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„Mein Kind ist süchtig! “

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FURCHE: Warum greifen Österreichs Jugendliche noch nicht so häufig zu Drogen wie in den Nachbarländern?

STEPHAN RUDAS: Dafür gibt es in der Medizinalstatistik eine Reihe von Begründungen. Österreich, so lautet eine davon, ist ein klassisches Weintrinkerland. Wir haben auch rund dreißigmal mehr Alkohol- als Rauschgiftabhängige, deren Leben gefährdet ist. Ebenfalls mehr Tabletten- als Rauschgiftabhängige. Der Griff zur Flasche oder zu Medikamenten dürfte der Mentalität der Österreicher mehr entsprechen als der Griff zu harten Drogen.

FURCHE: Es heißt, in spätestens zehn Jahren schwappt die Drogenwelle bis zu uns.

RŪDAS: Das Drogenproblem ist so alt wie dįe Menschheit. Die Heroinwelle beispielsweise hat es in den USA schon vor den siebziger und den achtziger Jahren gegeben. Die Opiatwelle vor dem Zweiten Weltkrieg war ebenfalls viel ärger, als sie es jetzt ist. Der Umgang mit dem Problem ist heute ein anderer. Wenn sich heute ein Alkoholkranker zu Tode trinkt, steht das in keiner Zeitung. Er ist der x-te Alkoholtote, es berührt niemanden mehr. Jeder weiß ja, wir sind ein Land der Trinker. Aber jeder einzelne Drogentote kommt in die Schlagzeilen und wird gezählt. Für die Angehörigen ist es aber egal, ob er jetzt qualvoll an der Droge Alkohol oder an einer anderen Droge zugrunde gegangen ist. Statistisch gesehen ist aber Österreich vom Drogenproblem sicher wenig belastet. Wir sind ein Transitland, weil der Markt in den Nachbarländern attraktiver ist.

FURCHE: Gibt es eine einheitliche Wirkung der Suchtgifte?

RUDAS: Es ist schwer, Wirkungen zu beschreiben. Es müssen sich Erwartungen und Ansprüche des Konsumenten mit den jeweiligen Wirkungen treffen. Prinzipiell kann man alle bekannten Rauschgifte der Erde in drei Gruppen einteilen: in aufputschende, anregende Mittel, in dämpfende, beruhigende, einschläfernde und drittens in bewußtseinsverändernde Suchtgifte. Letztere vermitteln Wahrnehmungen und Empfindungen, die man sonst nicht hätte.

Wer Drogen nimmt, hat unterschiedlichste Erwartungen. Manche suchen Entspannung oder Leistungssteigerung. Diese Gruppe macht aber nur einen kleinen Teil der Süchtigen aus. Der größere Teil nimmt jede Wirkung auf sich. Diese Leute wollen nur ,zu sein’, wie das im Jargon heißt. Das ,Wie’ ist ihnen egal. Es ist das eine Flucht vor dem Hier und Jetzt. Ein

Flüchten, ohne sich geographisch zu verändern.

FURCHE: Wer ist gefährdet, drogenabhängig zu werden?

RUDAS: Alkoholabhängig oder drogenkrank kann jeder werden. Es gibt leider keine Möglichkeit, um die Chancen zu beurteilen, ab wann und ob jemand süchtig wird. Immer wieder suchen wir nach statistischen Gemeinsamkeiten. Gut ein Drittel der Drogenkranken kommt beispielsweise aus geschiedenen Ehen. Aber auch gut ein Drittel der Nicht- Drogenkranken kommt aus geschiedenen Ehen, weil Ehen in Österreich zu einem Drittel geschieden werden. Es ist kaum möglich, verbindliche Aussagen zu treffen. So haben wir uns darauf geeinigt, zu sagen: Aus ganz .normalen Familien* können ganz .normale Süchtige* kommen.

FURCHE: Auch in Österreich geht bereits die Angst vor Drogen in den Schulhöfen um. Sind das berechtigte Sorgen?

RUDAS: Drogenabhängigkeit ist der letzte Teil einer langen Reise. Erst da entscheidet sich, ob jemand Selbstmord begeht, dro- gen- oder alkoholabhängig, psychosomatisch krank, ein Mörder wird, oder ob er Magengeschwüre bekommt. Es sind dies alles schlecht ausgegangene Schicksale. Drogenabhängigkeit ist nur eine Variante eines schiefgegangenen Lebens. Warum gerade drogensüchtig? Diese Frage kann niemand beantworten.

FURCHE: Gibt es gesellschaftliche Ursachen?Die antiautoritäre Erziehung…?

