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Meine Pflicht im Kabinett

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Es ist nicht meine Absicht, die politischen Vorgänge des Juli 1934 in Österreich darzustellen. Ich wäre dazu auch bei dem Mangel gewichtiger Dokumente, die noch unter Verschluß gehalten werden oder vernichtet wurden, nicht in der Lage. Das mögen die Erforscher der Zeitgeschichte tun. Ich möchte nur einige persönliche Erlebnisse aus meiner privaten Dokumentation von 1928 bis heute beisteuern, die ein Licht auf die damaligen Ereignisse werfen und die vor allem das Bild des edlen, für die Selbständigkeit Österreichs ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Doli fuß unter einem anderen Blickwinkel sehen lassen, als es gemeinhin angelegt wird. Nicht umsonst haben nach dem Mord an dem Kanzler sechs Männer in Salzburg sich zusammengetan, um das Andenken an ihn hochzuhalten: der damalige Landeshauptmann Dr. Franz Rehr], sein Bruder, der spätere Landeshauptmann Josef Rehrl, der verstorbene Notar Dr. Rudolf Zeilinger, Hof rat Professor Dr. Erwin Domanig, Primär Dr. Josef Sandhofer und der Schreiber dieser Zeilen.

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Es ist nicht meine Absicht, die politischen Vorgänge des Juli 1934 in Österreich darzustellen. Ich wäre dazu auch bei dem Mangel gewichtiger Dokumente, die noch unter Verschluß gehalten werden oder vernichtet wurden, nicht in der Lage. Das mögen die Erforscher der Zeitgeschichte tun. Ich möchte nur einige persönliche Erlebnisse aus meiner privaten Dokumentation von 1928 bis heute beisteuern, die ein Licht auf die damaligen Ereignisse werfen und die vor allem das Bild des edlen, für die Selbständigkeit Österreichs ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Doli fuß unter einem anderen Blickwinkel sehen lassen, als es gemeinhin angelegt wird. Nicht umsonst haben nach dem Mord an dem Kanzler sechs Männer in Salzburg sich zusammengetan, um das Andenken an ihn hochzuhalten: der damalige Landeshauptmann Dr. Franz Rehr], sein Bruder, der spätere Landeshauptmann Josef Rehrl, der verstorbene Notar Dr. Rudolf Zeilinger, Hof rat Professor Dr. Erwin Domanig, Primär Dr. Josef Sandhofer und der Schreiber dieser Zeilen.

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In meinem Beitrag im „Rheinischen Merkur“ vom 28. Juni 1974, über den Mord an meinem Freunde Dr. Willi Schmid in München am 30. Juni 1934, habe ich schon angedeutet, daß wir Salzburger, die damals führend in den Bestrebungen für eine Katholische Universität in Salzburg waren, am 30. Juni dn Sei-tenste'tten mit dem Bundeskanzler über die nächsten Schritte zur Verwirklichung dieser Universität in Salzburg berieten. Prof. Baumgartner trug dem Bundeskanzler unsere Pläne und Wünsche vor. Der Bundeskanzler hörte aufmerksam zu und sagte dann: „Was die Gestaltung der Universität angeht, so müssen Sie als Wissenschaftler das besser wissen als ich. Mich interessiert dagegen der volkswirtschaftliche Aspekt. Wie soll die Universität nach dieser Seite hin aussehen? Wollen Sie, daß die Studenten weiterhin ziellos in den ersten Semestern herumlaufen oder denken Sie an eine andere Form nicht nur der Bildung, sondern auch der Erziehung?“ Wir versicherten ihm, daß wir für die geplante Uni-< versität in Hinsicht auf die Studenten an die akademische Freiheit deutscher und österreichischer Universitäten, in Verbindung mit. der angelsächsischen College-Erziehung, dächten. Der Bundeskanzler erklärte sich mit unserer Darstellung einverstanden und sagte abschließend: „Schicken Sie mir ein Memorandum, das die Grundgedanken enthält. Ich werde dann als Kanzler meine Pflicht im Kabinett tun.“ Das Memorandum, das wir dann am 8. Juli auf einer Klausurtagung in Maria-Piain entwarfen, wurde ihm noch überreicht und lag auf seinem Schreibtisch, als er ermordet wurde. Wir waren sicher, daß er uns die Katholische Universität gewähren würde, da das Kabinett ohne Zweifel seinem Willen gefolgt wäre, hörten auch, daß er unser Memorandum für gut befunden habe. Der Mord an ihm am 25. Juli 1934 machte die Ausführung damals zunichte. Wo das Memorandum hingelangt ist, weiß ich nicht. Vielleicht spielt es ein Glücksfall dem einen oder anderen Forscher in Österreich oder Deutschland noch in die Hände.

