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Digital In Arbeit

Mein Bauch meinem Kind

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Das Recht auf den eigenen Bauch ist nichts anderes als das Recht des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren: Vehementes Plädoyer einer Mutter gegen die Abtreibung.

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Das Recht auf den eigenen Bauch ist nichts anderes als das Recht des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren: Vehementes Plädoyer einer Mutter gegen die Abtreibung.

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„Recht auf den eigenen Bauch” als starker Spruch der Frauenrechtsbewegung wird vor allem von Frauen gebraucht, die auf ihr „Recht nach Selbstbestimmung” in Sachen Kinderkriegen pochen. Es ist ein trächtiger Spruch, re-klame- und werbeträchtig. Er hat schon viele verführt.

Wird er auch die Grünen verführen?

Denn verführerisch reiht er sich scheinbar deckungsgleich in die anderen Forderungen 4er Frauenrechtsbewegung ein wie „Recht auf gleiche Löhne”, „Recht auf bessere Ausbildung”, „Recht auf alle Berufe”, mit denen die Frauen ihr historisch berechtigtes Aufholverfahren führen. Werden die Grünen, bei denen viele Frauen mit ihrem Verständnis von Lebensqualität mehr als anderswo ihre geistige Heimat finden, diesen Spruch samt Gesinnung übernehmen?

Wie halten es die Grünen mit der Abtreibung? Wird diese Frage mit dem Einzug der Grünen ins Parlament möglicherweise zur Gretchenfrage der kommenden österreichischen Innenpolitik?

Denn: Die Stimmen, die da vom „Baummord” sprechen, die nicht zulassen, daß Bäume zugrunde gehen, um wieviel weniger können sie es zulassen, daß Menschenleben abgetrieben wird?

In einem Fall des Recht-Habens haben die recht-haberischen Frauen nämlich nicht recht, ist ihre Forderung altmodisch, stagnierend und überholt. Mit „Recht auf den eigenen Bauch” geht es in der Menschheitsentwicklung nicht vorwärts, sondern rückwärts.

Dieses ,3echt” ist das barbarische Recht des Stärkeren, das wir seit der Aufklärung überwunden glaubten, der von jedem Schwächeren, Kleineren, Behinderten, Ärmeren verlangen durfte, daß ihm Platz gemacht wird. Andernfalls würde er sich diesen Platz mit Gewalt verschaffen, notfalls über Leichen.

Der Prozeß der Veränderung ist immer dadurch ausgelöst worden, daß die Nackten, Nichtbesitzenden, Hungrigen ihre Forderungen formulierten: Wir haben auch Recht auf unseren Bauch, auf bessere Kleidung, bessere Löhne, bessere Arbeit, bessere Schulen, besseres Leben!

Hat das heranwachsende Leben denn nicht auch Recht auf seinen Bauch? Auf seinen Mutterbauch? Dieses Recht des ungeschützten, schwächeren Lebens zu schützen und auszubauen, wäre vornehmste Aufgabe einer sozialistischen Regierung gewesen.

Denn der wichtigste Grundsatz der Sozialistischen Partei war doch der von der solidarischen Gesellschaft. Arbeitgeber sollten mit Arbeitnehmern gerechter teilen. Männer gerechter mit den Frauen, die Gesunden mit den Kranken, die Arbeitenden mit den Arbeitslosen und so fort. Bis herab zum Schutz des geprügelten Kindes vor seinen rabiaten Eltern geht die Forderung der Sozialdemokraten nach Solidarität. Und das ist gut so.

Speziell der Schutz der Frau war ihnen immer angelegen. Sie nahmen sich früher als andere Parteien ihrer Forderungen nach mehr Gerechtigkeit in Gesellschaft, Arbeitswelt, Berufsaus-bildung und Selbstentwicklung an. Nur, wer sich der Parole „Recht auf den eigenen Bauch” zur Bekräftigung der Fristenlösung bedient, gibt den Grundsatz von der solidarischen Gesellschaft und den Grundsatz vom Schutz des Schwächeren auf.

Gesellschaftlich gesehen, ist die Frau in einer schwachen Position. In ihrem Verhältnis zum Embryo ist sie die Starke. Mit der Fristenlösung wird der Schutz des Noch-Schwächeren, nämlich des noch ungeborenen Lebens, aufgehoben. Der Noch-Schwächere wäre aber auch vor dem Schwachen zu schützen, oder nicht?