RUDAS: Solche Fragen und Mutmaßungen sind Platitüden. Es wird in der Gesellschaft über erfolgte Katastrophen oft dumm und verantwortungslos geurteilt. Eltern fragen mich oft, was sie tun können, damit das Kind nicht drogensüchtig wird. So, als ob es Selbstmord schon begehen darf, zum Trinker auch werden darf. Ich habe den Eindruck, zwei alkoholkranke Jugendliche sind der Gesellschaft lieber als ein halber Drogensüchtiger,

FURCHE: Welche Rolle spielt der Zufall beim Einstieg in Drogen? Einmal probieren. Aus Neugierde …

RUDAS: Viele Varianten für ei-

nen Drogeneinstieg sind wahrscheinlich. Aber diese eine nicht. Es gibt kein Rauschgift, das bei einmaligem Einnehmen süchtig macht. Es gibt einfach keine Erklärung dafür, warum ein bestimmter Prozentsatz bei den Drogen, der andere etwa beim Selbstmord endet.

FURCHE: Wie reagieren Eltern auf die Drogenabhängigkeit ihres Kindes?

RUDAS: Es wird zuerst das Wissen mit aller Gewalt verdrängt. Uber Jahre hinweg wird da oft gemogelt. Genau das wären aber die entscheidenden Jahre, wo wir Ärzte noch helfen können. Wo Ehrlichkeit Hilfe bedeutet. Wo man zu den Betroffenen ehrlich sein müßte. Man muß einen Menschen schon sehr wenig mögen, wenn man hier mitlügt. Daher kann ich nur an alle appellieren, das nicht zu tun. Wer sich heute vor Rauschgift fürchtet, muß sich auch vor allen anderen Drogen fürchten. Ich bagatellisiere keine Sucht, aber wenn einer betrunken gegen einen Baum fährt und Tote verursacht, so ist das nicht minder schrecklich. Und mir ist jedes gefährdete Leben gleich viel wert.

FURCHE: Was können Eltern vorbeugend tun?

RUDAS: Das wichtigste ist die Erziehung. Zuhören ist das wichtigste Instrument dabei. Was Eltern sehen und hören bei ihrem Kind, das sind die wichtigsten Ereignisse. Eltern können Kinder steuern, aber nicht verändern. Sie können mithelfen, daß das Kind von Beginn an mit sich und seiner Umwelt klarkommt. Werte und Werthaltungen müssen vermittelt werden. Uber das ,Wie* gibt es keine Patentrezepte. Eltern, die gute Zuhörer sind, sind gute Erzieher. Wir wissen, daß man kleine Hunde anders halten muß als große Hunde. Aber die wenigsten Eltern wissen,’ was sie einem Zweijährigen und einem puber- tierenden Halbwüchsigen zumuten dürfen. Kein Mensch gibt einem Kleinkind so viel zu essen wie einem Sechzehnjährigen. Das versteht jeder. Aber um die Seele der Kinder weiß kaum jemand Bescheid. Wer sein Kind als gleichberechtigten Partner behandelt, es ernst nimmt und ihm zuhört, der braucht keine Angst zu haben, daß es süchtig wird.

FURCHE: Was tun, wenn es aber doch so weit kommt?

RUDAS: Ohne fremde Hilfe läßt sich das Problem nicht bewältigen. Es sollte niemand den Ersatzdoktor oder den Privatdetektiv spielen wollen. Hilfe holen ist das erste, was Eltern tun müssen. Es gibt in ganz Österreich ein dichtes Netz von Beratungsstellen. Jedes Sozialamt, jede Bezirkshauptmannschaft, jeder Psychiater im Telefonbuch kann diesbezüglich Auskünfte geben.

FURCHE: Kaum ein Betroffener geht doch freiwillig mit…

RŪDAS: Auch allein sollen die Eltern zur Beratung gehen. Weiters ist es keine Schande, dem Süchtigen Geld zu verweigern. Sucht kostet Geld, und viele Eltern finanzieren die letzten Jahre der Sucht ihrer Kinder mit den letzten Schillingen. Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. Man kann dem Kind Wohn-, Schlaf- und Eßmöglichkeiten anbieten, aber kein Geld für Drogen. Je eher das gesagt wird, desto geringer ist die Gefahr zu tätlichen Auseinandersetzungen. Wer zum Beispiel sechs Monate seinem Kind einen Tausender tägEch gibt und dann plötzlich kein Geld mehr hat, muß mit dem Messer rechnen. Süchtige deuten die Geldverweigerung als Verrat, als Verlassenwerden.

Es dauert oft lange, bis ein Süchtiger motiviert wird, sich behandeln zu lassen. Auch wenn eine Behandlung schiefläuft, sollte man sie immer wieder machen. Wichtig sind für Eltern auch Selbsthilfegruppen. Die haben sich außerordentlich gut bewährt. Es ist, das weiß ich, gewiß nicht leicht für Eltern, bei einer Tür anzuklopfen und zu sagen: .Grüß Gott. Mein Kind ist süchtig.*…

Das Gespräch mit dem Facharzt für Psychiatrie Stephan Rudas führt« Elfi Thiemer.

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