An dieser Stelle sei noch an ein anderes Vorhaben des Kanzlers erinnert, das er im Herbst 1934 durchführen wollte. Die Idee eines Christlichen Ständestaates, zu dem er sich zeitweilig nach dem Vorbild Sala-zars bekannt hatte, schien ihm, dem klarsehenden Staatsmann, doch zu unrealistisch zu sein. Nachdem im Winter 1933/34 ein Zusammengehen mit den Sozialisten, für das sich im Auftrag des Kanzlers ganz besonders der bekannte Historiker und Vize-bürgermeister von Wien, Ernst Karl Winter, einsetzte, nicht zustande kam — durch wessen Schuld, sei hier nicht untersucht —, war dem heute als „Austro-Faschisten“ bezeichneten Kanzler der Gedanke an eine von der Basis her aufbauende innerpolitische Ordnung für Österreich gekommen. Es war seine Absicht, wie mir der mit Engelbert Dollfuß eng befreundete und häufig ihn aufsuchende gemeinsame Freund Gottfried Domanig aus Klosterneuburg versicherte, im Herbst 1934 in ganz Österreich von der kleinsten Gemeinde bis zur Spitze der Regierung^ in einer aufsteigenden Skala die möglichst besten Bürger wählen zu lassen, um so eine demokratische Verfassung ohne die hemmende Parteipolitik, die er genugsam kennengelernt hatte, zu realisieren. Gewiß, eine auch angesichts der Bedrohung von außen her und der Uneinigkeit im Inneren kühne, aber nicht unmögliche Vorstellung. Damit wäre auch die Spannung, die zwischen dem damaligen Bundespräsidenten Dr. Miklas, dem christlich-sozialen Politiker, und dem sich auf eine nicht in allem erwünschte Bundesgenossenschaft stützenden Kanzler zweifellos bestand, gemildert worden. Dr. Miklas war nicht, wie in neuester Zeit geäußert wurde, ein schwacher Bundespräsident. Daß er sich in manchem gegen den durch die Umstände stärkeren Bundeskanzler nicht durchsetzen konnte, sollte aus neueren Erfahrungen verständlich sein.

Damit bin ich schon zu.dem gekommen, was ich noch zum Juli 1934 berichten wollte. Zum Begräbnis des ermordeten Kanzlers war ich als einziges Mitglied der Theologischen Fakultät Salzburg nach Wien gekommen, in Erinnerung an die tatkräftige Unterstützung, die P. Alois Mager und ich so manches Mal bei unseren Vorsprachen für die geplante Salzburger Universität gefunden hatten. In einer Gruppe von zum Teil unwillig aus ihrem Urlaub angereisten Professoren gelangten wir bei der Trauerfeier nicht in die Kirche von St. Stephan, wo Kardinal In-nitzer das Pontifikalrequiem zelebrierte, und auch nur bis an die Außenmauer des Hietzinger Friedhofs, auf dem wir im vorigen Jahr die verstorbene Gattin des Kanzlers neben ihm beisetzten. Am Rande sei bemerkt, daß bei dieser Gelegenheit eine offizielle Vertretung, die leider nicht zugegen war, die österreichische Regierung geehrt hätte, weil diese Frau, wie auch die selten erwähnte Kaiserin Zita, nach dem Zweiten Weltkrieg unendlich viel Gutes für die notleidenden Österreicher von den Vereinigten Staaten und Kanada her getan hat.

