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Mein Ungarland und — heute!

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tuerei der fliegender Eile kommen und davon Masse und des Alltags, der Liebes- schreiben”. „So hoffnungslos ist rummel von Weiblein und Männlein, meine Beziehung zu heute… denn das Leben also eine Kränkung und vernichten müßte man sofort, was Falle; schließlich sind es, trotz allen über Heute geschrieben wird, wie opemhaften Aufputzes, nichts als man die wirklichen Briefe zerreißt, Todesarten, hinter denen der Tod zerknüllt, nicht beendet, nicht ab- selbst lauert.

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tuerei der fliegender Eile kommen und davon Masse und des Alltags, der Liebes- schreiben”. „So hoffnungslos ist rummel von Weiblein und Männlein, meine Beziehung zu heute… denn das Leben also eine Kränkung und vernichten müßte man sofort, was Falle; schließlich sind es, trotz allen über Heute geschrieben wird, wie opemhaften Aufputzes, nichts als man die wirklichen Briefe zerreißt, Todesarten, hinter denen der Tod zerknüllt, nicht beendet, nicht ab- selbst lauert.

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schickt, weil sie von heute sind und So mündet der Roman in das dritte weil sie in keinem Heute mehr an- Kapitel „Von den letzten Dingen”, kommen.” Wie schon die kleine Jen- Ivan hatte eines Tages ein Blatt sei- nifer im „Guten Gott von Manhat- ner Geliebten gefunden, das über- tan” — fast möchte man von einer schrieben war „Todesarten”. Darum zum Roman ausgewachsenen Parai- geht es also. Malina ist eine „Ouver- lele zu diesem Hörspiel sprechen — türe” dazu, wie Ingeborg Bachmann ein Heute ohne Ende ihrer Liebe in einem Interview bekannte: „der aufrichten möchte, aber verlassen geschlossene Anfang einer Kompo- stirbt, so heißt es hier: „denn Heute sition, in der alles verzahnt ist, in ist ein Wort, das nur Selbstmörder der es fast keinen Satz gibt, der sich verwenden dürften”, und lautet der nicht auf einen anderen bezöge.” Das letzte Satz des Romans: „es war Bild eines kontinuierlichen Heute Mord”. Gott sei Dank nicht Selbst- einer inneren Auseinandersetzung mord, aber auf Grund des Doppel- mit der Liebe und der sie zerstören- gängers Malina, der das Ich tötete, den Welt in „authentischer” subjek- doch. etwas, was nahe an ihn heran- tiver Erfahrung. Den Hinweis auf kommt. diese totale Subjektivität, der mit-

Der erste Teil des Romans „Glück- unter auch als Vorwurf gemeint wird, lieh mit Ivan” will „eine Freuden- beantwortet die Dichterin selbst: mauer, eine Glücksmauer” um einen „Man könnte sich fragen: Wo kommt Ort bauen, auf den die Liebe wie hier denn zum Beispiel der Vietnamglühende Lava herabfuhr („Lieder krieg vor, wo ist das Weltgeschehen? auf der Flucht”). Doch voller böser Aber das Weltgeschehen ist eine Ahnungen schrickt das Roman-Ich Pflichtübung. Ich schreibe keine Promitten in der Nacht auf: „wie heißt grammusik.” Zeitdokumentation ist die Mauer, an die ich wieder gehe in nicht ihre Sache, „man muß diesen der Nacht? Warum gibt es keine ganzen Müll wegwerfen”. Für sie ist Glücksmauer und keine Freuden- wichtiger, zu beschreiben, „wie aus mauer?” „Der dritte Mann”, wie der dem schwarzen Markt der Nachzweite Teil heißt, scheint Antwort zu kriegsjahre der wirkliche Schwarze geben. In den Träumen, die das Markt geworden ist… auf diese ganze Kapitel ausmachen, taucht eine andere Weise trifft man die univer- düstere Vaterfigur auf und verdichtet seile Prostitution”. Oder man ein frühes Erlebnis der Kindheit, könnte auch mit Kafka antworten in dem sie, das weibliche „die in Zimmern eingesperrte Welt- Roman-Ich, den ersten Schritt auf geschichte”.

einen andern zu gemacht hatte, vol- So muß es im letzten, dritten Teil, wo die Bindung mit Ivan in Brüche geht, zur Krise, zur Katastrophe kommen, dargestellt im Doppelgänger Ich- Malina. Eine rätselhalte, verschüttete Erinnerung, steckt dahinter, wie Bachmann meint, die sie oft selbst nicht versteht. „Es war für mich wie das Finden meiner Persop, nämliqh dieses weibliche Ich nicht zu verleugnen und trotzdem das Gewicht auf das männliche Ich zu legen”. So sehr allerdings (im Roman zu lesen), daß das männliche Gewicht Malinas schließlich alles erdrückt, was mit diesem weiblichen Ich zusammenhängt, und dieses selbst in einer Mauerspalte verschwindet: „Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann. Es war Mord.” Das Ich sucht und findet mit der Hilfe seines überlegenen Doppelgängers einen Tod, den schon viele Todesarten vorbereitet haben, heißt es im Text des Verlages, den er wohl im Einverständnis mit der Dichterin zur Ankündigung’ Vorausschickte, und fährt dann fort: Der Roman zeigt die Einsamkeit dessen, der liebt.

