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Meine Bilder des alten Österreich

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Jede Utopie ist eine Illusion. Sie entsteht durch ein Gefühl des Un- genügens und des Alleingelassenseins, also aus Einsamkeit. Wer sie aufbaut, der bildet eine Sphäre aus, die dem Druck der Gegenwart widersteht; denn jeder Utopist will den ihn einengenden oder bedrückenden Lebensumständen zumindest in der Phantasie entkommen.

Joseph Roth ist in der k. und k. Monarchie aufgewachsen, als sie gerade noch zusammenhielt, während ich ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges geboren wurde. Die Fürstenherrlichkeit werde nicht mehr lange dauern, sagte schon Kaiserin Eli-

sabeth, und Ministerpräsident Graf Taaffe redete, was seine Arbeit betraf, von „Fortwursteln“, während der Kaiser einer strengen Arbeitsdisziplin verpflichtet war, die er sich selbst auferlegt hatte. Diesem Zwiespalt von Ordnung und Auflösung sind alle Figuren Joseph Roths ausgeliefert.

Die Heimatlosigkeit, die ihm auferlegt war, hat ihn dazu getrieben, sein Bild der Vergangenheit wieder aufzubauen, in der Kaiser Franz Joseph darauf geachtet hatte, daß auch den Juden alle bürgerlichen Freiheiten gewährt wurden. Dabei ist ein Sehnsuchtsbild entstanden; denn jede Utopie wird durch das Gefühl, hilflos zu sein, hervorgetrieben und durch Sehnsucht gereinigt. Übrigens könnte man auch „verklärt“ sagen, doch schillert dieses Wort heutzutage denunziatorisch. Trotzdem ist jede Utopie, ob sie von Hölderlin oder von Joseph Roth stammt, nichts Geringeres als ein Bild der Sehnsucht.

Joseph Roth hat in der österreichischen Monarchie gelebt, während ich aus Büchern und alten Photographien mein Bild der Vergangenheit zusammenfügen mußte, um mir meine Gegenwelt lebendig werden zu lassen. Schließlich habe ich meine Jugend in einer Zeit verbringen müssen, die, um es gelinde auszudrücken, meinen inneren und äußeren Bedürfnissen nicht entsprach. Ich suchte mir deshalb die Zeit um 1900 aus, um wenigstens im Inneren einen Bezirk zu haben,

der mir gemäß war.

Es war also die Endphase der k. und k. Monarchie, der ich mich zuwandte. Der alte Kaiser, der außerhalb steht und zuschaut, der das Geschehen registriert, bestimmt meine Darstellungsweise. Und weil, wie gesagt, die Sehnsucht als Triebkraft meiner Utopie festzustellen ist, dürfte zumindest meine Beschreibung des letzten Jahrzehnts der k. und k. Monarchie Stimmungen von Wehmut in sich aufgenommen haben. Dabei entstand ein Bild in Abendfarben, wenn ich so sagen darf.

Gegen Abend verlängern sich die Schatten und greifen neben leuchtenden Farben tief ins Bild. Dabei erinnere ich mich an ein Wort von Elias Canetti, der zu mir sagte: „Wenn Wien bei Ihnen auftaucht, dann ist es fast, als wäre es das Paradies.“ — „Ja“, erwiderte ich, „das wird öfters als Eskapismus gebrandmarkt.“ Darauf Canetti: „Was soll denn das bedeuten?“

Außer Büchern waren es Eindrücke und Erlebnisse, die mich mit der Vergangenheit verbanden und es möglich machten, mich in die Zeit Franz Josephs zu versetzen. Wobei das Gefühl des Trostes für mich nicht nur von Büchern, sondern auch von alten Dingen ausging, zu denen auch der Havelock meines Großvaters ebenso gehörte wie sein Borsa- lino-Hut. Sorgsam eingemottet, hatten beide die Jahrzehnte überdauert, und der Hut trug ein goldenes Firmenzeichen auf seinem weißen Seidenfutter. Übrigens hatte jener Großvater eine Schwäche für alles Feine und Elegante, obwohl er ein kleiner dik- ker Mann mit einer Sattelnase war.

