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Meister der Blasphemie

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Der tödliche Konflikt des Bruderpaares Kain und Abel hat die Phantasie der Schriftsteller schon seit dem Mittelalter entzündet, und weil die Bibel kaum Auskunft gibt über seine Entstehung, hat diese „Leerstelle" zur Psychologisierung angeregt: Miguel de Unamunos Roman „Abel Sanchez" etwa schildert den Neid des ehrgeizigen und verschlossenen Arztes Kain auf den Künstler Abel; dem Expressionismus kam der Vater-Sohn-Kon-flikt gelegen, Albert Paris Güterslohs Erzählung „Kain und Abel" motiviert den Mord durch Kains Mißtrauen gegenüber der Abel geoffenbarten Wahrheit, und John Steinbeck hat in , JEast of Eden" bekanntlich die Familienkonstellation des Stammelternpaares und der rivalisierenden Zwillingssöhne in das Amerika der Jahrhundertwende übertragen. Vor allem aber hat Kain - neben Judas der Prototyp der biblischen Negativfigur -Deutungen auf den Plan gerufen, die die jüdisch-christliche Tradition relativieren oder umgekehrt.

Schon die ersten Seiten von Manuel Vicents neuem Roman „Kain" deuten an, daß er in spielerischer Weise tangential die biblische Vorlage berührt. Der Name Kain, dessen Bedeutung im Hebräischen unsicher ist und vielleicht Schmied meint, wird mit „Leben" übersetzt „oder auch: am Leben bin ich und schmiede das Eisen." Während der biblische Kain das Mal auf der Stirn nach dem Brudermord erhält - als Erkennungszeichen in Zusammenhang mit der Blutrache zu verstehen -, ist es in Vicents Roman das angeborene Markenzeichen seiner Individualität.

Daß Jehova das Opfer Kains nicht annimmt und zürnt, hat folgende Vorgeschichte: Kain wollte „eine Vogelscheuche nach dem Ebenbild Gottes herstellen", um Tiere abzuschrecken, die sich über das Opfer hermachten. Da erschien der Herr, umgeben von der Leibwache seiner Gorilla-Erzengel, und verlangte die Verbrennung der Puppe. Kains Einwand: „Es ist ein Kunstwerk", ließ er nicht gelten, sondern sagte: „Du denkst zuviel. Lerne von deinem Bruder, der sich damit begnügt, in Gemütlichkeit zu leben, und der nicht nachforscht." Kain aber führt das nur zur Erkenntnis, „daß die Gutartigkeit Abels nicht kreativ war. Nur die Bösartigkeit würde es mir ermöglichen, mich dem Schöpfer der Welt gleichzustellen."

Das Nomadentum Kains wird aus der biblischen Erzählung übernommen und generalisiert: „Das Schicksal des Menschen besteht darin zu flüchten, hinter einem Traum herzulaufen. Das ist die einzige Tätigkeit, der ich nachgegangen bin. Mein Name ist Kain", heißt es zu Beginn des Romans, und am Ende steht die Variation: „Das Leben besteht darin, hinter einem Traum herzulaufen, der nicht existiert." Das Schicksal Kains ist es, „ständig fliehen zu müssen und glücklich zu sein, ohne etwas zu erhoffen".

Im Dunkeln bleibt die Ermordung Abels. „Am dem Tage, als man Abel in der Steinwüste Judäas ermordete, befand ich mich hier in New York, ein Tenorsaxophon unter den Armen..." Dieses Alibi legt den tragenden Kunstgriff des Romans frei, die Aufhebung geschichtlicher Distanz. Bruchlos gehen Kindheit in der Wüste und Jazzkarriere in New York, dem „Paradigma der Stadt und der Moderne" (Vicent in einem Interview), ineinander über. Souverän werden picht nur Vorausdeutung und Rückblende gehandhabt, die Bildelemente selbst sind miteinander verschränkt: Adam wird von einer Mine in Stücke gerissen, in der Wüste wird man die Präsenz militärisch hochgerüsteter Mächte gewahr. Diese Aufhebung der Zeit aber macht auch das Alibi zunichte, und in New York wird Kain als Mörder Abels, dem er als Bisexueller in körperlicher Liebe verbunden war, sogar gefeiert.

Bibel gegen den Strich gelesen

Viele verfremdete Bibelzitate, vor allem aber die Szene, wo Kain zusammen mit einem Hund die Kommunion empfängt, weisen den Autor als Meister der Blasphemie aus, der vermutlich seinen Bunuel gesehen hat. Selten ist dieser frivole Umgang mit der Religion banal oder epigonal, immer jedoch ist er Ausfluß eines Labyrinths ungestümer Einfälle, durch die der Leser seinen Weg suchen muß.

Dieser Roman ist eine der produktivsten Auseinandersetzungen mit einem biblischen Stoff seit langem. Weder Affirmation religiöser Inhalte noch deren Zerstörung ist sein Ziel. Vicent selbst sagt von sich:„Ich schreibe, weil es das einzige ist, was ich kann, aber es ist nicht mein Ziel, etwas damit auszusagen. Ich mag weder Botschaften noch moralische Lehren. Es ist das Leben selbst, das die Schläge versetzt und dir den Weg vorzeichnet." Den Blick schärfen auf dieses Leben (und die Religion) können die Irritationen Vicents allemal.

MEIN NAME IST KAIN. Von Manuel Vicent. Aus dem Spanischen von Georg Danzer. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1991.170 Seiten, öS 228,-.

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