7216541-1992_52_14.jpg
Digital In Arbeit

Melodramatische Filmwelten Europas

19451960198020002020

Der europäische Film feierte sich selbst - und das nicht ohne Grund. Am 12. Dezember wurde heuer zum fünften Mal der „Felix" vergeben, eine Art Euro-Oscar. Erfreuliches Ergebnis: die prämierten Filme können sich im großen und ganzen wirklich sehen lassen.

19451960198020002020

Der europäische Film feierte sich selbst - und das nicht ohne Grund. Am 12. Dezember wurde heuer zum fünften Mal der „Felix" vergeben, eine Art Euro-Oscar. Erfreuliches Ergebnis: die prämierten Filme können sich im großen und ganzen wirklich sehen lassen.

Werbung
Werbung
Werbung

Besonders hervorgehoben seien zwei Filme, die auch Auszeichnungen bekommen haben. Das ist zunächst einmal Aki Kaurismäkis Melodram „Das Leben der Boheme", dessen Darsteller Andre Wilms (bester Nebendarsteller) und Matti Pel-lonpää (bester Schauspieler) jeweils einen Felix bekamen.

Pellonpää ist übrigens - schauspielerisch gesehen - ein richtiger Kau-rismäki-Veteran. Er ist auch dem österreichischen Publikum aus früheren Filmen wie „Ariel" oder „Leningrad Cowboys go America" bekannt. Anders als vielleicht sein Name prägt sich das Gesicht des finnischen Schauspielers sehr wohl ein. Es ist sicher keine Übertreibung, zu sagen, daß er wesentlichen Anteil hat am unverwechselbaren Charakter der Kauris-mäki-Filme.

In „Leben der Boheme" spielt er den albanischen Flüchtling und Maler Rodolfo, der sich gemeinsam mit seinen Freunden und seinem Hund Beaudelaire mehr schlecht als recht durchs Leben schwindelt. Die Geschichte spielt in einem skurril-zeitlosen Paris, ist in Schwarz-Weiß gedreht.

In gewisser Weise erinnert sie an die Emigrantenstorys, die während des Zweiten Weltkriegs spielen. Der

Film ist ein echter Kaurismäki, aber wärmer, gefühlvoller und weniger karg als die vorhergegangenen Produktionen. Und das tut ihm - allem Anschein nach - sehr gut.

Ebenfalls gefühlvoll, wenn auch in einer ganz anderen Art, zeigt sich „II Ladro di Bambini", der als bester europäischer Film des Jahres ausgezeichnet wurde. Auf Deutsch wird er voraussichtlich „Der Kinderdieb" heißen. Im Jänner kommt er in die Kinos.

Es handelt sich dabei um einen italienischen Road-Movie, der eine Reise von Mailand nach Süditalien schildert. Der Polizist Antonio (ausgezeichnet verkörpert von dem jungen Enrico Lo Verso), muß zwei Kinder aus zweifelhaftem Milieu, Rosetta und Luciano, in ein Kinderheim nach Sizilien bringen. Vor dem sehr realistischen, teilweise deprimierenden Hintergrund des Italien von heute entwickelt sich langsam und mit vielen Schwierigkeiten eine Freundschaft zwischen den Dreien.

Gianni Amelio wird übrigens nachgesagt, er sei ein Nachfolger der italienischen Neorealisten der Nachkriegszeit. „Für mich ist das eine große Ehre", sagt Amelio dazu, „ich unterscheide mich aber auch in vielem von den Neorealisten."

Was ihn allerdings mit ihnen verbindet, das sagt er auch selbst, ist die einfühlsame Betrachtungsweise einfacher Menschen und ihrer Gefühlswelt. Wer ruhige Filme mag, beredte Filme ohne große Worte, wird hier sicher begeistert sein.

Leos Carax' umstrittene Clochard-geschichte „Die Liebenden von Pont Neuf' erhielt einen „Felix" für den besten Schnitt, den besten Kameramann und die beste Schauspielerin, Juliette Binoche. Der Film ist in Österreichs Kinos schon angelaufen, das Kinopublikum kann sich selbst ein Urteil bilden, wie gerechtfertigt diese Auszeichnungen sind.

Als bester europäischer Drehbuchautor wurde Istvän Szabö für „Sweet Emma, dear Boebe" prämiert.

Der „Felix" beziehungsweise dessen Verleihung scheint nun endgültig in Berlin seine Heimat gefunden zu haben. „Er hat sich in den fünf Jahren gut entwickelt", meint Gianni Amelio, der den Preis vor zwei Jahren schon einmal erhielt, „aber er wird sich noch weiter entwickeln müssen".

Vor allem natürlich, was die wirtschaftliche Komponente anbelangt. Mit dem Oscar läßt sich der „Felix" hier in keiner Weise vergleichen.

Abgesehen von dieser ökonomischen Bedeutung, ist der „Felix" natürlich auch wichtig für Europa. Kino sei „unsere einzige gemeinsame Sprache hier in Europa", sagte Wim Wenders, Vorsitzender der European Film Academy, bei der Preisverleihung. Zumindest in Berlin fehlten dieser Sprache Vokabeln aus dem Osten. An der Integration des osteuropäischen Films wird in Zukunft noch zu arbeiten sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung