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„Meinung ist keine Rechtfertigung“

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Zwei Meinungsforschungsmstifcute haben das Ergebnis von Befragungen der Österreicher über ihre Einstellung zur Fristenlösung veröffentlicht: Das eine meldete eine Mehrheit gegen die Straffreiheit der Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten, das andere eine Mehrheit für den staatlichen Schutz des werdenden Lebens. Solche Befragungen, weiches Resultat immer sie bringen, sind nichts anderes als Berichte über den derzeitigen Meinungsstand. Sie können und wollen keine Aussage darüber treffen, was Recht und Unrecht ist. Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, wenn sich der Zeitungsleser oder Bundfunkhörer, der davon erfährt, in seiner Gewissensentscheddung dadurch beeinflussen lassen würde.

Abgesehen davon, daß sich die Ergebnisse der beiden Institute voneinander unterscheiden (was sonst kaum bei soziologischen Umfragen in diesem Ausmaß der Fall ist), muß grundsätzlich folgendes festgehalten werden:

• Gegenstand der Umfrage war nicht die sittliche Erlaubtheit der Tötung eines Kindes im Mutterleib innerhalb der ersten drei Lebensmonate, sondern die strafrechtliche Verfolgung einer solchen Handlung.

• Durch eine Umfrage kann lediglich der tatsächliche Bewußtseinsstand der Bevölkerung festgestellt werden. Daraus kann aber nicht ein Urteil über die sittliche Erlaubtheit einer Handlung abgeleitet werden. Wenn also auch ein größerer Teil der Bevölkerung der Meinung sein sollte, daß eine Tötung eines Kindes im Mutterleib grundsätzlich erlaubt ist, so ist damit keine Rechtfertigung für eine solche Tat gegeben.

Aus diesem Anlaß der Meinungsbefragung sei nochmals auf die Be- gründungen hingewiiesen, wąrum die Kirche eine Tötung des Kindes im

Mutterleib für sittlich unerlaubt ansieht:

• Die Abtreibung als direkte Tötung eines ungeborenen Menschen verstößt gegen das Recht auf Leben. Das Kind im Mutterleib aber ist ein Mensch. Ein Kind im Mutterleib ist ein Mensch, der besonders hilflos und daher besonders schutzwürdig ist. Es kann sich hier also nicht um eine Verfügung der Frau über ihren eigenen Körper handeln, denn das ungeborene Kind hat vom ersten Augenblick an sein eigenes Leben und damit auch sein eigenes Recht auf dieses leben.

• Das 5. Gebot Gottes ist eine unabänderliche und allgemeingültige Regel, nicht nur für den Christen, sondern für jeden Menschen, der die göttlichen Rechte und die von Menschen formulierten menschlichen Grundrechte ernst nimmt. Eine größere Mißachtung als die Tötung des Menschen ist kaum denkbar.

• Die österreichischen Bischöfe sind mit der „Aktion Leben“ der Auffassung, daß bezüglich der strafrechtlichen Verfolgung der Tötung eines Kindes im Mutterleib die sogenannte Fristenlösung aus folgenden Gründen nicht richtig ist:

1. Es ist eine grundsätzliche Pflicht eines Staates, das Leben eines Staatsbürgers zu schützen. Durch die Fristenlösung wird der strafrechtliche Schutz des Lebens für eine ganze Gruppe unserer Mitbürger, noch dazu für die wehrlosesten, grundsätzlich und ohne Unterscheidung aufgehoben.

2. Nicht alles, was sittlich unerlaubt ist, kann und muß strafrechtlich verfolgt werden. Wenn der Staat nun nicht jede Form der Abtreibung strafrechtlich verfolgt, so ändert das nichts an der Tatsache, daß die Tötung ungeborenen Lebens sittlich nicht zu rechtfertigen ist. Sie ist und bleibt moralisch tmd zWfrlki wei testen Sinn das Moralbegriffes — verwerflich und daher unerlaubt. Ein strafrechtlicher Schutz ist aber vor allem und wenigstens dann zu fordern, wenn das Leben eines Mitmenschen auf dem Spiel steht.

3. Die Bestimmungen eines Strafrechtes haben eine große Rückwirkung auf das Urteil der Bevölkerung über die sittliche Erlaubtheit einer Handlung. Dazu sei aber besonders bemerkt: Auch wenn eine Mehrheit der Bevölkerung derzeit die Auffassung vertreten sollte, daß der Staat ungeborenes Leben nicht uneingeschränkt zu schützen brauche, ändert das nichts an der Unrechtmäßigkeit jedes Verstoßes gegen die Pflicht, Leben zu schützen, das geborene wie das ungeborene, das des wehrlosen Embryos ebenso wie das des manchmal ebenso wehrlosen alten und kranken Menschen.

Es fällt besonders leicht, über das Leben von Menschen zu verfügen, die sich nicht wehren können, die keine Vertretung haben, keine Argumente und keine Anklage Vorbringen können.

4. Die Verpflichtung des Christen, für dieses allgemeine Menschenrecht einzutreten, ist durch die Botschaft Jesu noch stärker motiviert. Er weiß sich nicht nur dem fünften Gebot verpflichtet, sondern auch dem Auftrag, den Mitmenschen in jedem Stadium von dessen Leben zu lieben und ihm volle Achtung der Menschenwürde entgegenzubringen. Der Christ muß daher aus persönlicher Überzeugung nicht nur selbst von jeder Tötung menschlichen Lebens Abstand nehmen, sondern ist auch verpflichtet, anderen zu helfen, damit sie solche Taten nicht vollziehen. Käme jeder Christ in unserem Staat dieser Verpflichtung, auch in bezug auf alle Menschen seiner Um-

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Gesetz über die Fristenlösung letztlich überflüssig werden.

5. Der Aufruf, das Volksbegehren zum Schutz des menschlichen Lebens zu unterstützen, ist getragen von der Hoffnung, eine große Zahl von Unterzeichnern würden die verantwortlichen Politiker veranlassen, ihre parlamentarische Entscheidung neu zu überdenken. Er besagt nicht, daß die Frage nach Recht und Unrecht, daß die Verpflichtung zum Schutz des Lebens von jeweiligen Mehrheitsverhältnissen abhängen kann.

6. Gerade weü es sich hier nicht um eine innerkirchliche, nur für die Katholiken wesentliche Angelegenheit handelt, haben sich die Bischöfe voll und ganz zum Volksbegehren für den Schutz des Lebens bekannt. Die Kirche tritt hier als Verteidigerin der schuldlos Bedrohten und Rechtslosen auf, wie es immer und überall ihre Pflicht war und ist. Die österreichischen Bischöfe und die „Aktion Leben“ machen sich daher zum Mund der Unmündigen, zum Sprachrohr der Sprachlosen und,wm Rechtlosen •fclfTiSä. ‘ ip =?"p*

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