Sein Havelock und sein Borsa- lino-Hut aber machten es möglich, ein Stückchen jener Vergangenheit an den Fingerspitzen zu spüren, die mir in ihrer österreichischen Form sehr am Herzen lag und nach der ich mich sehnte. Typisch eskapistisch … würde man heute sagen. Aber solche Hüte und solche Havelock-Mäntel haben auch um 1910 die Kutscher in Wien getragen. Und weil ich als Bub an einem heißen Augusttag in einer Kutsche von Künzelsau nach Schöntal gefahren bin,

konnte ich mir als Zwanzigjähriger vorstellen, wie sich Hofmannsthal und Schnitzler damals bei ihren Ausfahrten gefühlt haben.

All dies machte es mir möglich, die Gegenwart des sogenannten „Dritten Reiches“ zu ertragen. Und ich meine, ohne den Havelock umgehängt und den Borsali- no-Hut aufgesetzt zu haben, ohne als Bub in einer offenen Kutsche gefahren worden zu sein, während Apfelbaumzweige an mir vorbeistreiften, wäre die Atmosphäre der kaiserlichen und königlichen Monarchie in meinen Büchern nicht spürbar geworden, und ich hätte das Knistern des Sandes einer alten Landstraße unter den Kutschenrädern nicht beschreiben können, das in meinen Büchern öfters erwähnt wird; denn mir will es so scheinen, als hätten die Menschen, denen ich in Wien begegnet bin, und alles, was ich in Österreich gehört und gesehen und gerochen habe - wie beispielsweise an einem warmen Tag den Roßäpfelduft hinter dem Dom zu Salzburg, wo im Sommer viele Kutschen warteten —, auf meine utopischen Vorstellungen von der k. und k. Monarchie stärker eingewirkt als meine Lektüre. Dazu kommt die Grundstimmung meiner Natur, für die ein Einverständnis mit dem, was man Schicksal nennt, charakteristisch ist und ohne die ich die Lebensstimmung unter Kaiser Franz Joseph dem Ersten nicht hätte darstellen können. Daß dabei Resignation im Spiel ist, paßt wohl auch zu jener Mentalität, der das Wort, die Lage sei hoffnungslos, aber nicht ernst, zu verdanken ist.

An vielen Samstagen des Jahres 1937 kaufte ich mir die „Neue Freie Presse“. Sie hatte am Wochenende eine Kupfertiefdruckbeilage, und in ihr sah ich durch bräunliche Photographien in das Wien der Tage hinein, die man damals Gegenwart nannte.

Für mich war’s ein Blick in die Freiheit. Ich begrüßte die Minister mit Schuschnigg am oberen Tafelende in einem Saal am Ballhausplatz und dachte, diesen Herren gelänge es, ihr Land vor der deutschen Infiltration zu bewahren.

Zwar bemühten sie sich darum, den Bedürfnissen des Massenzeit-

alters durch Uniformen und Abzeichen wie dem Krukenkreuz zu entsprechen, waren aber nicht ganz bei der Sache, wie mir schien; sie zweifelten insgeheim und was der glücklosen Umstände mehr sein mochte. Ich aber hoffte und bekam Unrecht im Verlauf der Geschichte. •

Jedenfalls konnte ich mir, auch durch die Aufnahmen in dieser Zeitung, ein Bild von Wien machen. Freilich, es war ein Phantasiebild, aber es stärkte mich. Und als ich später zum ersten Mal nach Wien kam, war mir die Stadt seit langem vertraut. Vom Perron der Straßenbahn aus begrüßte ich das Palais Trautsohn, die Kuppel der Karlskirche undsoweiter. All dies war seit langer Zeit in mir, und ich hatte das Gefühl, hinter die Fassaden schauen zu können, weil ich das Leben von ehemals zu spüren meinte. Aus Büchern und Gesprächen mit Österreichern, denen ich im Krieg begegnet war und von denen beispielsweise der Schwarz Franzi Austräger bei Goldmann und Salatsch war. Er sang zur Gitarre ein Lied mit dem Refrain: „Die Mädchen sind bezugsscheinfrei“, und mir kam’s vor, als wüßten die Österreicher besser als ich, wie es möglich war, sich über die blutige und schmutzige Gegenwart zu erheben.

Gekürzte Fassung des Referats „Wie mein Bild der k. und k. Monarchie entstand", das der deutsche Erzähler anläßlich des Symposions „Kritik und Verklärung" in Wien gehalten hat

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