Wer hat denn mehr Recht auf diesen Bauch? Die Mutter oder das Kind? Ich oder Du? Wäre es nicht demokratischer zu sagen: Ich, aber auch Du! Wollen wir unseren Wohlstand nicht einmal mit den eigenen Kindern teilen?

Mit dem Hinweis, daß Frauen in Österreich sich ihr ungeplantes Kind nicht leisten können, liefert uns die SPÖ den Unfähigkeitsbeweis, bisher nicht in der Lage gewesen zu sein, alleinverdienenden Müttern zu einem ausreichend menschenwürdigen Leben zu verhelfen.

Und die Hilfsarbeiterin?

Daß Frauen in Österreich nahegelegt wird, sich kein Kind leisten zu sollen, weil sie zu arm sind — damit hat die SPÖ ihren zweiten wichtigen Grundsatz verletzt, nämlich jedermann und jederfrau in Österreich lebenswerte soziale Bedingungen zu verschaffen.

Wenn ich in den Reihen der Fristenlösungsbefürworter gegen den Schwangerschaftsabbruch argumentiere, wird mir stets monoton vorgeworfen, ich verstünde nichts davon.

Man sagt mir: „Stell Dir doch einmal die Situation einer Hilfsarbeiterin vor, die nicht weiß, wer der Vater des Kindes ist, keine Wohnung hat und nur das Existenzminimum ...”

Ja, die stelle ich mir vor, diese VOEST-Arbeiterin mit dem Existenzminimum, die plötzlich ein Kind bekommt. Wie erklärt sich denn diese VOEST-Arbeiterin den versprochenen Grundsatz von der solidarischen Gesellschaft?

Statt alles daranzusetzen, daß es dieser VOEST-Arbeiterin endlich auch einmal so gut wie dem VOEST-Generaldirektor geht, legt man ihr nahe, doch von der Möglichkeit einer Abtreibung Gebrauch zu machen, weil sie für ein Kind zu arm ist. Weü Du arm bist, hab besser kein Kind!

Wäre es nicht sozialer und humaner gewesen, ihr die Armut zu nehmen und nicht das Kind?

Statt nämlich eine notleidende Frau (von denen es genügende gibt, die eine unerwünschte Schwangerschaft in enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt) auf der Minusseite zu stärken, ihr ganz konkret die Möglichkeit zu bieten, bevorzugt zu Arbeit, Wohnung, Brot und Geld zu kommen, bestärkt man sie noch in der Möglichkeit, ihre Plusseite, nämlich das Kind, auf-, zugeben.

Der VOEST-Arbeiterin ohne Kindsvater und ohne Geld habe ich ganz andere Angebote zu machen. Zehn Jahre Fristenlösung: Meine Tochter ist genau diese zehn Jahre alt und ist wahrscheinlich eines der ersten Kinder, das hätte abgetrieben werden können.

Das ist zehn Jahre her und ich sage heute mehr denn je: Den Job kannst Du verlieren, der Freund kann Dich verlassen - alles ist ersetzbar. Nur eines nicht: das Kind, das seit zehn Jahren an meiner Seite lebt.

Es ist ein Klotz am Bein, ein Hindernis zur vollen beruflichen Entfaltung, eine ewige Sparkasse, zudem ein häufiger Anlaß für Aufregungen und Konflikte.

Aber: Einen Tag ohne Geld kann ich aushalten, einen Tag ohne mein Kind nicht. Und das gilt vielleicht für mein ganzes Leben. Hier bin ich nicht nutzlos, kein kleines Rädchen im Getriebe, nicht austauschbar, nicht ersetzbar. Hier erst bin ich legitimiert, mich Mutter zu nennen, bin ich die täglich Gebrauchte, die Einmalige, die Unverzichtbare. Mein Kind ist mein schönster Schmuck. Alles würde ich noch einmal dafür hingeben, jeden Mann, jeden Job, sehr viel Geld. Nur nicht mein Kind, das mir in guten wie in bösen Tagen der wichtigste Bestandteil meines Leben ist.

Es wäre ein historischer Fehler, würden die Grünen in der irrigen Annahme, daß es sich dabei um den Fortschritt handelt, den Slogan „Recht auf den eigenen Bauch” übernehmen.

Die grüne Partei sollte die Partei sein, die nicht nur beim radioaktiven Müll in der Lage ist, über den eigenen Bauch hinaus an die lange Menschenkette zu denken, die nach uns kommt. Diese Partei, die imstande sein will, mit den Lebensressourcen kostbar umzugehen, sollte noch kostbarer umgehen mit dem Leben selbst, in welch schwachen und schwächsten Ausformungen es auch immer in Erscheinung tritt.

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