Am Tage nach dem Begräbnis suchte ich den Chefredakteur der „Reichspost“ in der Strozzigasse auf. Er sagte mir, daß ihn soeben der Apostolische Administrator von Vorarlberg, Weihbischof Dr. Waitz, verlassen habe. Dieser habe ihm erklärt, daß die österreichischen Bischöfe beschlossen hätten, den von Hitler zur „Versöhnung“ angekündigten Gesandten Franz von Papen nicht zu empfangen. Dr. Funder wollte, daß ich zu dem designierten Kanzler Kurt von Schuschnigg gehe und ihn über Herrn von Papen auf Grund meiner Kenntnis der deutschen Verhältnisse aufkläre. Das gelang leider nicht. Eine Gruppe deutscher Freunde in Wien veran-laßte mich daraufhin, eine Audienz bei Bundespräsident Dr. Miklas zu erbitten. In dieser Audienz legte ich dem Bundespräsidenten dar, wer Herr von Papen sei und ersuchte ihn, dem Kabinett unsere Auffassung mitzuteilen, den Herrn von Papen, dessen Sekretär am 30. Juni ebenfalls ermordet worden war, abzulehnen. Zu Ostern 1934 war ich noch in Köln bei Kardinal-Erzbischof Schulte und bei dessen Freund, De-chant Hinsenkamp, einem tapferen Widersacher der Nazis, in Bonn gewesen. Ich hatte noch den Ton der Worte im Ohr, mit dem der De-chant mir seine Empörung über „alle Verräter von Kaas bis Papen“ ausgesprochen hatte. Bundespräsident Miklas sagte ich wörtlich: „Wie Herr von Papen die deutschen Katholiken ans Messer geliefert hat, so wird er auch die österreichischen Katholiken ans Messer bringen.“ Der Bundespräsident nahm meine Ausführungen freundlich auf und versprach, sie im Kabinett vorzubringen, meinte aber, daß es wohl kaum möglich sei, den Gesandten Hitlers abzulehnen, weil dies ja nur wieder als ein Vorwand zu größerer Aggressivität Hitlers gegen Österreich benutzt werden würde.

Zu meiner Charakteristik des Herrn von Papen sollte jeder heute die Beschreibung nachlesen, die der große europäische Liberale, Salvador de Madariaga, in seinen Erinnerungen über den Völkerbund „Morgen ohne Mittag“ gegeben hat. Schon einige Jahre vor der Machtergreifung hatte der spätere Wiederbegründer des „Rheinischen Merkur“, der junge Franz A. Kramer, in der „Kölnischen Volkszeitung“ über Reichskanzler von Papen geschrieben: „Dieser Mann ist eine Katastrophe.“ Auch möchte ich hier das Wortspiel Pius XI. anführen, das er bei der letzten Audienz, die er dem Fürsterzbischof Waitz von Salzburg gewährte, auf einen Stuhl in seinem Studio zeigend, gesagt hat: „Hic Papen papam fefellit — hier täuschte Papen den Papst.“ Dieser Satz wurde mir vom Abt von Fiecht-Georgenberg am 13. Juli 1949 bestätigt, der ihn aus dem Munde des Fürsterzbischofs vernommen hatte.

Beim Abschied dankte ich dem Bundespräsidenten für sein mannhaftes Eintreten bei der Ermordung des Kanzlers Dollfuß. Er schilderte mir, wie er aus seinem Urlaub am Wörthersee auf die erste Nachricht vom Attentat an Minister von Schuschnigg telephoniert und ihn verantwortlich für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung in Wien gemacht hatte. Ein schwacher Bundespräsident? Meiner Kenntnis nach hat er alles getan, was in seiner Macht stand, damals und auch im März 1938. Damals konnte Mussolini noch eine Division an den Brenner werfen, um Hitler von der Vernichtung der Selbständigkeit Österreichs abzuhalten. Daß es ihm im März 1938 nicht mehr möglich war, wissen alle, die diese Zeit durchlebt haben. Allerdings habe ich noch in den Tagen nach dem 12. März, nach meiner Flucht, in Südtirol erlebt, wie die italienischen Carabinieri die Freudenfeuer auslöschten, die irregeleitete Parteigänger Hitlers dort zur „Heimkehr ins Reich“ entzündet hatten. .

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