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Meinungsmagie mit Umfragezahlen

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Meinungsmagie: Kein Tag vergeht, an dem nicht Ergebnisse demoskopischer Umfragen publiziert werden. Zur Stimmungsmache. Zur Motivation. Kurzum: Zahlen statt Politik?

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Meinungsmagie: Kein Tag vergeht, an dem nicht Ergebnisse demoskopischer Umfragen publiziert werden. Zur Stimmungsmache. Zur Motivation. Kurzum: Zahlen statt Politik?

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Es vergeht kein Tag, an dem nicht in den Medien Ergebnisse demoskopischer Umfragen publiziert werden. Immer häufiger wird Politik auf Prozentangaben reduziert und die verlorengegangene „volonte generale" (der Volkswille) in den Tabellenbänden kommerzieller Umfrageinstitute wiederentdeckt.

Politiker und Journalisten haben in der demoskopischen Umfrageforschung ein taktisch vielfältiges Instrument entdeckt, um

der Zufälligkeit des politischen Geschehens den Anstrich von geplanter Rationalität zu verleihen.

Die Demoskopie ist zur Fortsetzimg der Politik mit anderen Mitteln geworden und wird zur Stimmungsmache verwendet, dient der Motivation entmutigter Parteianhänger, wird als Begründung einer politischen Entscheidung herangezogen oder spart — im Fall der journalistischen Begehrlichkeit nach möglichst jüngsten Umfragedaten — Recherchenkosten...

Die Publikation von politischen Umfrageergebnissen hat sich in den letzten Jahren zu einer eigenständigen journalistischen Stilform entwickelt. Nahezu exzessiv werden Parteipräferenzen, Popularitätswerte der Spitzenpolitiker, Einstellungen der Bevölkerung zu sachpolitischen Problemen bzw. Entscheidungen als journalistisches „Hintergrundmaterial" herangezogen, wobei sich die inhaltliche Berichterstattung oft in einer oberflächlichen, unvollständigen Aufzählung von vagen Prozentsätzen erschöpft.

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, wo die großen Medienkonzerne selbst regelmäßige Umfragen bei großen Meinungsforschungsin-

stituten in Auftrag geben, sind österreichische Journalisten meist auf gezielte Indiskretionen angewiesen oder erhalten von den politischen Parteien demoskopisches „Spielmaterial" zur gefälligen Publikation.

So ist bereits in der Datenbeschaffung eine erhebliche „Unscharfe" eingebaut, die eine seriöse Wertung des Datenmaterials in den meisten Fällen unmöglich macht. Dazu kommt die erstaunliche Naivität zahlreicher Journalisten im Umgang mit demoskopischen Befunden, die nicht nur in Osterreich als eine bedenkliche Tatsache angesehen wird.

Die oberflächliche und vielfach verzerrte Berichterstattung demoskopischer Umfragedaten hat nicht nur längerfristig negative Konsequenzen für das öffentliche Ansehen der empirischen Sozialforschung, sondern verstärkt auch das „informationelle Unbehagen" der Wähler, die mit augenscheinlich widersprüchlichen bzw. kuriosen Meinungsforschungsdaten konfrontiert werden.

Die inflationäre Veröffentlichung politischer Umfragedaten hat aber vor allem weitreichende Auswirkungen auf die politische Kultur demokratischer Gesellschaften. Durch die exzessive Publikation einschlägiger Daten verstärkt sich bei den Wählern der Eindruck, daß sich Politiker und Parteien nahezu sklavisch an den Befunden der demoskopischen Forschung orientieren.

Der tiefsitzende und verbreitete Verdacht, daß sich die Politik immer stärker an kurzfristigen Stimmungs Schwankungen ausrichte und die Parteien als weitesten Horizont den nächsten Wahltag im Kopf hätten, bekommt durch die inflationäre Veröffentlichung strategischer und taktischer Teilinformationen neue Nahrung.

Der in Wirklichkeit marginale Einfluß sozialwissenschaftlicher Daten auf die Praxis der Parteiarbeit, die zahlreichen Mißverständnisse zwischen Wissenschaft und politischer Praxis, die Subjektivität politischer Entscheidungen und das weitgehend irrationale Entscheidungsklima in den politischen Spitzengremien bleiben der Öffentlichkeit zumeist verborgen und werden höchstens in esoterischen Seminaren über Probleme der wissenschaftlichen Politikberatung abgehandelt.

Im politischen Kommunikationsritual der massenmedialen Berichterstattung dagegen wird

eine scheinbare und empirisch abgesicherte Logik des politischen Prozesses dargestellt, die der politischen Praxis ihre Spontaneität entzieht und das Mißtrauen der Bürger gegen das „manipulative" Handeln von Politikern und Parteien verstärkt.

Die öffentliche Reduktion von Politik auf Prozentangaben, der vordergründige Versuch, die Fragwürdigkeit bestimmter sachpolitischer Entscheidungen demoskopisch zu „legitimieren", die naive Vorstellung der Journalisten, Prozentangaben wären einer faktengerechten und informativen „traditionellen" Berichterstattung überlegen, gehen

von zahlreichen Fehlannanmen aus.

Die klinische Sterilität einer Politik, wie sie in den demoskopischen Tabellen empirischer Umfragen zum Ausdruck kommt, ist für den einzelnen Bürger und Wähler wenig einladend und macht individuelles Engagement fragwürdig und wertlos.

Neben den demotivierenden Folgen einer sterilen Aufbereitung des politischen Geschehens, dessen abstrakte Logik für den einzelnen nicht beeinflußbar erscheint, ist auch der strategische Nutzen einer gezielten Veröffentlichung politischer Umfragedaten für die Parteien eher zweifelhaft.

Die kurzfristige Beeinflussung des politischen Meinungsklimas - etwa durch die Veröffentlichung „günstiger" Parteipräferenzen - wird vom politischen Kontrahenten bei nächster Gelegenheit neutralisiert werden, der seinerseits „günstige" Trenddaten zur Veröffentlichung freigibt. Der wünschenswerte parteipolitische Konkurrenzkampf wird dann zur „Zahlenmagie" und verstärkt die spürbaren Ressentiments der Bevölkerung gegenüber dem Verhalten der politischen Akteure.

Die modische Reduktion der Politik auf Zahlen und die exzessive Veröffentlichung politischer Umfragedaten sind ein wenig taugliches Mittel, um die latente „Vertrauenskrise" zwischen Politikern, Parteien und Wählern zu überwinden. Statt aufzuklären und das „politische Klima" zu rationalisieren und transparenter zu gestalten, verstärkt die öffentliche „Meinungsmagie" das bestehende Unbehagen an Stil und Praxis des politischen Geschehens.

Da Versuche, die inflationäre Veröffentlichung politischer Umfragedaten gesetzlich einzuschränken, eine Vielzahl gravierender und unerwünschter Probleme mit sich bringen, bleibt als Ausweg aus der politischen „Zahlenmagie" nur der Appell an Politiker und Journalisten, mit der Veröffentlichung politischer Umfragedaten sparsamer und verantwortungsbewußter umzugehen, denn die Politikverdrossenheit ist auch eine „Zahlenverdrossenheit".

Der Autor ist Sozialforscher. Der Beitrag ist ein auszugsweiser Vorabdruck aus dem Buch: UNBEHAGEN IM PARTEIENSTAAT. Hrsg. Plasser/Ulram, das Anfang März im Verlag Böhlau (Wien) erscheint; ca. 200 Seiten, ca. öS 260,-

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