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Memoiren eines Anstifters, oder: Sie alle schreiben Bücher
General de Gaulle war es, der einmal den Technokraten Jean Monnet ein wenig abwertend einen „Anstifter“ nannte. In der Tat hat der 1888 als Sohn eines Cognachändlers geborene spätere „Vater Europas“ eine höchst fruchtbare Zusammenarbeit auf internationaler Ebene in die Wege geleitet und eine tiefe Spur in der Geschichte seiner Zeit hinterlassen. In diesem Herbst präsentierte Jean Monnet auf über 600 Seiten seine Memoiren.
Jedem Europäer sei anempfohlen, diese Lebensbeichte zu studieren, durch die so manche Hintergründe der europäischen Bühne hell erleuchtet werden. Die Begründer der europäischen Integrationspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg haben, zumindest was die französischen Staatsmänner und Politiker betrifft, wenig zur Darstellung der Geschichte dieser^ erregenden Jahre nach dem Sturz des „Dritten Reiches“ beigetragen. Das Buch Jean Monnets füllt daher eine beachtliche Lücke.
Ursprünglich wollte Jean Monnet nur Erfolge im väterlichen Geschäft erzielen. Aber bereits die Kindheit in der Stadt Cognac trug dazu bei, den Knaben mit weltweiten Problemen des Handels vertraut zu machen. Damals erwarb sich der spätere Berater englischer und amerikanischer Regierungen seine vorzüglichen Sprachkenntnisse. Wie er selbst sagt, wurde er vom angelsächsischen Puritanis-mus angezogen und geprägt.
Aus Gesundheitsgründen wurde der junge Mann nicht zum Militär eingezogen, sah sich jedoch verpflichtet, bei Ausbruch des Krieges seinem Vaterland zu dienen. Nach Uberwindung zahlreicher Hürden stellte er Kontakte zum damaligen französischen Ministerpräsidenten her und wurde noch im November 1914 nach London entsandt. In den nun folgenden Jahren entdeckte Jean Monnet die Bedeutung langfristig geplante*' internationaler Kooperation. Damit rettete er den Kriegsnerv der Alliierten. Der von ihm vorgeschlagene Transportpool wurde zum entscheidenden Faktor des Sieges der Entente im Jahre 1918. Die damals entwickelten Methoden hat Monnet bei der Errichtung des Kohle-Stahl-Pools im Jahre 1950 und der EWG-Kommission kopiert.
Weithin dürfte die Tatsache unbekannt sein, daß Jean Monnet, der außerhalb jeder französischen Beamtenhierarchie stand, stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes war. Der erste Versuch, die Völkerfamilie Europas und der Welt über- . staatlich zu organisieren, ist vielfach in Verruf geraten. Trotzdem wird man seine positiven Leistungen nicht leugnen können, so etwa die Sanierung der österreichischen Nachkriegswährung. Am Beispiel der ungeklärten Saar-Frage erkannte Jean Monnet schon damals, daß nur eine radikale Veränderung des internationalen politischen Klimas einen Ausgleich zwischen den Völkern schaffen könne. Die damaligen Staatsmänner, einem engen Nationalismus verhaftet, besaßen nicht die Weitsicht jener Politiker, die am 9. Mai 1950 das kühne Werk eines Ausgleichs in Westeuropa einleiteten.
Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, übernahm Jean Monnet wie selbstverständlich in London eine ähnliche Funktion, wie er sie im Ersten Weltkrieg innegehabt hatte. Am Höhepunkt des französischen Debakels schlug Jean Monnet der britischen Regierung eine vollkommene Integrierung der beiden Armeen, der politischen und parlamentarischen Führungen vor. Die kühne Vision wurde zwar von Churchill akzeptiert, aber nicht von jenen französischen Kreisen, die auf einen Waffenstillstand setzten. Jean Monnet stellte seine Dienst&:/Jäer eng*.; lischen Regierung zur Verfügung und wurde1 tn>elner''h-öcrlt uniclaren Mis “ sion nach Washington entsandt. Dort gelang es ihm, zu einem der einflußreichsten Berater Präsident Roose-velts und der US-Regierung aufzusteigen. Als Früchte seiner Tätigkeit können verzeichnet werden: das Pacht-Leih-Gesetz und die massive Luftaufrüstung der Vereinigten Staaten.
Nach dem Kriege wurde Jean Monnet beauftragt, die teilweise zerstörte französische Wirtschaft aufzubauen und zu modernisieren. Die allergrößte Stunde kam für ihn jedoch, als es darum ging, die Zukunft Deutschlands zu gestalten. Er entwickelte mit einigen gleichgesinnten Mitarbeitern den Plan, die Basisindustrien Frankreichs, Deutschlands und einiger anderer europäischer Staaten gemeinsam zu verwalten. Zum Glück für Europa, fand er im damaligen französischen Außenminister Robert Schuman einen Staatsmann, der bereit war, für diese Idee die politische Verantwortung zu übernehmen.
Als erster Präsident der Hohen Behörde für Kohle und Stahl legte Monnet die Grundlagen für ein wirtschaftlich geeintes Europa. Er konnte sich dabei ständig der vertrauensvollen Unterstützung Bundeskanzler Adenauers erfreuen. Aber Jean Monnet, der „Anstifter“, wollte nicht in einer Beamtenkarriere ergrauen. So demissionierte er und gründete das nach ihm benannte Komitee, in welchem sich die Spitzenvertreter der demokratischen Parteien und die wichtigsten Sprecher der freien Gewerkschaften der EWG trafen. Das Komitee für die Vereinigten Staaten von Europa funktionierte bis 1975 und hat unter anderem die Deutsche Sozialdemokratische Partei bewogen, einen europafreundlichen Kurs einzuschlagen.
Am 2. April 1976 ernannte der Europäische Rat der 9 Staats- und Regierungschefs Moanet zum „Ehrenbürger Europas“.
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