Also nur die alte Geschichte vom Scheitern einer Liebe, modern variiert? So einfach geht das nicht. „Wer spricht denn hier noch von siegen, wenn das Zeichen verloren gegangen ist, in dem man siegen könnte?” Dieser Satz erinnert an den alten Absolutheitsanspruch aus dem „dreißigsten Jahr”, an den Absolutheitsanspruch der Liebe im „Guten Gott von Manhattan”. Daher die Distanz zu allen Relativitäten, die als modische Aktualitäten in Politik, Soziologie, Philosophie, Zukunftsutopie, auch in der Literatur und der Liebe selbst auftreten. (Ein bezeichnendes Beispiel: „Obwohl es einmal alle wußten, aber da es heute keiner mehr weiß, warum es heimlich zu geschehen hat — nämlich die Liebesbe- gegnung —; um ein Tabu wiederherzustellen, damit nichts profaniert wird und die ersten Kühnheiten und die letzten sanften Ergebenheiten wieder eine Chance haben. Wo kein Geheimnis ist, wird nie etwas zu finden sein, und Ratlosigkeit nach den Perlustrieruneen und Entkleidungen nimmt zu, kein Dornbusch brennt und das Gesetz der Welt liegt unverstandener denn je auf allen.”) In dieser Distanz lag immer die zwingende und bezwingende Kraft dieser Dichtung, ihrer formalen wie inhaltlichen Qualitäten, wenn man sie überhaupt voneinander trennen kann. So ist dem Roman auch nicht mit ästhetischen Überlegungen allein beizukommen. Sicher, der Roman konnte nur in einem „Heute” geschrieben werden, ist daher als „moderner” Roman zu erkennen, die Einflüsse und Charakteristika ließen sich an seiner Sprache und Thematik nach- weisen, doch was ihn darüber hinaushebt, ist sein Absolutheitsanspruch. Philosophiestudium, überhaupt Bildung, war für Bachmann nie Nebenbeschäftigung.

Ist nun dieser Absolutheitsanspruch durch den Mord am Schluß frustriert? Nur dem nachdenklichen, besinnlichen Leser — dieser Roman erfordert Zeit zur Aneignung — eröffnet sich hinter allen kritischen Anmerkungen, die man zu ihm machen kann Und gemacht hat, der Gehalt. In dem Roman ist die Legende der Prinzessin von Kagran verflochten, hervorgehoben durch Kursdvdruck. Diese Prinzessin geriet in viele Gefangenschaften, wurde zu Manches Beute, wollte sich aber lieber den Tod geben, als sich irgend jemandem zuführen zu lassen, handelte es sich auch um einen König. Ihr Land mit den hlauen Hügeln will Sie. Ein Fremder in einer Sprache, die säe bestrickte, wenn sie sie auch nicht verstand, deren Stimme aber ihr allein galt, weist ihr den Weg in die Freiheit. Legendäre Elemente aus Märchen, Historie und Romantik verflechten sich. Bedrohungen, Schmerzen, Aussichtslosigkeiten stürzen herein. Doch die Worte: „Geduld”, „Geliebte”, „Wir werden uns Wiedersehen”, führen durch das Dickicht und am Schluß „lallt sie im Fieber: ich weiß ja, ich weiß!” An diese Legende schließen sieh im späteren Text des Romans Einschübe, die immer beginnen: „ein Tag wird kommen …” Wieder neues Dickicht und neue Unruhe, doch zum Schluß „eine nie gekannte Unruhe war in ihr und legte sich schwer auf ihr Herz”. Ist es die Unruhe jenes Absolutheitsanspruchs, der nicht verstummt, auch über den „Mord” hinaus nicht? „Ich war nie glücklich, nur in wenigen Momenten, aber ich habe doch zuletzt die Schönheit gesehen. Sie reicht ganz allein aus, sie setzt den Geist in Bewegung”. Liegt hier eine Lösung? Oder ist es das Nichts, das nichts- tun? „Es wird die erste Stelle sein, auf der die Welt von jemand geheilt ist.” Erinnert dieses Nichts also an östliche Spekulationen? Oder ist es ein Schmerz, von einem Stöhnen begleitet, das „ach Gott, o Gott” ausstößt? „So kommt es oft im Körper zuerst zu diesen gefährlichen, folgenreichen Anwandlungen, die einen gewisse Worte aussprechen lassen, denn vorher hatte ich nur in einigen philosophischen Seminaren eine begriffliche Bekanntschaft mit Gott gemacht, mit dem Sein, dem Nichts, der Essenz, der Existenz, dem Brahma.” Oder was bedeutet der Satz: „Aber es ist vielleicht nicht Ivan allein, sondern etwas mehr, das mich besiegt hat, es muß wohl etwas Größeres sein, da alles uns einer Bestimmung zutreibt?” Lauter Fragen. Muß man darauf Antworten wie Rezepte finden oder besser wie jener Fremde aus der Legende zwei Finger auf den Mund legen und Schweigen bedeuten?

Der Roman jedenfalls ist künstlerische Darstellung und künstlerisches Produkt einer Unruhe, die sich schwer aufs Herz gelegt hat, einer Krise vielleicht, wie man gern dazu sagt, eines Menschen auf einer Flucht wie die Prinzessin: „denn wahr ist der endlose Ritt”, vielleicht mit dem letzten Lied aus den „Liedern auf der Flucht” auf den Lippen, das auch den Gedichtband „Anrufung des Großen Bären” abschließt:

Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen, die Zeit und die Zeit danach.

Wir haben keinen.

Nur Sinken um uns von Gestirnen.

Abglanz und Schweigen.

Doch das Lied überm Staub danach wird uns übersteigen.

MALINA, Roman. Von Ingeborg Bachmann, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1971. 356 Seiten, DM 20.—.

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