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Mein Gott, Ilse!

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Letzten Freitag lief ich auf Ilse Donner auf, unweit des Stephansplatzes. Ich war noch gar nicht sicher, ob sie es wirklich war, da standen wir auch schon zwischen zweihundert anderen, vorwiegend teuer gekleideten und lässig witzelnden Menschen an Stehtischen in einem ebenerdigen Gewölbe, das auch ein nachsichtiger Gewerbeordner allerhöch- stens für dreißig Halbwüchsige konzessioniert hätte.

Ich hatte Ilse zuletzt live und aus der Nähe in der gemeinsam besuchten Schule gesehen. Sie saß, wenn sie saß, drei Reihen hinter mir und war unentwegt bewegt. Schon in der zweiten Klasse organisierte sie schrille Kaukau- Feste und Gruppenfahrten zum

Eislaufplatz, in der dritten begann sie, ein Theaterstück einzustudieren, ein eigenes selbstredend.

Wir schlichten Mitschüler staunten und bewunderten und wunderten uns dann doch, daß Ilse nicht alljährlich um zwei Klassen versetzt wurde. Kaum eine Frage der Frau Lehrerin, die Ilse nicht mit vielen und schnellen Worten zu replizieren wußte.

Als ich mich noch in der Mitte der Mittelschule mit meinen privaten Problemen herumquälte, war Ilse bereits ein öffentlicher Mensch geworden: Sie reüssierte als Schulsprecherin, überraschte gleichwohl durch gute Noten, hatte Erfolg in einer gesellschaftlich anerkannten Sportart, sah immer besser, wenn auch nicht eben jünger aus - und landete folgerichtig und flugs in den Medien.

Natürlich hatten wir Zurückgebliebenen keinen direkten Kon-

takt mehr zu Ilse, aber sie war uns, dank der Segnungen der Massenmedien, doch stets nahe. So blieb sie nicht bloß im Gedächtnis haften, sondern avancierte sogar zum bevorzugten Gesprächsstoff bei allen Klassentreffen, zu denen sie — verständlich, verständlich — nicht selbst erscheinen konnte. Auf ihr Grußtelegramm freilich war Verlaß.

Welch glückliche Fügung, daß ich immer wieder in Ilses Leben treten konnte. Auf dem Juristenball trat ich — selbstvergessen die Zivilprozeßordnung für eine bevorstehende Prüfung memorierend - auf ihren linken seidenen Ballschuh, als sie im Arm eines Professors der Ehrenloge enteilte. Wenig später präsentierte mir meine verehrte Frau Mama mit mildem Vorwurf eine gedruckte Büttenkarte, auf der zur Promotion von Frau Doktor Ilse B. Donner geladen wurde.

Wie gut, daß ich mich gleichermaßen artig wie launig bedankte. So kam ich bald darauf in den Genuß eines zweiten Büttenblattes, in dem die Verehelichung von Frau Doktor Ilse B. Donner mit einem mir bislang völlig unbekannten Diplomkaufmann Blitz angezeigt wurde, hinter welch zacki-

gern Namen von gewieften Börsianern eines der größten Vermögen unseres armen Landes vermutet wurde.

Ich wußte inzwischen, wie man in den Adreßkarteien prominenter Persönlichkeiten verbleibt, und antwortete flugs und etwas ausführlicher, als dies jemand ohne eigene Sekretärin getan haben würde.

Sie war es, die sich als eine der ersten energiebewußten Auto- bahnmarschiererinnen Blasen holte — und dabei interviewt wurde. Sie saß im ersten Autobus nach Zwentendorf - nicht ohne dabei interviewt zu werden. Sie sattelte Auhirsche und besetzte Heldenplätze, verteilte Flugblätter vor besetzten Botschaften, überreichte Petitionen an beschuldigte Minister — und wurde dabei, Gott sei Dank, stets interviewt.

Die Tage, die sie danach noch vor dem Einzug ins Hohe Haus trennten, waren auch für Rechenschwache leicht zählbar: Sie konnte sich den Posten und die Partei aussuchen. Und so wurde Ilse-Bella Donner-Blitz — ihre Namen hatten sich längst zeitgemäß verdoppelt - endgültig eine öffentliche Person.

Ich war sicher, daß sie mich längst vergessen hatte: Mich, den schüchternen Schulfreund, den stillen Verehrer, den ungeschickten Tänzer, den höflichen Grußkartenautor. Und dann stand ich doch neben ihr. Ach, wie ich sie bewunderte, ja verehrte. Sie war mir ganz nahe gekommen, der Strahl ihrer hellen Augen blendete, die vollen Lippen rundeten sich einladend: „Hans, mein Schatz, wie schön, daß wir uns endlich getroffen haben. Du mußt mich unbedingt in Deiner nächsten Sendung…“

Sie hatte mich verwechselt.

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