwerke dies sind. Die betroffenen Gebiete würden sich sicher auch aus Gründen der Arbeitsplatzsicherheit für diese Frage interessieren.

So könnte man zusammenfassend sagen: Bisher sind kaum gravierende Reaktorunfälle aufgetreten. Die Ris-ken solcher Unfälle können nur geschätzt werden, es gibt kaum Erfahrungswerte. Große Unfälle sind unwahrscheinlich, haben aber unvorstellbare Folgen. Über den Bedarf Österreichs an Atomstrom herrscht nach wie vor keine Klarheit. Langfristig liegen die Kosten des Atomstroms wahrscheinlich höher als die Kosten des konventionellen Stromes. Alternative Energiequellen und Maßnahmen gegen die Energievergeudung werden noch immer vernachlässigt. Und wenn die Kernenergie vielleicht wirklich eines Tages unsere Energieprobleme löst, dann eher in Form der Kernfusion und nicht in Form von Spaltungsreaktoren.

So sollte man die Kernkraft zunächst auf einen höheren technologischen Reifegrad bringen und die dadurch gewonnene Zeit dazu verwenden, um über alternative Energiequellen und sinnvollen Einsatz von Energie nachzudenken. Wenn dies durch eine Nichtinbetriebnahme Zwentendorfs erreicht werden kann, dann soll Zwentendorf ruhig stehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und daß Zwentendorf sicher ist, solange es stillsteht, ist selbst unter den Experten unumstritten.

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