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Mein Selbstmord

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Ich war durch eine Sache sehr betrübt und so traurig, daß ich nicht ein noch aus wußte, sondern mir kurzerhand das Leben nehmen wollte. Es wäre indiskret, über die Sache, die mich so erregte, näher zu sprechen, denn man soll das Mädchen, das man liebt, nicht so kompromittieren.

Da habe ich mit mir selber Zwiesprache gehalten, wie ich mir am besten das Leben nehmen könnte.

Zuerst habe ich an Starkstrom gedacht, aber ich kann schlecht klettern, und die Türen von dem Transformator mag ich nicht aufreißen, weil das wegen Lebensgefahr verboten ist. Da denke ich an Gas. Aber denken Sie das Pech, in meiner Wohnung liegt kein Gas, und irgendwo einbrechen, wo Gas liegt und dann den Schlauch unter die Nase halten, das mag ich auch nicht tun, denn was mögen die Menschen denken, wenn sie mich finden, noch bevor ich tot bin, und wenn ich dann mit meinem Schmerz ins Gefängnis geworfen werde!

Nun, ich denke also an Gift. Aber ich kann ja alles vertragen, das ist ja das Schreckliche. Einmal habe ich eine Flasche voll Salmiakgeist in i einem Zuge ausgetrunken, und da sehe ich die 3 Kreuze und das Wort „Gift“ in roter Schrift. Sie können sich wohl meinen Schreck vorstellen. Es hat mir genau wie Bier geschmeckt, und es ist mir ausgezeichnet bekommen. Ich kann eben alles vertragen, und da stellt es sich heraus, daß meine Freunde, bloß um mich in Angst zu versetzen, aus Ulk über das Etikett einer Bierflasche ein Schildchen von einer Salmiakgeistflasche geklebt haben. Ich ging natürlich sofort zur Apotheke, um mir das nötige Gegengift zu kaufen, und da sagt der Apotheker, ich müßte normalerweise schon lange tot sein. Sie können sich meinen Schreck kaum vorstellen. Ich kniete nieder und umarmte seine Beine. Deshalb verkaufte er mir Selterswasser.

Aber das muß sich wohl mit dem Salmiakgeist schlecht vertragen haben, denn es hat furchtbar gegoren, furchtbar gegoren, ich habe mindestens 10 Kubikmeter Luft entwickelt. Sie sehen, auch die Gegengifte tun mir nichts, aber so eine innere Luftentwicklung will ich nie wieder erleben, nie wieder. Was bleibt mir also übrig? Ich muß mich ertränken, so leid es mir auch tut. Ich also los in die sumpfigen Flußwiesen, wo unser Strom fließt…

Ich hantelte mich also recht warm, dann nehme ich einen Anlauf, springe wie ein Floh in die Luft und fühle meine letzte Stunde schon vom Kirchturm meines Dorfes schlagen. Mein Herz klopft mir zum Halse heraus. Aber wie ich unten ankomme, merke ich vom Wasser nichts. Alles ist ausgetrocknet. Ich siitze direkt auf dem Sandstrande. Da muß ich denn in meiner Todesangst wohl über den ganzen Strom hinweggesprungen sein. Vor Schreck schlage ich lang um, und da liege ich hintenüber im Nassen, nur der Kopf ist wieder am ersten Ufer angelangt, von wo ich abgesprungen war. Ich jetzt raus. Ich war am ganzen Rücken naß, vom war ich noch trocken. Aber ich hatte noch soviel Selhstbewußtsein, um zu wissen, daß der Mensch erst am ganzen Körper naß sein muß, bevor er ertrinken kann. Jetzt lege ich mich voll Todesmut ans Ufer, rolle mich hinunter in die hoch aufspritzende Flut und drehe mich im Wasser um und um. Mir ist schon all^ egal geworden, und ich bin rundum naß mit Ausnahme der Nasenspitze, die noch trocken war. Dann setze ich mich wieder ans Ufer und warte, denn der Tod hätte nun kommen müssen. Aber ich muß wohl kein Talent zum Selbstmorden haben, denn der Tod kam nicht. Da weine ich dicke Tränen, aber ohne dadurch den Tod zwingen zu können. Und da höre ich denn in der Nähe ein abscheuliches Geräusch. Ich habe in dem Moment eine Angst ausgestanden, Sie können sich keinen Begriff machen. Wie leicht hätte mir einer mein Geld stehlen und mich in den Strom werfen können! Ich will mich schon leise wegschledchen, da schluchzt neben mir einer wie ein Kind. Ich denke: „Wer weint, der mordet nicht.“ Und so ist es auch tatsächlich. Ich gehe also hin, und denken Sie, da ist es der Fritz, der Fritze Buhmann. Der arme Kerl rührte mich geradezu. Der konnte kaum reden vor Schluchzen. Ich schließe ihn in meine Arme, da ist der ganz naß und hat offenbar kn Zeuge gebadet. Solch ein Leichtsinn, das ist doch im Winter gefährlich, bei der Temperatur! Und da schluckt der die Tränen herunter und fragt mich, weshalb ich denn eigentlich so naß wäre. Da sage ich ihm, mit mir wäre das ganz etwas anderes, ich hätte mir das Leben genommen, mit mir wäre es nun vollständig aus, ich warte nur noch, bis der Tod endgültig käme. Da ist der sehr verwundert und sagt mir, die Annemarie, was die Annemarie ist, die hätte sich doch heute mit mir, als wie ich bin, verlobt, oder nicht? Ich frage ihn, wieso denn. Da sagt der, daß ihm das die Annemarie persönlich gesagt hätte, daß ich sie so zärtlich geknutscht hätte, und daß ich sie auf den Hals geküßt hätte und immer tiefer. Ich wußte von nichts, außer daß mir die Annemarie umgekehrt dasselbe von dem Fritze erzählt hat. Aber in dem Moment war ich richtig stolz, darum sagte ich: „Wenn sie nicht mehr erzählt hat…“ Da schreit der Fritze auf: „O Gott, ist es denn noch mehr gewesen? Dann nehme ich mir das Leben!“ — Und da stürzt er sich auch schon in die Fluten, daß ich ganz naß davon werde …

Inzwischen war es aufgefallen, daß wir nicht nach Hause gekommen waren, und man suchte uns. Und wie wir da Arm in Arm am Ufer stehen, da kommt die Annemarie und schreit gleich los: „Nicht ins Wasser springen!“ und springt mit einem Satz quer über den Strom und wirft sich stürmisch in meine Arme. Wie das der Fritz sieht, stürzt er sich in die Fluten und dreht sich um und um. Dann steht er wieder auf und läuft ins Dorf. Der lebt heute noch. Und ich habe acht Tage darauf die Annemarie geheiratet. Nach 14 Tagen hatten wir schon unser erstes Kind. Nach vier Wochen hatten wir schon fünf, und nun, nach einem Jahr, bin ich der glückliche Vater von 59 Kindern. Ich kenne mich überhaupt nicht mehr aus. Die meisten sind schon wieder verheiratet, und der Älteste hat bereits schon stücker 20 eigene Kinder. Sogar von diesen sind einige wieder glückliche Väter und Mütter. Sie mögen es mir glauben oder nicht, aber diese Ehe, diese Ehe ist noch viel viel schlimmer, als mein Selbstmord jemals gewesen ist. 1927

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