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Meine Kirche in Weinhaus

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Der vielseitige Publizist Kurt-Dieman hat über 17 denkwürdige Wiener Bauwerke Denkwürdiges zu Papier gebracht. Sein Buch „Zwischen Häusern und Zeiten“ erscheint im Signum-Verlag, Wien.

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Der vielseitige Publizist Kurt-Dieman hat über 17 denkwürdige Wiener Bauwerke Denkwürdiges zu Papier gebracht. Sein Buch „Zwischen Häusern und Zeiten“ erscheint im Signum-Verlag, Wien.

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Wer Rundschau hält über Wien, kann sie - bei klarer Sicht - der Reihe nach ausnehmen und abzählen: die Backsteinkirchen, die ein baufreudiges, zu- kunfts- und immer noch (in Grenzen) kirchengläubiges Bürgertum in den Vorstädten und Vororten von einst, den neuen Bezirken des großen, vereinigten Wien, errichtete. Da ragen sie auf aus dem Dächermeer, Zeugen einer Gesinnung, die mit dem Bürgermeister Lueger, dem „schönen Karl“, wie die Wiener ihn nannten, unter der Kuppel .der Dr. Karl Lueger-Ge-

dächtniskirche auf dem Zentralfriedhof zu Grabe sank.

Nach außen hin muten sie fast fremdartig an, diese Backsteinkirchen: errichtet aus den im fernen Norden beheimateten Ziegeln, die auch beim Bau der Fabriken im Wiener Becken und drüben, jenseits der Donau, in Floridsdorf Verwendung fanden.

Die Kirchen des christlich-sozialen Wien, das im Kampf mit dem Liberalismus und der aufsteigenden Sozialdemokratie lag, wurden in einem, großdeutschen Stil gebaut: in einem romantischen Stil, der noch gotische und romanische Illusionen in eine immer nüchterner werdende Umwelt pr oj izier te. Auch die F abriken am Rande der Großstadt huldigten in ihrem Äußeren dieser

Romantik, während ihr Inneres die Realität der Frauen- und Kinderarbeit beherbergte.

Wiens Backsteinbauten - ob geistlicher oder weltlicher Natur — sind das letzte Aufgebot der Romantik in dieser Stadt, durch die ein halbes Jahrhundert zuvor die Nazarener gewandelt sind: erdentrückt wie Mondsüchtige, in langen wallenden Gewändern, mit Bärten und Schultermähnen, wie sie junge Leute auch heute wieder tragen.

Die Türme der Backsteinkirchen weisen überall in Wien — hauptsächlich aber in den westlichen, bis an den Rand der Wienerwaldberge reichenden Bezirken — gegen einen Himmel, der zur Zeit, da sie gebaut wurden, noch das milde Licht der langen franzisko- josephinischen Epoche widerspiegelte. Es war das milde Licht eines sinkenden Tages.

Wiens Backsteinkirchen, die so gar nicht in die Stadt des Barock und des Biedermeier passen und die doch hier ihr Heimatrecht gefunden haben wie der Bonner

Beethoven oder der Hamburger Brahms, treten aus der Weiträumigkeit des Stadtbildes am klarsten hervor, wenn die Sonne sich je nach Jahreszeit auf ihrer Wanderung dem Satzberg oder dem Heuberg zuneigt: Dann setzen sie in dieses Bild, das sich mählich aus letzter Dunstumfan- genheit löst, ihre verwandten und doch so unterschiedlichen Konturen.

Von allen diesen vielen Wiener Backsteinkirchen ist mir die des Nährvaters Sankt Joseph in

Weinhaus die liebste. Sie ist meine Kindheitskirche, in die ich auch immer wieder hineinschaue, wenn mich eine Besorgung nach Währing hinüberführt.

Stehe ich dann vor dem vergoldeten Hochaltar mit den hohen und doch zierlichen Aufbauten gotischer Baldachine über den Heiligenfiguren, ergeht es mir ganz ähnlich wie in Pürgg im schönen steirischen Ennstal, wo alle meine kirchlichen Kinderfreuden ihre höchste Steigerung erlebten. Wie hoch und gewaltig — überwältigend! — ragte doch einst der Grimming über Kirche, Pfarrhof und Burgstall auf und um wieviel kleiner ist er doch seither für mich geworden.

Auch der Hochaltar der Weinhauser Kirche erschien mir früher einmal wie ein riesiger Berg: Jetzt erinnert er mich weit eher an die altdeutsche Kredenz bei uns zu Hause, vor der ich meine kolossalen Pontifikalämter zelebrierte: im violetten Talar und mit einem silbernen Sterbekreuz an der langen vergoldeten Kette von Tante Hermine auf der Brust. Ein echtes goldenes Pectorale konnte mir auch das spendabelste Christkind nicht leisten.

Der erste Spatenstich für den Bau der Weinhauser Kirche wurde am 16. September 1883 getan: in dankbarer Erinnerung an die Befreiung Wiens von den Türken 200 Jahre vorher. Die Weinhauser Kirche ist an den Südhang jenes dem Wienerwald vorgelagerten Hügelrückens angebaut, auf dem einst von den Türken eine große Schanze errichtet worden war. 1933 durfte ich dann auf dem Heldenplatz mit Großvater die 250- Jahrfeier der Befreiung von der Türkenbelagerung als stolzesten Tag unserer Gemeinsamkeit erleben.

Geweiht wurde meine Kinderkirche schon vor ihrer baulichen Vollendung: 1889, vom Kardinal- Fürsterzbischof Joseph Gangl- bauer, der in Ottakring, nahe beim Arbeiterheim, eine nach ihm benannte Gasse hat. Die Pläne für den Kirchenbau hatte der berühmte Dombaumeister Friedrich Schmidt entworfen: Schöpfer der Wiener Neugotik, von dem diese Stilart ihren halboffiziellen Namen, „Schmidtgotik“, her leitet.

Die Weinhauser Kirche soll mich einst zur ersten sprachlichen Äußerung meines Lebens inspiriert haben. Großvater hat das Ereignis genau äufgeschrieben: Auf einer Fahrt durch die Gentz- gasse im damals hochmodernen hochrädrigen Kinderwagen mit weit ausschwingendem Federge- stell richtete ich mich,als die Kirche in mein Blickfeld kam, etwas auf, wies mit der Hand auf sie und sagte dazu:„Ki“. Ein bedeutungsvoller Ausspruch, an den Großmama gleich ihre Hoffnung knüpfte, daß aus mir ein geistlicher Herr werden möge. Ich habe diese Hoffnung enttäuscht.

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